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Ein OP-Saal bleibt normalerweise von den Blicken der Öffentlichkeit verborgen - mit Ausnahme dieses Sonnabends.

© Edgar Zippel/promo

Live-Übertragung einer Herz-OP: Die Operation kommt ins Wohnzimmer

Johannes Albes, Chefarzt im Herzzentrum Brandenburg, über multiresistente Keime und den Anlass der gefilmten OP: die Endokarditis.

Am heutigen Sonnabend überträgt der Tagesspiegel im Internet Livebilder aus den Operationssälen des Herzzentrums Brandenburg in Bernau. Der Livestream wird von 10 Uhr bis 12.30 Uhr auf tagesspiegel.de/gesundheit zu sehen sein.

Die Videoübertragung werden der Chefarzt der Kardiologie des Herzzentrums Brandenburg, Christian Butter, und der Chefarzt der Herzchirurgie, Johannes Albes, laienverständlich kommentieren.

Im Interview erklärt Johannes Albes, was eigentlich eine Endokarditis ist und was Zuschauer von der Videoübertragung erwarten dürfen.

Herr Albes, vor wenigen Tagen wurde eine Studie publik, die eine Zunahme von Infektionen mit multiresistenten Keimen in der EU belegt, vor allem in Krankenhäusern. Haben Kliniken ein Hygieneproblem?

Hinsichtlich der multiresistenten Keime muss man differenzieren. Ein großer Teil dieser Keime stammt aus der industriellen Tiermast, weil dort tonnenweise Antibiotika verabreicht werden. Menschen, die dort beschäftigt sind, und deren Angehörige tragen an ihrem Körper sehr viel häufiger multiresistente Bakterien. Solange sie gesund sind, ist die Bazille genauso gefährlich wie eine andere auch. Wenn diese Menschen im Krankenhaus sind, immunschwach werden und plötzlich kein Antibiotikum mehr greift, dann haben wir das Problem.

Kritiker sagen, die Kliniken könnten mit Maßnahmen wie einer flächendeckenden Untersuchung, einem sogenannten Screening, aller neuaufgenommenen Patienten und einer gründlicheren Händedesinfektion die Keime noch besser eindämmen.

Vor ein paar Jahren hieß es tatsächlich: Die Keime züchten wir uns in den Krankenhäusern. Aber hier muss man eine Lanze brechen für unsere Kliniken und die Aufsicht führenden Behörden. Die haben mit gemeinsamen Anstrengungen die Hygiene und Kontrolle so verbessert, dass wir im Moment eine stabile Situation und ein Niveau haben, mit dem wir umgehen können. Klar ist aber auch: Man kann gar nicht genügend Handhygiene betreiben. Alle sind aufgerufen, die Standards vollumfänglich und darüber hinaus zu erfüllen. In unserer Klinik screenen wir Patienten, die aus anderen Kliniken und Pflegeeinrichtungen zu uns kommen. Ein flächendeckendes Screening wäre eine finanzielle und logistische Herausforderung, aber ein solches Gesetz würde ich begrüßen. Im Übrigen sind auch viele Angehörige von Patienten mit den Hygienevorschriften nicht so vertraut. Auch da sind wir aufgerufen, ein Bewusstsein zu schaffen. Das wollen wir mit unserer Liveübertragung aus dem OP am Sonnabend tun.

Im Mittelpunkt der Videoübertragung steht die Endokarditis, also eine Entzündung der Innenhaut der Herzkammern und der Herzklappen. Seit Jahren beobachten Ärzte eine Zunahme der Erkrankungen. Gibt es da einen Zusammenhang mit der steigenden Zahl an Infektionen mit multiresistenten Erregern?

Ja, das ist so. Die Zunahme der Endokarditis-Infektionen wird aber durch verschiedene Faktoren bestimmt. Erstens sind die Patienten älter und kränker. Sie haben häufiger schon eine OP hinter sich und tragen zum Beispiel einen Herzschrittmacher, einen Defibrillator oder einen Katheter, über den dauerhaft Medikamente gegeben werden. Der zweite Faktor sind die aktuellen Behandlungsleitlinien. Diese sind aus der Sorge vor multiresistenten Keimen dahingehend verschärft worden, dass man bei bestimmten Behandlungen, die eine Endokarditis verursachen könnten, lieber weniger und später Antibiotika zur Prophylaxe gibt als früher. Das ist an sich ein guter Gedanke, aber Patienten mit Implantaten oder Immunschwäche tragen dadurch ein größeres Risiko, an einer Endokarditis zu erkranken.

Welche Patienten sind noch gefährdet?

Der typische Hochrisikopatient ist ein älterer Patient, der Nebenerkrankungen hat, zum Beispiel eine Dialysepflicht, oder dem Implantate eingesetzt wurden. Das können sein: elektronische Geräte wie Herzschrittmacher oder Defibrillatoren, künstliche Ventile zum Ersatz der eigenen Herzklappen oder künstliche Gelenke aus Metall. Diese können sich in einer Situation, in der der Patient eine schlechte Immunlage hat, infizieren.

Das ist besonders gefährlich für Patienten, die bei fieberhaften Infektionen oder Eingriffen, bei denen Blut fließt, kein Antibiotikum zum Schutz vor einer Endokarditis bekommen haben. Bazillen dringen dann ins Blut des Patienten ein und suchen nach einem Ort, an dem sie sich am besten niederlassen können. Sie finden das Implantat, setzen sich dort nieder und erfahren keinen Widerstand, weil es kein natürliches Gewebe gibt, das sie abstößt. Ich habe unlängst zwei junge Frauen behandeln müssen, die sich ein Piercing hatten stechen lassen. Dieses hat sich entzündet, darüber ist es letztendlich zu einer Endokarditis gekommen.

Johannes Albes leitet seit 2003 als Chefarzt die Abteilung für Herzchirurgie am Immanuel Klinikum Bernau.
Johannes Albes leitet seit 2003 als Chefarzt die Abteilung für Herzchirurgie am Immanuel Klinikum Bernau.

© Foto

Sie sagten, dass Antibiotika für die Endokarditis-Prophylaxe seltener zum Einsatz kommen. Gilt das auch, wenn die Erkrankung bereits ausgebrochen ist?

Schon wenn der Verdacht auf eine Endokarditis besteht, muss antibiotisch behandelt werden, das ist zwingend notwendig. Unmittelbar nach der Blutabnahme zur Sicherstellung der Art des Erregers werden mehrere Antibiotika gegeben, um einen ersten wirksamen, breiten Schuss gegen die Bazillen zu setzen, noch ohne zu wissen, welche es genau sind. Wenn man den Erreger dann kennt, kann man gezielt mit nur noch einem Antibiotikum behandeln.

Warum befallen die Bakterien ausgerechnet die Herzklappen?

Das natürliche Herzklappengewebe sind ganz dünne, durchscheinende Häutchen. Die sind natürlich nicht so immunaktiv wie zum Beispiel die Innenhaut über einem Muskel, wo sich viele Blutgefäße befinden, die Abwehrzellen heranschaffen können. Bei Implantaten ist das noch schlimmer. Bis die Zellen die Bakterien entdeckt haben, haben die sich bereits eingenistet und verkapselt.

Welche Behandlungen bekommen die Zuschauer des Livestreams am Sonnabend konkret zu sehen?

Wir werden zeigen, wie eine befallene Herzklappe ausgetauscht wird unter möglichst sorgfältiger Mitnahme aller betroffenen Gewebe. Dafür öffnen wir den Brustkorb und schließen den Patienten an eine Herz-Lungen-Maschine an. Und unser Kardiologe wird zeigen, wie man mit einem kathetergestützten Eingriff ein infiziertes Schrittmachersystem mit den entsprechenden Elektroden entfernt.

Seit 2003 übertragen Sie am Tag des Herzzentrums live aus dem OP. Haben Sie keine Angst, dass mal etwas schiefgehen könnte?

Wir machen nichts anderes als das, was wir sonst auch machen würden – wir filmen es nur. Was wir natürlich nicht zeigen, sind Höchstrisikofälle mit ganz ungewissem Ausgang. Es handelt sich um Patienten, bei denen wir sicher sind, dass das, was wir machen, auch gut klappt.

Was sollen die Zuschauer an Erkenntnissen daraus mitnehmen?

Die Übertragung ist immer mehr ein Format für den interessierten Laien geworden. Viele Menschen haben etwas im Körper sitzen, ob Total-Endoprothese, Herzklappe oder einen Schrittmacher. Wir wollen die Bürger sensibilisieren, wie man eine Infektion vermeiden kann.

Johannes Albes leitet seit 2003 als Chefarzt die Abteilung für Herzchirurgie am Immanuel Klinikum Bernau und ist Professor für Kardiochirurgie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg.

Hauke Hohensee

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