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Das Ordnungsamt ist auf die Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen. Davon gab es im ersten Lockdown viele.

© Kira Hofmann/dpa

Macht Corona die Berliner zu Denunzianten?: Ordnungsamt zählt seit Pandemiebeginn mehr Verstöße

Die Zahl der Ordnungswidrigkeiten hat stark zugenommen. Obwohl das Ordnungsamt auf Hinweise angewiesen ist, halten sich Denunziationen in Grenzen.

Von Sandra Dassler

„In der Schule meiner Nichte müssen keine Masken getragen werden. Ich glaube, die Schulleiterin ist eine Corona-Leugnerin.“

„Mein Bruder verhindert, dass mein Vater im Pflegeheim gegen Corona geimpft wird. Obwohl dieser das möchte.“

„Mein Parkplatz ist vom Auto eines Besuchers bei meinem Nachbarn blockiert. Aber der darf doch gar keinen Besuch empfangen.“

Immer wieder erreichen solche und ähnliche Meldungen die Polizei sowie Gesundheits-, Ordnungs- und andere Behörden. Die komplexen Corona-Regelungen, die inzwischen weit über das anfängliche Abstandhalten und Kontaktverbot hinausgehen, führen dazu, dass die Zahl der Ordnungswidrigkeiten seit Beginn der Pandemie massiv angestiegen ist.

Allein die Berliner Polizei hat nach eigenen Angaben von März bis Dezember 2020 mehr als 10.000 Anzeigen im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Corona-Regeln aufgenommen. Hinzu kommen die bei den zuständigen Ämtern gemeldeten, aber nicht zentral erfassten Verstöße.

Damit die Regeln eingehalten werden können, sind die Behörden auch auf die Hinweise der Bevölkerung angewiesen. Das sei sogar ausdrücklich erwünscht, sagt ein Polizeisprecher. Doch manchmal geht es den Hinweisgebern weniger um die sozialen als um ihre ganz eigenen Interessen. Der Übergang von zivilem Engagement zu Denunziantentum beziehungsweise Blockwart- Mentalität ist nicht selten fließend.

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„Natürlich ist das eine wunderbare Zeit für Menschen, die schon immer hinter der Gardine standen und darauf gelauert haben, dass jemand falsch parkt“, sagt die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann: „Das ist aber noch kein Indiz dafür, dass wir uns zu einer Gesellschaft von Denunzianten entwickeln.“

Sie beobachte nämlich andererseits auch, dass viele Menschen regelrecht Hemmungen hätten, Verstöße zu melden. Die Schwelle, den Nachbarn anzuzeigen, sei – beispielsweise leider auch beim Kinderschutz – im allgemeinen sehr hoch, sagt sie: „Dabei sind wir aufgrund der Personalknappheit in den Ordnungsämtern auf Hinweise angewiesen – gerade wenn es wirklich um gefährliche Situationen wie etwa wilde Partys am Gleisdreieck, in der Hasenheide oder auf dem Tempelhofer Feld geht.“

Viele Anrufe im ersten Lockdown

Ähnlich ist die Situation auch in anderen Bezirken. „Im ersten Lockdown, also etwa vor einem Jahr, sind sehr viele Anrufe mit Hinweisen auf Verstöße gegen die Corona-Regeln gekommen“, sagt Nadja Zivkovic, CDU-Ordnungsstadträtin von Marzahn-Hellersdorf. Darunter seien auch solche gewesen, die eher aus Frust als aus Sorge um die Mitmenschen getätigt wurden. So habe etwa ein Mann angerufen und gesagt: „Der Spielplatz hier vor meinem Haus ist voller Menschen, die sich an keine Abstände halten – und ich darf meine Frau im Pflegeheim schon sein Wochen nicht besuchen.“

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Neid oder auch Frust, weil andere etwas tun, was man sich selbst versagen muss, sei ein Motiv für Denunziationen, sagt der Soziologe Rafael Behr, Experte für das Thema. Er sagt, dass der Denunziant kein Interesse am Wohl der Allgemeinheit hat oder Situationen entschärfen will. „Er möchte lediglich bestimmte Personen treffen“, sagt Behr.

[Wo endet die Achtsamkeit, wo beginnt das Denunziantentum? Das Interview mit dem Soziologen Rafael Behr lesen Sie hier bei Tagesspiegel Plus.]

Weitere Motive dafür seien neben dem Neid die Angst, dass der Angezeigte etwas tut, was einem selbst schadet, oder einfach nur Machtbedürfnis. Manche denunzierten auch aus Rechthaberei und „moralischer Rigidität“ oder einfach, weil sie sich davon eine materielle Belohnung versprechen.

Und man dürfe nicht vergessen, dass die geänderten Lebensumstände bei vielen Menschen an den Nerven zerren, sagt Ordnungsstadträtin Zivkovic: „So haben beispielsweise die Streitigkeiten in Kleingärten zugenommen – einfach weil der Nachbar nicht in den Urlaub fährt und plötzlich immer da ist. Es ist ja auch in vielen Beziehungen und Familien so, dass latent vorhandene Konflikte sich jetzt zuspitzen.“

Generell könne man nicht von verstärktem Denunziantentum sprechen, sagt auch Zivkovic. In anderen Ordnungsämtern sieht man das ähnlich. „Wir gehen vielen Hinweisen nach“, heißt es aus Charlottenburg-Wilmersdorf: „Die stellen sich fast immer als wahr und korrekt heraus. Eine Denunziation aus böser Absicht steckt nur ganz selten dahinter.“

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