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Bei Brustkrebsoperationen kann es sein, dass wichtige Lymhknoten entfernt werden müssen.

© dpa

Lymphknoten-Transplantation: Gewebe auf Wanderschaft

Manche Patientinnen leiden nach einer Brustkrebs-OP an geschwollenen Armen. Eine Lymphknoten-Transplantation kann ihnen helfen.

Operation, Strahlen- und Chemotherapie sind glücklich überstanden. Die Angst, dass der Brustkrebs sich wieder melden könnte, ist es längst noch nicht: Sie wird die junge Frau noch über Jahre begleiten. Trotzdem könnte nun, nach der Reha, wieder so etwas wie Normalität einkehren. Der lang ersehnte Alltag mit Familie, Beruf und schönen Freizeitaktivitäten. Wenn da der Arm nicht wäre! Er ist nicht nur viel dicker als der auf der „gesunden“ Seite, er fühlt sich zu allem Überfluss auch schwer an, das geschwollene Gewebe scheint unter Spannung zu stehen, es schmerzt.

Viele Frauen, denen bei der Krebsoperation wichtige Lymphknoten in der Achsel entfernt werden mussten oder deren Lymphsystem unter einer Bestrahlung gelitten hat, haben nach der Behandlung solche Wasseransammlungen im Arm, sogenannte Lymphödeme. Die Lymphknoten in der Achsel haben nämlich als Zwischenstation, die das Gewebewasser aus dem Arm auf seinem Weg ins Körperinnere zurücklegt, eine wichtige Funktion. Fehlen sie, dann kann Flüssigkeit aus dem betroffenen Gebiet nicht mehr ausreichend abgeleitet werden. Oft führt das erst Monate nach der Brustkrebs-Operation zu Beschwerden. Weil die Lymphgefäße ihre Arbeit nicht mehr zuverlässig tun und Bakterien nicht ausgeschwemmt werden, entstehen womöglich in der Folge auch noch Entzündungen.

Um das zu verhindern und sich Linderung zu verschaffen, tragen die betroffenen Frauen Kompressionsstrümpfe am Arm und gehen regelmäßig zur Lymphdrainage. Diese Entstauungstherapien sind empfehlenswert, sie wirken in vielen Fällen gut – allerdings nur kurzfristig. „Fehlen die Lymphknoten in der Achsel, ist das, als würde man den Wasserhahn zudrehen“, sagt Uwe von Fritschen, Chefarzt der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie am Helios Klinikum Emil von Behring in Zehlendorf.

Seit einem Jahr wird dort eine mikrochirurgische Methode angewandt, die das Ziel hat, diesen „Hahn“ wieder zu öffnen. Die Operateure entnehmen dafür zunächst ein Stück Gewebe aus der Leistenregion der Patientin. Dort befinden sich Bündel von Lymphknoten, die für einen funktionierenden Abfluss am Bein entbehrlich sind. Anschließend kommt der besonders schwierige Teil des Eingriffs: Der Gewebeblock aus der Leiste muss nun nämlich rasch an die feinen Gefäße in der Achsel angeschlossen werden, wo sich die neue Arbeitsstelle der transplantierten Lymphknoten befindet. Leben sie sich dort gut ein und erledigen ihren Job zuverlässig, können sie den Stau beseitigen. Das klappt meist nach sechs Monaten.

Noch fehlen langfristige Studien

Die Operation erfordert allerdings viel Geschick und Geduld, sie kann drei bis vier Stunden dauern. Zum Beispiel wenn sich in der Achsel Narbenplatten gebildet haben, die Gefäße einengen. Sie müssen sorgsam entfernt werden. Von Fritschen und sein Team haben mit diesem Verfahren inzwischen elf Patientinnen operiert. Dabei halfen ihnen ihre langjährigen Erfahrungen beim Aufbau der Brust mit Eigengewebe aus dem Körper der Frau. Denn auch bei diesen mikrochirurgischen Eingriffen wird Gewebe aus anderen Körperregionen, etwa aus dem Bauchraum, entnommen – und muss am neuen Ort Anschluss an die Gefäße finden.

Der Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie gesteht allerdings, dass er zunächst Vorbehalte gegenüber der Lymphknoten-Transplantation hatte: Das hatte weniger mit technischen Bedenken zu tun als mit dem Stand der Forschung. Denn noch fehlen größere Studien, die langfristige Erfolge belegen könnten, die Ärzte überblicken bisher nur einen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren und können sich nur auf kleinere Studien stützen. Die allerdings sprechen dafür, dass der Eingriff so gut wie immer erfolgreich ist – und dass er an der Entnahmestelle in der Leistenregion keinen Schaden anrichtet. Erste Eingriffe dieser Art wurden zudem schon in den 80er Jahren in München vorgenommen, seit den 90er Jahren hat sich in Paris die rührige Chirurgin Corinne Becker in einem eigenen Lymphknoten-Zentrum darauf spezialisiert.

In Deutschland wird die Lymphknoten-Transplantation bisher nur an wenigen Kliniken angeboten, zu denen in Berlin auch die Charité gehört. Bevor von Fritschen sie an seiner Klinik einführte, hat er sich in einigen internationalen Zentren kundig gemacht, wie er berichtet. Einer seiner Mitarbeiter hat zudem über ein Jahr in Taiwan mit Kollegen zusammengearbeitet, die die Methode schon seit Jahren häufig anwenden.

Weder zu früh noch zu spät

Für wen kommt sie infrage? Ganz sicher nicht für Frauen, die nach ihrer Brustkrebs-Behandlung nur unter leichten Schwellungen des Arms zu leiden haben, und das womöglich auch nur an heißen Sommertagen, wenn sie sich besonders anstrengen. Dann reichen Entstauungstherapie und Kompressionsstrümpfe aus, um vorübergehend Entlastung zu bringen. Im besten Fall verschwinden solche Beschwerden zudem nach einiger Zeit von selbst wieder. Wenn Frauen schon seit mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten unter dem Stau leiden, wenn sich womöglich schon massive Verhärtungen gebildet haben, ist es wiederum zu spät für eine Transplantation von Lymphknoten.

Dagegen könnte sie einer dritten, mittleren Gruppe von Frauen helfen: Ihr Armgewebe ist so weich, dass eine Delle, die der Arzt bei der Untersuchung hineindrückt, gleich wieder verschwindet, weil die Flüssigkeit sich nach dem Loslassen wieder verteilt. Andererseits haben sie aber trotz regelmäßiger Lymphdrainage und dem Tragen der lästigen Kompressionsstrümpfe über längere Zeit immer wieder Schmerzen und Stauungen.

„Zu uns kommen Frauen, die schon alles versucht haben“, berichtet von Fritschen. Dass kaum eine sich gleich im Anschluss an die Brustkrebs-Behandlung nach einem solchen Eingriff erkundigt, hat nach seiner Erfahrung aber noch einen Grund: „In dieser ersten Zeit haben die Frauen noch andere Sorgen.“

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