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Wolkig. Tee hält nie, was er verspricht.

© Franziska Gabbert/dpa

Lügen in der Tasse: Tee ist keine Lösung!

Entspannen, abnehmen, erleuchtet werden: Für jede Lebenslage soll es den richtigen Tee geben – alles Marketing-Quatsch! Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Julia Prosinger

Einst trank man Tee – zumindest dem Sprichwort nach –, um den Lärm der Welt zu vergessen. Jetzt macht der Tee selbst ganz schön viel Lärm.

Vielleicht hat es mit dem schlechten Ruf von Kaffee zu tun, mit dem trendgewordenen Verzicht auf Alkohol oder mit dem gestiegenen Verlangen nach fernöstlicher Spiritualität. Vielleicht liegt es auch nur am Winter, dass einem das gerade besonders auffällt. Doch in den Supermärkten werden die Regale immer länger und statt einer Umarmung oder eines wohldurchdachten Ratschlags bekommt man neuerdings von Freunden häufiger zu hören: „Ich mach dir erst mal eine Tasse heißen Tee, dann sieht die Welt gleich ganz anders aus.“ Nein, tut sie nicht, denn: Tee ist keine Lösung!

Außer natürlich für die Tee-Industrie, die 2014 noch 550 Millionen Euro Umsatz machte und 2018 schon 650. Es gibt Tee für jede Tageszeit: „Guten Morgen“, „Hellwach“, „Vor Mittag“, „Mittagspause“, „Schönen Feierabend“, „After Dinner“, „Gut’s Nächtle“ und „Midnight Sweety“. Für Wochentage und Witterung: „Nicht-schon-wieder-Montag“, „Schietwetter“, „Nebel & Wolken“. Für jeden Gemütszustand: „Mords-Kater-Tee“, „Kopf hoch“, „Glückstee“, „Wolke 7“.

Apropos: Der Hersteller Dennree musste seinen „ Higher Living Grüntee“ aus dem Sortiment nehmen, weil er den erlaubten THC-Gehalt überschritt.

Es gibt Tee, der beim „Stundenlang-quatschen“ unterstützt, beim Faulenzen und Abnehmen, „Detox“, „Two Weeks Cleanse“. Vor letzterem warnen Ärzte, da er meist Abführmittel enthält und zu viel Flüssigkeitsverlust die Organe schädigen kann. Angeblich wird man durch Trinken auch ein besserer Mensch: „Mitgefühl leben“, „Teamwork-Tee“, „Erleuchtung“. Bald gibt es bestimmt Tee für den Weltfrieden und gegen den Klimawandel. Wobei die Arbeitsbedingungen auf Schwarzteeplantagen laut einer Oxfam-Studie besonders menschenunwürdig sind.

Neoliberale Logik

Trauen wir Tee nicht ein bisschen viel zu? Und was soll das für eine neoliberale Logik sein: Wenn du nur genug Tee trinkst, kannst du dich selbst retten?

Es stimmt ja, dass Salbei gut für den Rachen ist, Fenchel die Verdauung befördert und die oft enthaltenen Polyphenole als Antioxidantien die Körperzellen vor Stress schützen. Auch das Ritual – Aufbrühen, Schlürfen, Hände an der Tasse wärmen – kann Ruhe oder Trost spenden. Aber wollen wir uns in diesen Tagen wirklich auf ein Ritual verlassen, das die Briten kultivieren?

Obacht auch bei Männern, die junge Frauen auf einen Tee einladen! Sie wählen Tee statt Kaffee (zu business), Tee statt Bier (zu auffällig), um zu zeigen, dass sie einfach nur reden wollen, dass alles väterlich, ganz harmlos gemeint ist. Ist es nie!

Leber und Speiseröhre in Gefahr

Eine Kanne Kräuteraufguss ersetzt keine Operation und keinen Therapiebesuch. Für die Behauptung, Matcha-Tee könne Krebs eindämmen, gibt es kaum wissenschaftliche Belege. Hingegen existieren Studien, die einen Zusammenhang zwischen Speiseröhrenkrebs und dem Konsum von über 60 Grad heißen Getränken nahelegen. Neben Pestiziden enthält Tee außerdem oft Pyrrolizidinalkaloide – Substanzen, die Pflanzen ausbilden, um sich gegen Tiere zu wehren und die der menschlichen Leber zusetzen können.

Doch es geht noch schlimmer: Wenn die Teetiteltexter bei einer dampfenden Tasse „Wild sein“ ihre Kreativität aufgetankt haben, legen sie erst richtig los: Dann erfinden sie Namen für Badesalz. Brühe bleibt Brühe.

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