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Lebenslange Haft. Gegen das Urteil dürften die Anwälte des Angeklagten Mario K. in Revision gehen.

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Update

Live-Report vom Maskenmann-Prozess: Lebenslange Haft - Politik fordert Neuanfang bei der Polizei

Wegen der vielen Pannen im "Maskenmann"-Prozess fordert Brandenburgs Politik jetzt Konsequenzen bei der Polizei. Der Innenminister verspricht Aufklärung. Der Richter hält die Indizien gegen Mario K. dennoch für schlüssig und verurteilt ihn zu lebenslanger Haft. Die Verteidigung geht in Revison.

Nach dem Urteil im Maskenmann-Prozess, bei dem der frühere Berliner Dachdecker Mario K. in einem Indizienprozess zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden ist, fordern Politiker in Brandenburg einen Neuanfang bei der Polizei.

"Brandenburgs Polizei steckt in einer Vertrauenskrise", sagte Ursula Nonnemacher, die Grünen-Innenexpertin im Landtag, dem "Tagesspiegel" am Freitag. Nonnemacher forderte einen "unabhängigen Polizeibeauftragten" im Land. Der könne Anlaufstelle für Bürger und für Polizisten sein, wenn es zu internen Konflikten komme. Die Grünen erwägen, einen Untersuchungsausschuss zum "Maskenmann"-Fall zu fordern. Einen Beschluss dazu gibt es nicht, Nonnemacher wäre aber dafür. "Ich persönlich halte die Vorwürfe für Wert, in einem Untersuchungsausschuss beleuchtet zu werden."

Der Innenminister verspricht eine Aufarbeitung

Innenminister Karl-Heinz Schroeter (SPD) sagte dem "Tagesspiegel", dass es eine polizeiinterne Nachbereitung der Maskenmann-Ermittlungen geben wird. "Wir werden uns in Ruhe anschauen, was nicht gut gelaufen ist." Es müsse ausgewertet werden, was in den Strukturen, in der Zusammensetzung der Teams nicht optimal gewesen sei. Schröter wies auf den Zusammenhang zwischen einem guten Binnenklima und Polizeiarbeit hin. "Auch Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist ausschlaggebend für Arbeitserfolge." Er werde auch jene Experten an den Tisch holen, die im Bereich Mobbing aktiv seien.

Im Maskenmann-Prozess hatten Ermittler als Zeugen von massiven Spannungen in der Soko "Imker" berichtet, auch vom Druck von Vorgesetzten, einseitig zu ermitteln. "Das sind schwerwiegende Vorwürfe, die den Kern des rechtstaatlichen Handelns berühren", sagte Nonnemacher. Sie forderte außerdem eine zügige Neubesetzung des nur kommssarischen besetzten Posten des Landespolizeipräsidenten. Der frühere Polizeipräsident - auch während der Maskenmann-Ermittlungen - war Ex-Innenstaatssekretär Arne Feuering, der mittlerweile in ein anderes Ministerium als Abteilungsleiter versetzt wurde. Schon während des Verfahrens hatten auch die CDU-Opposition und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine Aufklärung der Polizeidefizite bei den Maskenmann-Ermittlungen gefordert.

Urteil: Lebenslang und Schmerzensgeld

Im Maskenmann-Prozess war am Freitagmorgen ein hartes Urteil gefallen. Trotz vieler im Prozess laut gewordener Zweifel an den Ermittlungsmethoden der Polizei und umstrittener Indizien wurde der frühere Berliner Dachdecker Mario K. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihm werden zwei Überfälle auf eine Unternehmerfamilie 2011 und die Entführung eines Investmentbankers 2012 im Berliner Umland zur Last gelegt. Das Landgericht Frankfurt (Oder) verurteilte den 47-Jährigen wegen versuchten Mordes und versuchter räuberischer Erpressung zudem zu einem Schmerzensgeld von 250.000 Euro. Bei einem Überfall war ein Sicherheitsmann angeschossen worden, der seitdem im Rollstuhl sitzt.

Das Urteil selbst wollten Politiker, ob aus Regierungskoalition oder Opposition, nicht bewerten. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte dem Tagesspiegel: "Die Justiz in Brandenburg ist unabhängig. Deshalb werde ich ein Urteil nicht kommentieren." Doch regierungsintern ist dem Vernehmen nach durchaus Erleichterung spürbar, dass es mit dem Lebenslang-Urteil keine neue Schlappe für die Ermittlungsbehörden gab, es sei Druck raus, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Richter: Der Angeklagte war schon früher im Sumpf

Tatwerkzeug. Mit diesem Kajak soll der Maskenmann sein Opfer verschleppt haben. Im Gerichtssaal wurde das Boot herausgeputzt präsentiert.
Tatwerkzeug. Mit diesem Kajak soll der Maskenmann sein Opfer verschleppt haben. Im Gerichtssaal wurde das Boot herausgeputzt präsentiert.

© picture alliance / dpa

Im reinen Indizienprozess zählte Richter Matthias Fuchs mehrere Argumente auf, die aus seiner Sicht für eine Täterschaft von Mario K. sprechen würden. Wichtigstes Indiz seien dessen Vorverurteilungen in zurückliegenden Jahren. So habe der Angeklagte schon 2004 eine „ähnliche Begehungsweise von Straftaten“ praktiziert.  Damals habe er sich beim Diebstahl von Bootsmotoren im Berliner Umland genau wie bei der Entführung 2012 im Sumpfgebiet aufgehalten. „So viele Menschen gibt es nicht in Brandenburg, die sich derart verhalten“, meinte der Richter. Bei seiner Festnahme sei das Gesicht geschwärzt gewesen, also hinter einer Maske verborgen. Außerdem habe er Einweghandschuhe und Plastikbeutel um seine Schuhe zum Schutz vor Feuchtigkeit getragen.Und genau wie später im Oktober 2012 sei er mit einem Kajak zum Transport des Diebesgutes unterwegs gewesen.

Das Motiv: "Hass auf Reiche"

Auch die Verwendung einer Pistole des tschechischen Typ Cseka spreche aus Sicht des Gerichts für eine Täterschaft von Mario K. Schließlich habe dieser 1998 mit einem solchen Waffentyp in Berlin um sich geschossen. Weitere Indizien seien mehrere Aussagen von Zeugen gewesen, die Mario K. in der Nähe der Tatorte gesehen und ihn vor Gericht wiedererkannt haben. Auch das Entführungsopfer Stefan T. habe die Stimme von Mario K. aus sieben verschiedenen Stimmen herausgefunden.

Die körperlichen Einschränkungen, die von Gutachtern vor Gericht bestätigt worden waren, trugen nach Auffassung des Richters nicht zur Entlastung des Angeklagten bei. Dieser sei durchaus in der Lage, sich auch im unwegsamen Gelände zu bewegen. Als ein Motiv seiner Taten nannte der Richter den „Hass auf Reiche“. Alle Indizien, seien sie auch einzeln nicht sehr stark, addierten sich zu einer Gesamtschau, die das Gericht zu diesem Urteil veranlasst hätten.

Die Verteidigung geht in Revison

Mario K. nahm das Urteil ohne erkennbare äußere Regung auf. Sein Verteidiger, Axel Weimann, kündigte nach der zweistündigen Urteilsbegründung Revision an. "Die Gesamtschau des Richters kann ich nicht nachvollziehen", sagte Weimann. Das Urteil sei noch längst nicht rechtskräftig. „Ich als Richter hätte nicht so entschieden“, sahgte Weimann. In der Urteilsbegründung habe er nicht einen Punkt gehört, der ihn überrascht hätte.

Auch die Anwälte der während der Überfälle verletzten Personen kündigten eine Prüfung des Urteils an.

Tatwerkzeug: das verschleppte Kajak, wie es die Polizei fand. Muscheln waren darauf, sie wurden aber nie richtig untersucht.
Tatwerkzeug: das verschleppte Kajak, wie es die Polizei fand. Muscheln waren darauf, sie wurden aber nie richtig untersucht.

© Tagesspiegel

Das spektakuläre Verfahren dauerte mehr als ein Jahr. Während die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft wegen versuchten Mordes und versuchten Totschlags forderte, plädierte die Verteidigung auf Freispruch. Bei allen Überfällen trug der Täter eine Art Imkermaske.

Die Nebenkläger forderten zusätzlich zur Haftstrafe eine Sicherheitsverwahrung für den mehrfach vorbestraften Mario K. Die Anwälte des Angeklagten kritisierten fehlende direkte Beweise, das unklare Motiv ("Hass auf Reiche") und Mängel bei der Ermittlungsarbeit, der mehrfach vorbestrafte Mario K. sei demnach nicht der Täter. Zu Beginn des Prozesses hatte K. die Taten abgestritten.

Kritische Polizisten wurden versetzt und abgezogen

Der Fall ist einer der spektakulärsten Kriminalfälle der Bundesrepublik – nicht nur wegen der Taten, die die teuerste Fahndung in der Geschichte Brandenburgs auslösten. Sondern auch wegen der Ermittlungen der Polizei, mit denen sich das Gericht an der Hälfte der mehr als 50 Verhandlungstage befasste. Polizisten standen im Kreuzverhör, das Sittenbild einer Mordkommission entstand: Von Mobbing, Maulkorb und vorenthaltenen Ermittlungsergebnissen war die Rede. Vier Ermittler, die in alle Richtungen ermitteln wollten, wurden vom Fall abgezogen und teils versetzt. Einer hat sich selbst wegen Strafvereitelung im Amt angezeigt. Zu den Ermittlungen der Polizei äußerte sich der Richter in seiner Urteilsbegründung mit keinem Wort.

"Das Opfer hat sich die Entführung nicht ausgedacht"

Der Vorsitzende Richter Matthias Fuchs ließ am Freitag keinen Zweifel an der Entführungsgeschichte des Berliner Investmentbankers Stefan T. „Es gibt keine Widersprüche in den Aussagen“, sagte Fuchs in der mündlichen Urteilsbegründung. Nach eigenen Angaben war Stefan T. unter Waffengewalt in seiner Villa am Storkower See entführt worden, um von ihm eine Million Euro zu erpressen. Mehrere Polizisten der Sonderkommission hatten den geschilderten Ablauf der Entführung im Oktober 2012 in Zweifel gezogen. Sie waren daraufhin von den Ermittlungen abgezogen worden.

Viele Spuren am See wurden nicht untersucht

Der Richter glaubt dagegen Stefan T. So eine Geschichte würde sich niemand ausdenken. Wer lüge, könne in einer Geschichte nicht hin- und herspringen. Genau das habe aber Stefan T. in seinen Befragungen getan. „Er hat sich das nicht ausgedacht“, erklärte der Richter. Dafür würden auch zahlreiche Pannen sprechen, von denen das Entführungsopfer gesprochen habe. Das komme bei einer erdachten Geschichte nicht vor. 

Unklarheiten gab es bei in einigen Punkten aus der Aussage des 2012 entführten Managers, der sich nach 33 Stunden im Sumpf am Storkower See nach eigenen Angaben selbst befreien konnte. So konnte sich Stefan T. nicht mehr genau erinnern, ob er mit verbundenen Augen über einen Zaun geklettert war oder nicht. Auch zum Tatwerkzeug, einem Kajak, gab es unterschiedliche Angaben. Nach der Tat war das Kajak nicht eingehend von der Polizei auf Spuren untersucht worden, ebenso wurde eine medizinische Untersuchung von Stefan T. unterlassen.

Suche nach dem Täter. Die Polizei präsentierte 2011 ein Phantombild vom Maskenmann in Tarnkleidung.
Suche nach dem Täter. Die Polizei präsentierte 2011 ein Phantombild vom Maskenmann in Tarnkleidung.

© picture alliance / dpa

Die Staatsanwaltschaft ging für alle drei Taten von einem Täter aus. Der Richter führte dazu am Freitag aus: Bei seinen ersten beiden Überfällen auf die Unternehmensfamilie in Bad Saarow 2011 soll demnach Mario K. versucht haben, zuerst die Ehefrau und danach die Tochter zu entführen. Davon ist jedenfalls das Landgericht in Frankfurt (Oder) überzeugt. Der Angeklagte habe aber gemerkt, wie schwierig es sei, Frauen zu entführen. Deshalb habe er sich ein Jahr später dazu entschlossen, einen ebenfalls wohlhabenden Mann zu überfallen und ihn zu erpressen.

In einem Dossier hatte der Tagesspiegel Mitte Mai auf neue Widersprüche und Indizien aufmerksam gemacht, worauf das Gericht noch einmal überraschend in die Beweisaufnahme eingetreten war, um auch einen kurzzeitig ins Visier geratenen Ex-Polizisten zu überprüfen. Ein DNA-Abgleich hatte allerdings kein Ergebnis gebracht.

Die Staatsanwaltschaft argumentierte dagegen mit einer Pyramide der Indizien, an dessen Spitze nur noch Mario K. als Verdächtiger übrig bleibe.

Das Strafmaß im Einzelnen - eine Übersicht

So hat der Richter das Strafmaß festgelegt - eine Übersicht:

August 2011:

Überfall in Bad Saarow auf Frau P.: 4 Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung

Die Überfallene leidet noch an Sehstörungen und hat bleibenden Narben.

Oktober 2011:

Überfall auf die Tochter der Familie P. in Bad Saarow:

Versuchter Mord in Verbindung mit versuchtem räuberischem Menschenraub: Lebenslange Freiheitsstrafe

Der Personenschützer wurde so stark durch den Schuss verletzt, dass er querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt ist. Der Mann sei nach Auffassung des Gerichts stark in seiner Lebensqualität eingeschränkt  

Oktober 2012:

Überfall auf Stefan T. In Storkow: 10 Jahre Freiheitsstrafe wegen räuberischen Menschenraubs

Gesamtstrafe:

Lebenslange Freiheitsstrafe und Schmerzensgeld in Höhe von 250 000 Euro an den verletzten Personenschützer.

Das Tagesspiegel-Dossier zu Widersprüchen, Hintergründen und Indizien zum Maskenmann-Fall finden Sie hier.

Ein riesiges Aufgebot der Polizei suchte nach dem Tatverdächtigen. Zwar waren zahlreiche Hinweise eingegangen, die Ermittlungsarbeit war aber mühsam.
Ein riesiges Aufgebot der Polizei suchte nach dem Tatverdächtigen. Zwar waren zahlreiche Hinweise eingegangen, die Ermittlungsarbeit war aber mühsam.

© Thomas Schröder

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