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Die Tauentzienstraße wurde am Nachmittag langsam voller.

© Fabian Sommer/dpa

Lockdown in Berlin: So lief der letzte Shopping-Tag

Am Hermannplatz ist es voll, andernorts gähnend leer. Ein Rundgang durch Berlin am Tag vor dem harten Lockdown.

Gudrun Marschke hat schnurstracks die Taschenabteilung im Erdgeschoss hinter sich gelassen und ist mit der Rolltreppe in den fünften Stock gefahren. Unten, zwischen Ständen von Dior und Chanel, tummeln sich schon um kurz vor zwölf am Dienstagmittag etliche Kundinnen und Kunden im „Galeria Kaufhof“ am Alexanderplatz. Es ist der letzte Tag, an dem analoges Geschenkeshopping möglich ist.

Ab Mittwoch gibt es wegen des bundesweit startenden Lockdowns nur noch Drogerieduschgel, Lektüre aus den weiterhin geöffneten Buchhandlungen oder die Hoffnung, dass der Postbote die Online-Einkäufe bis Heiligabend liefert – sonst bleibt es unterm Tannenbaum leer.

Gleiche Kette, anderer Ort: Bei Karstadt am Hermannplatz ist es schon am Montagabend proppenvoll. Menschen schieben sich durch die Gänge, stoppen an einer Auslage, gehen plötzlich weiter, halten wieder an einem der vielen Stände an. Als wäre der Andrang am vorletzten Tag vor dem Lockdown nicht genug, tut die beengte Architektur das Übrige, um die Situation zu verschärfen.

Kaufhäuser sind dafür konzipiert, Anreize zum Stöbern zu bieten. Beim Gang zwischen den Regalen und Tischen soll die Kundschaft möglichst oft stehenbleiben. In Pandemiezeiten scheint das ein eher nachteiliges Konzept zu sein. Es herrscht Chaos.

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Trotzdem ist die Stimmung bei den meisten Anwesenden gut. „Gutes Durchhalten“, wünscht ein Mann einer Mitarbeiterinnen an der Kasse.

Die freut sich: Ebenfalls, Ihnen auch. Und bitte gesund bleiben. Im Erdgeschoss bei einem Drogeriemarkt, drängen sich die Menschen vor den Fotoautomaten, wollen offenbar Erinnerungen verschenken. Eine Frau hat den Überblick verloren, wer zuerst da war und wer später kam. Ein paar nette Gesten, bringt ja nichts: „Muss man eben etwas mehr Geduld mitbringen.“

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Zurück im Kaufhaus am Alexanderplatz: Gudrun Marschke ist 78 Jahre alt und hat noch nie etwas im Internet bestellt, das wird auch dieses Jahr so sein. Sie kauft Pralinen und Likör. Die Schließung des Einzelhandels sei nervig, aber unvermeidbar, sagt sie. „Man hat jetzt vieles vor Weihnachten noch nicht erledigt.“ Aber damit müssten alle klarkommen und wenn man sich das Infektionsgeschehen so anschaue, dann hätte der Lockdown schon früher beginnen sollen.

Tatsächlich meldet die Senatsgesundheitsverwaltung am Dienstag mit 53 Fällen so viele Corona-Tote wie noch nie in 24 Stunden. „Die Ministerpräsidenten sollten sich alle mal Asche auf das Haupt streuen, die haben zu spät gehandelt und alle nur an sich selbst gedacht“, findet Gudrun Marschke und verlässt wenig später die Filiale durch die großen Schwingtüren im Erdgeschoss.

„Nicht so voll wie am Black Friday“

Im Vorraum – ein Schwall warme Luft trifft das Gesicht – beobachtet ein Sicherheitsmann die ein- und austretenden Kunden. Er sagt, dass die Kapazitätsgrenze von 1500 Personen noch nicht erreicht ist. Seiner Einschätzung nach war es am Montag zur gleichen Zeit ungefähr genau so voll. Draußen auf dem Alexanderplatz haben sich unterdessen Schlangen vor C & A und Primark gebildet. Auf einem Zettel an der Primark-Glastür steht, dass maximal 302 Kunden gleichzeitig im Laden sein dürfen. Mathilda überquert mit zwei Klassenkameraden den Platz. „Das ist ja gar nicht so voll“, stellt sie fest. Sie muss es wissen: Der Alexanderplatz liegt auf ihrem Schulweg. „Am Black Friday war auf jeden Fall mehr los“, sagt die Zwölfjährige.

Ob sie sich Sorgen macht, dass zu wenige Geschenke unter dem Tannenbaum liegen? Nein, absolut nicht. „Ich mache mir nur Sorgen, dass ich meine Großeltern nicht sehen kann.“ Das letzte Treffen sei schon viel zu lange her.

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In der U 5 vom Alexanderplatz in Richtung Osten sind die Waggons am Mittag schon gut gefüllt, viele Passagiere haben Einkaufstüten dabei.

Dennoch ist oberirdisch im Shoppingcenter Alexa an diesem Dienstag zumindest tagsüber alles entspannt. Doch eine Verkäuferin des italienischen Unterwäsche-Geschäfts Intimissimi sagt: „Gestern war es krass voll, besonders am Abend.“ In ein paar Stunden rechne sie wieder mit einem Ansturm. Wurden die Vorsichtsmaßnahmen für die letzten Shoppingtage verändert? Nein, wie in den Vorwochen gelte: „Kundinnen sollen sich beim Hereinkommen die Hände desinfizieren und dann haben wir noch ein Hygienespray für die anprobierten Klamotten.“

Gähnende Leere in der Mall of Berlin

Einige Kilometer weiter, am Leipziger Platz, herrscht um die Mittagszeit sogar noch gähnende Leere. Im Ostteil der Mall of Berlin schlängelt sich eine Rutsche die Stockwerke runter. Unten ist sie zugeklebt, kein Kind ist zu sehen. Ein Mitarbeiter im Fanshop des FC Bayern München sagt: „Das ist hier seit drei Jahren so leer.“ Ob Corona ist oder nicht, spüre man kaum. Auch für den Nachmittag erwarte er keinen großen Andrang mehr. „Das Internet tut schon sein Übriges." Auch in den umliegenden Läden, bei Sportscheck oder Nike, sind wenig Kunden zu sehen. Im Westteil der Mall sagt eine Mitarbeiterin an der Information: „Gestern war es abends relativ voll.“ Besonders beliebt seien die Buchläden, die Parfümerie und der Haushaltswarenladen WMF gewesen.

Im Herzen der City West, rund um den Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße, gab es Dienstagvormittag nur eine nennenswerte Warteschlange, nämlich vor dem Apple Store. Zeitweilig übten sich hier etwa 30 Kundinnen und Kunden in Geduld – der Apple Store hat schon größere Anstürme erlebt. Tatsächlich müssen die Leute vor allem vor der Tür warten, weil Sicherheitsleute den Einlass regulieren, um innen ein Gedränge zu vermeiden.

Entspannte Einkäufe waren bei Karstadt am Kurfürstendamm möglich.
Entspannte Einkäufe waren bei Karstadt am Kurfürstendamm möglich.

© Cay Dobberke

Im KaDeWe am Wittenbergplatz sagt eine Angestellte, am Montag sei „deutlich mehr“ als am Dienstag los gewesen. Heute „ist es definitiv ruhiger als gestern und am letzten Sonnabend“, bestätigt auch ein Verkäufer der Buchhandlung Hugendubel im Europa-Center. Bei Karstadt am Kurfürstendamm entspricht die Kundenzahl dem Anschein nach höchstens einem normalen Sonnabend. Die zehn Schausteller auf dem Breitscheidplatz müssen ihre weihnachtlichen Stände am Mittwoch schließen – und zwar nicht nur die Glühweinbuden. Als Teilersatz für den abgesagten Weihnachtsmarkt um die Gedächtniskirche hatte das Bezirksamt dort seit dem 2. Dezember zehn „mobile Verkaufsstätten“ und weitere 15 an anderen Orten in Charlottenburg-Wilmersdorf genehmigt. Die neuesten Lockdown-Regeln sehen keine solchen Ausnahmen mehr vor. Ohne den Alkoholausschank im Freien, der stadtweit verboten wird, hätte sich der Getränkeverkauf auch gar nicht mehr gelohnt, sagen zwei Gastronomen.

Der letzte Glühwein. Alle zehn Weihnachtsbuden auf dem Breitscheidplatz müssen ab Mittwoch abgebaut werden.
Der letzte Glühwein. Alle zehn Weihnachtsbuden auf dem Breitscheidplatz müssen ab Mittwoch abgebaut werden.

© Cay Dobberke

Die Maskenpflicht im Freien wird am Ku’damm und in der Tauentzienstraße jedoch massenweise ignoriert. Grob geschätzt, ist mindestens jede zehnte Person ohne Mund-Nasen-Schutz unterwegs. Hier kontrolliert aber auch niemand – oder höchstens ganz vereinzelt. Nur an wenigen Stellen hat das Ordnungsamt die Gehwege mit Maskensymbolen markiert.

Lange Schlangen bildeten sich am Dienstag vor allem vor Postfilialen, etwa am Frankfurter Tor – vom Eingang an der Warschauer Straße bis um die Ecke auf der Frankfurter Allee. Viele Wartende hatten Pakete dabei. Auch vor der Post in den sonst schon trubeligen Neukölln Arcaden hieß es: Bitte gedulden. Ein paar hundert Meter weiter runter auf der Karl-Marx-Allee gab es vor H&M und TK Maxx noch längere Schlangen als üblich .

Vor Weihnachten noch schnell schick machen, auch das war für viele ein letztes Ziel vor dem Lockdown. Den Friseursalons wird das lukrative Weihnachtsgeschäft fehlen. Viele versuchten jetzt, noch einmal Umsatz zu machen. So hatte ein Friseur an der Danziger Straße in Prenzlauer Berg am Montag von 10 bis 24 Uhr geöffnet, sonst ist montags dort Ruhetag. Auch am Dienstag wollte man von 10 bis mindestens 23 Uhr waschen, schneiden, legen. Zum Teil wurden Kunden vorgezogen, die erst später in der Woche einen Termin gehabt hätten.

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