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Allgemeinmediziner Hanno Klemm (Foto) ist hauptamtlich in der MMM tätig.

© Stefan Boness/Ipon

Malteser Medizin: Behandlung ohne Bedingungen

In der Ambulanz der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung finden Patienten ärztliche Hilfe, die keine Versicherungskarte haben. Eigentlich sollte es das Problem gar nicht geben, sagen die Ärzte dort.

An jedem Vormittag gibt es hier Stoff für einen Schicksalsroman, der zu Tränen rührt.“ Regina Lutterbeck hat allerdings nicht vor, ein solches Buch zu schreiben. Sie möchte das tun, was sie gut kann – und womit sie den Frauen wirklich hilft, deren Geschichten ihr Mitgefühl erwecken. „Sie brauchen medizinische Hilfe, ich kann ihnen helfen.“ So einfach ist das.

Lutterbeck ist Frauenärztin, hat mehrere Jahrzehnte lang eine gynäkologische Praxis geführt, die sie zusammen mit ihrer Kollegin Maria Ossenbrinck gegründet hat. Es ist noch nicht so lang her, dass beide die Praxis in die Hände jüngerer Kolleginnen übergeben haben. An privaten Aufgaben und an reizvollen neuen Beschäftigungen fehlt es den Gynäkologinnen nicht. Trotzdem engagieren sie sich beide seit einiger Zeit in der Ambulanz der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung (MMM). Vier weitere Frauenärztinnen sind dort teilweise schon deutlich länger tätig. „Das hier ist ein Auftrag, eine Verpflichtung.“ Er besteht darin, Menschen zu behandeln, die an der Anmeldung keine Krankenversicherungskarte vorweisen können.

Das Problem ist nicht neu, es hat sich in den letzten Jahren allenfalls verschärft, weil auch Menschen betroffen sind, deren Asylverfahren abgelehnt wurde. Die Sozialarbeiterin Carolin Ochs berichtet aber auch von Menschen, die aus ganz anderen Gründen seit Jahren ohne Krankenversicherungsschutz in unserem Land leben. Von Vietnamesen, die unversichert in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen stecken. Von EU-Bürgern aus Bulgarien oder Rumänien, die wegen Krankheit nicht nach Arbeit suchen können und deren Überbrückungsleistungen ausgelaufen sind, sodass sie von Sozialleistungen ausgeschlossen sind, ohne sich jedoch selbst eine Versicherung leisten zu können. Von Frauen aus Nigeria, die als Opfer von Menschenhandel hier landeten. Oder von der über 60-jährigen Frau aus Südamerika, die ohne Aufenthaltserlaubnis hier bei ihrem Sohn lebt und ihn bei der Kinderbetreuung unterstützt – ohne dass er sie deshalb „mitversichern“ dürfte. „Wir haben aber auch viele deutsche Patienten, die jahrelang in keiner Versicherung waren und jetzt aus verschiedenen Gründen keinen Zugang mehr finden“, berichtet Ochs. Das Kürzel MMM des seit 2001 bestehenden Angebots steht deshalb heute bewusst nicht mehr für „Malteser Migranten Medizin“. Es meint Medizin für alle Menschen ohne offizielle „Eintrittskarte“

Eine Übergangslösung für den Zugang zum Gesundheitssystem

Anonyme Krankenscheine und lokale Anlaufstellen zur Beratung könnten zumindest eine Übergangslösung für den Zugang zum Gesundheitssystem sein. Noch in diesem Jahr soll in Berlin vom Senat eine Stelle eingerichtet werden, in der Leistungsansprüche von bisher Unversicherten geprüft und Menschen ohne jede Aussicht darauf der Weg zu notwendigen Behandlungen geebnet wird. In einer Stellungnahme aus dem letzten Jahr fordern mehr als 80 Organisationen und Einzelpersonen, die sich wie die „Medibüros“ verschiedener Städte, die Deutsche Aidshilfe und das Zentrum für sexuelle Gesundheit zur Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität zusammengeschlossen haben, grundsätzlich auch für Menschen ohne Papiere Zugang zum gesamten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.

Mit der Fallsammlung „Krank und ohne Papiere“ lieferten sie kürzlich Beispiele dafür, wie und warum Menschen in diese Lage geraten. Im Wartezimmer der MMM-Ambulanz sitzen Menschen, denen man das nicht ansieht. Insgesamt halten hier 35 Ärztinnen und Ärzte, aber auch Zahnmediziner und Physiotherapeuten an drei Tagen in der Woche ihre Sprechstunde ab, im letzten Jahr wurden dort mehr als 7000 Patienten behandelt. Die Mediziner, darunter auch Orthopäden, Dermatologen und nicht zuletzt Kinderärzte, wechseln sich mit der Arbeit ab, sie sind nie gleichzeitig in den wenigen Räumen in unmittelbarer Nachbarschaft des St. Gertrauden-Krankenhauses in Wilmersdorf.

Anders als die Geflüchteten der letzten Jahre sind viele, die als Patienten in die Ambulanz der Maltester kommen, schon etwas älter. Bei einigen gibt es den Verdacht auf Tuberkulose, viele haben die chronischen Krankheiten, die oft mit den Jahren kommen: hohen Blutdruck, Herz- und Lungenprobleme, Diabetes. „Viele kommen mit grotesk hohen Blutdruck- oder Blutzuckerwerten hier an, sie müssten unter normalen Umständen sofort ins Krankenhaus“, berichtet Allgemeinarzt Hanno Klemm, der hauptamtlich hier tätig ist, mehrere Sprachen spricht und die Ambulanz leitet. Oft besteht auch Verdacht auf eine Krebserkrankung, sodass spezialisierte Fachärzte hinzugezogen werden sollten. Die ehrenamtlich tätigen Ärzte nutzen immer wieder ihre alten persönlichen Kontakte, damit ein Krankenhaus oder eine Facharztpraxis die weitere Diagnostik und Behandlung übernimmt.

Was oft fehlt, ist eine gemeinsame Sprache

Zu den Gynäkologinnen kommen aber auffallend viele junge gesunde Patientinnen. Die Diagnose „Schwangerschaft“ wird an manchen Tagen hier mehrmals gestellt. „Unsere Patientinnen sind alle bitterarm, aber sie wünschen sich alle Kinder, das hat für sie einen hohen Stellenwert“, sagt Regina Lutterbeck. Der Raum der Frauenärztinnen ist recht gut ausgestattet, auch ein Ultraschallgerät steht da. Neben den (weiterhin dringend erwünschten) Spenden helfen auch Zuwendungen des Senats.

Was oft fehlt, ist allerdings eine gemeinsame Sprache. Oft übersetzten Freundinnen und sogar größere Kinder der Schwangeren, berichtet Lutterbeck. Eine Situation, die keiner der beteiligten Personen behagt. Immerhin können die Gynäkologinnen während der Schwangerschaft für die Frauen medizinisch einiges tun. „Die große Frage ist aber, wo sie entbinden können.“ Frauen aus Drittstaaten ohne Aufenthaltspapiere und ohne Aussicht auf dauerhaftes Asyl haben vor und nach der Geburt des Kindes als besondere Form des Mutterschutzes eine Duldung, können danach aber abgeschoben werden. „Ich muss die Frauen darüber aufklären. Wenn es allerdings Anzeichen für Menschenhandel oder Arbeitsausbeutung gibt, arbeite ich mit anderen Organisationen zusammen, um eine Lösung für Mutter und Kind zu finden“, sagt Sozialarbeiterin Carolin Ochs.

Die Sozialarbeiterin, der Allgemeinarzt und die Frauenärztin gehen in unterschiedlichen Räumen ihrer Arbeit nach. Im Zweiergespräch mit dem Tagesspiegel sagen alle drei MMM-Mitarbeiter am Ende trotzdem drei sehr ähnliche Sätze: „Ich würde mich freuen, wenn es uns nicht geben müsste. Allein dass es uns gibt, zeigt den Missstand. Wir würden uns gern überflüssig machen.“

Informationen zu gezielten Spenden für die Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung (MMM) unter www.malteser-berlin.de; allgemeines Spendenkonto der Malteser: Malteser Hilfsdienst e. V. | Pax-Bank, IBAN: DE03 370 60 120 120 120 4018

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