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Der Gänsebraten kann die reine Lust sein oder eine fürchterliche Anstrengung

© FOTOLIA

Luftschlösser auflösen: Erwartungen sind ein Schlüssel zum Unglück

Nicht nur an Weihnachten lauern Enttäuschungen: Wer seine Erwartungen managt, erzeugt weniger Frust. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fatina Keilani

Die Mutter kocht weder gerne noch gut, es ist für sie einfach Stress. Trotzdem stellt sie sich an Weihnachten für Stunden in die Küche, um einen Gänsebraten zu machen. Das Ergebnis überzeugt nicht: wenig Fleisch, das zudem trocken und hart ist. Die Kinder, längst erwachsen, deuten an, Aufwand und Ertrag stünden in einem ungünstigen Verhältnis. Die Mutter ist tödlich beleidigt, die Stimmung dahin.

Womit wir beim Thema wären: Erwartungen. Die Mutter erwartet Lob für die viele Mühe, die sie sich gemacht hat. „Es hat keiner von Dir verlangt“, sagen die Kinder jedoch, und das hilft nun erst recht nichts. Sie hat es doch für die anderen getan! Und dann so ein Undank. Kann sie Dank erwarten?

Erwartungen sind vor allem ein Problem dessen, der sie hat. Werden sie jedoch massiv enttäuscht, so werden sie auch zum Problem aller anderen. Das gilt nicht nur an den sich nähernden Weihnachtsfeiertagen. Es ist auch auf nahezu alle anderen Lebensbereiche übertragbar.

In der Wirtschaftswelt gibt es den Begriff dafür: Erwartungsmanagement

Informatiker und Projektmanager kennen einen interessanten Begriff: Erwartungsmanagement. Bei der „Verkaufe“ eines geschäftlichen Projekts werden nämlich mitunter unrealistische Vorstellungen geweckt, das geht oft gar nicht anders, denn mit Understatement verkauft man kein Projekt. Wenn es dann an die Umsetzung geht, muss als erstes der Projektmanager ran und dem Kunden schonend beibringen, was geht und was nicht. Denn Entscheider haben oft unrealistische Vorstellungen: Das Projekt wird nichts kosten, die Welt disruptiv verändern und in drei Wochen glänzend abgeschlossen sein. Ratgeber für Projektmanager enthalten Überschriften wie: „Luftschlösser rechtzeitig auflösen“.

Auch die Politik kennt das Problem der Erwartungen: Dort wo Politik etwas Konkretes liefern muss – Autobahnen, Opernhäuser, moderne Infrastrukturen, Flughäfen, Bahnhöfe – wird den Wählern gegenüber der Nutzen regelmäßig hoch und werden die Kosten herunter gerechnet. Am Ende sieht die Bilanz oft ganz anders aus: Dauert länger, wird viel teurer – Berliner kennen das ganz besonders gut.

Deshalb ist in der Hauptstadt mit ihrer Stillstandsverwaltung die Überraschung auch immer so groß, wenn mal etwas pünktlich fertig wird und zudem noch im Kostenrahmen liegt. Und auch deswegen ist der Job des Kulturstaatsministers so viel schöner als zum Beispiel der des Verteidigungsministers. Beim Guten, Schönen und Hehren fällt die Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen viel weniger konkret aus als etwa bei der Beschaffung von Gewehren, mit denen man geradeaus schießen kann. Noch besser ist eine Situation, in der scheinbar gar keine Entscheidungen getroffen werden müssen, sondern die „Krise“ diese alternativlos diktiert.

Das nächste Objekt höchster Begierde: der Impfstoff

Erwartungen sind der Schlüssel zum allseitigen Unglück, können es jedenfalls sein, privat wie geschäftlich. Dieses Weihnachtsfest hat die Chance, etwas weniger von Erwartungen geprägt und belastet zu sein – viele werden gar nicht in gewohnter Besetzung miteinander feiern können, und jeder wird auf seine Art ein gewisses Maß an Demut in der globalen Pandemie mit ihren ungewissen Aussichten empfinden. Auch in der Pandemie gibt es eine Sache, auf die sich massive Erwartungen richten: den Impfstoff. Hier wird sich erst weisen müssen, wie berechtigt diese Erwartungen sind – außer vielleicht an den Aktienmärkten.

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