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Im Einkaufscenter Mall of Berlin haben aufgrund der Coronakrise nur noch die Lebensmittelmärkte offen.

© Jürgen Engler

Lücke bei Corona-Finanzhilfen: Auch Großinvestoren wie Harald Huth von Krise betroffen

Schuhhändler Leinweber wird seine Miete in der Mall of Berlin von Harald Huth nicht zahlen können. Ärger über Lücken bei den Bundeshilfen eint Mieter und Vermieter dennoch.

Marc Leinweber und Harald Huth zählen zu den erfolgreichsten Unternehmern Berlins. Leinweber in vierter Generation mit bundesweit 65 Schuhgeschäften, darunter Marken wie Birkenstock. Huth errichtete als Bauherr und Investor ein halbes Dutzend der modernsten Einkaufszentren in der Stadt, darunter das „Schloss“ in Steglitz und die „Mall of Berlin“ am Leipziger Platz. Die Coronavirus-Krise hat beide schwer getroffen. Leinweber, der ohne Umsatz keine Miete mehr zahlen wird – auch nicht für sein Geschäft bei Huth. Und Huth, der als Mall-Betreiber auf fast alle Mieten verzichten muss. Allein gelassen fühlen sie sich aber beide – und zwar vom Bund.

Huth arbeitet weiter wie bisher

Harald Huth nimmt den Anruf des Tagesspiegels auf der Baustelle an. Er lässt ein Bürohaus am S-Bahnhof Tiergarten errichten, den „HGHI-Tower“ – ein Kürzel aus seinen Initialen und „House Invest“. Wie es ihm so geht? „Ich arbeite ganz normal weiter“. Drei Bauvorhaben laufen: Am Mariendorfer Damm, in Tegel und am Tiergarten. Auf den Baustellen herrscht aber keine Normalität: „Alle Firmen leiden, etwa 20 Prozent der Beschäftigten bleiben zu Hause“, sagt Huth.

Weil die Leute wegbleiben, sind die Unternehmen weniger leistungsfähig. Es kommt zu Verspätungen. Das kostet die Baufirmen Geld – und auch Huth: „Weil Projekte teurer werden, wenn sie später fertig werden.“

„Der Gesetzgeber lässt uns alle ziemlich im Stich“

Schimpfen mag Huth trotzdem nicht auf die Baufirmen – ebenso wenig wie auf die Mieter seiner Mall wie Leinweber, die nicht zahlen. Natürlich fordere er sie auf zu zahlen. Aber er sagt auch: „Wir können wenig machen, der Gesetzgeber lässt uns alle ziemlich im Stich.“

Marc Leinweber, Unternehmer und Schuhändler in vierter Generation.
Marc Leinweber, Unternehmer und Schuhändler in vierter Generation.

© Mike Wolff

Der ursprüngliche Gesetzentwurf zur Coronahilfe sah vor, dass auch alle Vermieter von ihren Banken eine Stundung des Kapitaldienstes von drei Monaten verlangen konnten. „Das hätte Vermietern und Mietern die Chance geboten, individuelle Lösungen zur Bewältigung der Krise zu finden“, sagt Huth. Nur, im finalen Gesetzestext wurde das gestrichen. „Jetzt lasten die Kosten der Krise auf der Wirtschaft.“

Wird der Mittelstand vernachlässigt?

Das sieht Marc Leinweber genauso: „Mittelständler wie uns hat die Politik gar nicht im Auge“. Zwar meldete die Senatsverwaltung für Wirtschaft am Mittwoch, Berlin habe bereits „über 900 Millionen Euro an mehr als 100 000 Corona-geschädigte Unternehmen“ ausgereicht. Doch die Verwaltung zählt auch auf, wer vor allem davon profitiert: „Freiberufler und Selbstständige, darunter eine große Anzahl Künstlerinnen und Künstler“.

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Barzuschüsse gibt es für Kleinstunternehmer bis etwa 50 Beschäftigte. Auch Konzerne wie Adidas profitieren von den erhöhten Staatsbürgschaften, weil die staatliche Absicherung deren Kreditkosten verringert. Aber Firmen wie die Leinweber-Gruppe mit 500 Mitarbeitern haben nur Zugang zum Kreditprogramm des Bundes. „Wir sollen, obwohl wir unverschuldet in diese Lage geraten sind, Haus und Hof verpfänden“, sagt der Unternehmer – um Mietschulden zu zahlen, weil der Staat die Schließung der Läden verfügte. „Wir leben von den Einkünften der Läden. Wenn die von heute auf morgen keine mehr erzielen, können wir unseren Kostenapparat nicht so schnell runterfahren, wie es erforderlich ist“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter.

Kurzarbeit bei Leinweber – aber Frühjahrskollektion muss bezahlt werden

Die Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Beatrice Kramm spricht von einer „Zuwendungslücke“ bei „Mittelständlern“ und nennt es das „dringendste Problem in der Krise. Denn diese Unternehmen „sichern in Berlin weit mehr als 150.000 Arbeitsplätze“.

Muss bald alles wirklich raus? Der Mittelstand fühlt sich in der Corona-Krise übergangen (Illustration).
Muss bald alles wirklich raus? Der Mittelstand fühlt sich in der Corona-Krise übergangen (Illustration).

© Martin Schutt/dpa

Leinweber schickte fast alle Mitarbeiter in Kurzarbeit. Aber die Frühjahrskollektion, die er vor sechs Monaten in gutem Glauben an einen normalen Saisonverlauf bestellte, wird trotzdem geliefert und muss bezahlt werden. Bezahlen muss er auch Leasingverträge für Fahrzeuge, Technik sowie Bosten.

Und selbst wenn die Läden nach Ostern wieder öffnen werden die Kunden dann noch die Mode der endenden Saison kaufen? Ohne Nachlass wohl eher nicht. Abgesehen davon, dass viele ohnehin weniger Geld haben, weil sie in Kurzarbeit sind oder ganz ohne Job dastehen.

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Das haben die Wirtschaftsweisen jedenfalls vorausgesagt. „Die Schließungsverfügung erfolgte wegen der Pandemie, und die ist unzweifelhaft höhere Gewalt, ein klassischer Fall von Staatshaftung“, sagt Leinweber. Dass der Staat nur Kredithilfen bietet, werfe die Wirtschaft weiter zurück. Kredite bedeuten für Firmen zusätzliche Kosten für die fälligen Zinsen. Das Geld fehlt an anderer Stelle: „Investitionen in Schulungen, IT, Digitalisierung und Läden-Modernisierungen muss ich dann zurückstellen“. Das werde die Konjunktur lähmen über das Ende des Shutdowns hinaus, statt sie zu beflügeln.

Kredite werfen die Wirtschaft weiter zurück

Sein Vermieter Huth sieht das genauso: „Die Bundesregierung hat entschieden, die Wirtschaft herunterzufahren und die Folgen auf die Wirtschaft abzuwälzen. Das ist nicht in Ordnung“. Zumal Huth voraussagt, dass die Kreditprogramme zum Rohrkrepierer werden könnten. Denn zehn bis 20 Prozent des Restrisikos für die staatlichen Corona-Hilfskredite bleiben bei den Geschäftsbanken hängen.

Was überschaubar klingt, geht in die Milliarden, wenn zigtausend Firmen geschädigt sind und die Hilfen beanspruchen. Hinzu kämen die hohen Hürden bei der Beantragung der Hilfen: Einige Banken verlangten die Bilanz des vergangenen Jahres. Aber welche Firma hat im ersten Quartal schon die Abschlüsse des eben erst vergangenen fertiggestellt?

Banken warnen vor Inanspruchnahme der Hilfen

Andere Banken warnten gar vor der Inanspruchnahme der Hilfen. In der Wirtschaft gibt es viele Geschichten über das schwierige Verhältnis zwischen Geschäftsbanken und KfW. Die privaten Geldhäuser zögern, die Kredite mit staatlichen Garantien überhaupt auszuzahlen, weil sie fürchten, im Fall der Zahlungsunfähigkeit ihres Kunden die staatlichen Bürgschaften selbst einklagen zu müssen. Ein gewaltiger Aufwand und viel Ärger. Wer will das schon? „Das Schlimmste ist, dass die Politik unsere Branche gar nicht wahrnimmt, obwohl alle Bürger täglich in der Innenstadt an Einzelhandelsflächen vorbeikommen“, sagt Leinweber. Falls wirklich keine weiteren Hilfen kommen, „bricht die Kultur des kleinteiligen Einzelhandels ganzer Innenstädte weg“.

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Davor warnt auch der Chef des Berliner Einzelhandelsverbands Niels Busch- Petersen: „Ich will mir nicht ausmalen, wie die Innenstädte aussehen, wenn erst die Läden, dann die Vermieter in die Knie gehen und die Banken auf den Grundstücken sitzen bleiben“. Er fordert von der Politik einen „konsequenten und mutigen Rettungsfonds für den Einzelhandel“.

Der Vorschlag – staatlich verbürgte und gezielte Kredite

Wären damit nicht die Staatsfinanzen überfordert? Nicht unbedingt, meint Leinweber. Sein Vorschlag: Hilfskredite nicht „mit der Gießkanne“ ausschütten, sondern gezielt zu gewähren. Firmen in Not sollten Kredite erhalten, die zu 100 Prozent vom Staat verbürgt sind, damit die Banken keine Ausfälle fürchten müssen. So könnten die Firmen den Shutdown überstehen. Im kommenden Jahr müssten sie dann eine Bilanz des Krisenjahres im Vergleich zu 2019 vorlegen und den Nachweis der epidemiebedingten Verluste führen. Diesen Anteil des Kredits wandelt der Staat dann in einen Zuschuss um.

Beim Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hieß es, Anpassungen der Hilfsgesetze seien „aktuell nicht vorgesehen“. Mieter seien „gut beraten, mit ihren Vermietern nach einvernehmlichen Lösungen zu suchen, wenn sie in Zahlungsschwierigkeiten sind.“

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