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Alfred Döblin mit dem Bildhauer Harald Isenstein. Das Foto entstand um 1930 in Döblins Wohnung in der damaligen Frankfurter Allee 340. Die heutige Adresse wäre Karl-Marx-Allee 129 oder 130.

© Landesarchiv Berlin FRep.290 (04) Nr. 0314518

Literaturstadt Berlin: Auf den Spuren Alfred Döblins

Der Autor Michael Bienert folgt dem Erfinder des Franz Biberkopf

Von Andreas Austilat

Die zwanziger Jahre haben Konjunktur, kaum ein Jahrzehnt steht derzeit so im Fokus wie diese rauschhafte Zeit, in der Berlin zu einer der größten Metropolen der damaligen Welt aufstieg. Nicht zuletzt zu beobachten beim Hype um „Babylon Berlin“, einen Krimi-Mehrteiler, den kaum ein gewöhnlicher Fernsehzuschauer bisher sehen konnte.
Für das Fernsehen erstand die Zeit aus Pappe neu. Doch hier geht es um das Echte. Michael Bienert, Berlins vielleicht versiertester Stadtspaziergänger, hat sich auf Spurensuche begeben, als Leser, Archäologe und Detektiv. Und er hatte den besten Reiseführer, den man sich denken kann: Alfred Döblin, Autor von „Berlin Alexanderplatz“, dem Großstadtroman schlechthin, vergleichbar allenfalls mit „Manhattan Transfer“ von John Dos Passos. Was allein schon zeigt, in welcher Liga die deutsche Hauptstadt damals unterwegs war.

Ein neuer Band in der literarischen Stadtgeschichte des Autors

„Döblins Berlin“ fügt sich ein in Michael Bienerts literarische Stadtgeschichte, in der seine Bände „Kästners Berlin“ und „E.T.A. Hoffmanns Berlin“ vorangingen. Und obwohl Döblins Schaffensjahre kaum mehr als ein Menschenalter zurückliegen, ist es nicht leicht, Orte zu finden, an denen man die Stadt noch mit seinen Augen sehen kann.
Döblin selbst hatte ja Schwierigkeiten, sich hier zurechtzufinden, als er 1947 noch einmal zurückkehrte, 14 Jahre nach seiner von den Nationalsozialisten erzwungenen Flucht. Was er verlassen hatte, war „ein Zentrum, ein Umschlagsort für Geistiges und Politisches, für den Fremden eine tosende Stadt“. Nun sah er „Bilder von einer fürchterlichen Verwüstung“, statt des lebhaften Verkehrs der Vorkriegszeit kommen ihm Hamsterfahrer entgegen, „hier sehen viele lumpig aus, gerade wie Höhlenbewohner“.
Schauplatz ist der Stettiner Bahnhof, jene Station, in der Döblin einst1888 aus seiner Geburtsstadt Stettin als Zehnjähriger mit seiner Mutter ankam. Hierhin war er nun zurück-, aber nicht heimgekehrt. Döblin fasste nie wieder Fuß in der Stadt, die ihm so viel bedeutet hatte.

Am Stettiner Bahnhof beginnt auch Michael Bienert die literarische Rundreise, die Station selbst gibt es nicht mehr, überlebt hat sie nur im Untergrund, als Nordbahnhof der S-Bahn.
Eine Situation, wie sie Bienert noch häufiger vorfinden wird. So am Alexanderplatz : „Das Fluidum der Zwanzigerjahre hat sich unter die Erde verkrochen“, schreibt er, „ins grüngeflieste mehrgeschossige Labyrinth des U-Bahnhofs Alexanderplatz.“

Frans Biberkopf Im Strudel der Großstadt

Der U-Bahn-Bau steht atmosphärisch im Hintergrund des berühmten Romans, gebaut wurde zwischen 1927 und 1930, etwa in der gleichen Zeit spielt und entstand die Geschichte um Franz Biberkopf, Arbeiter und Gelegenheitsverbrecher, der versucht, im Strudel der Großstadt den Kopf über Wasser zu halten. Und natürlich steht „Berlin Alexanderplatz“ in Bienerts Buch im Zentrum der Recherche. Aber eben nicht allein. So wie bei Döblin Leben und Werk immer wieder verschmelzen, so sucht und findet Bienert literarische Schauplätze neben den Stationen des Journalisten, Autors, Irren- und Armenarztes Döblin.
Der hat die Wachstumsschmerzen und Spannungen, denen Berlin nach dem Ersten Weltkrieg ausgesetzt war, hautnah erlebt. Seine Schwester Meta wird in Lichtenberg beim Milchholen vom Splitter einer Granate getötet, abgefeuert bei Straßenkämpfen während der Märzunruhen 1919. Er selbst praktiziert schon vor dem Krieg in der Kreuzberger Blücherstraße 18. Zu den Kindern, die er dort entbindet, gehört Klaus Gysi, später DDR-Kulturminister und Vater von Gregor. Nach 1919 behandelt er in der Frankfurter Allee 340 „Nerven- und Gemütsleiden“. Über seine Patienten schreibt er: „Selten verirrt sich jemand aus den gehobenen Ständen zu mir.“ Das Haus gibt es nicht mehr, die Adresse entspricht etwa der Karl-Marx-Allee 129 oder 130.
Die Armen und Beladenen sind keineswegs allein in „Berlin Alexanderplatz“ sein Thema. Und Döblin kennt sie nicht nur als Arzt, er folgt ihnen auch als Gerichtsreporter. Bienert nimmt die Fährte kreuz und quer durch die Stadt auf, von Lichtenberg vorbei am alten Schlachthofgelände, raus zur ehemaligen Irrenanstalt in Buch, rüber zum Rosenthaler Platz, vorbei am Moabiter Kriminalgericht und dem Gefängnis in Tegel, zu Döblins letzter Berliner Adresse am Kaiserdamm. Er fahndet in Adressbüchern nach ehemaligen Nachbarn, rekonstruiert Schauplätze, die nicht mehr existieren oder überraschend eben doch noch.
Um zuletzt am Alexanderplatz zu stehen, dem Ort, den Döblin so berühmt gemacht hat. Und wo heute nichts mehr an den Autor erinnert. Umso größer Bienerts Verdienst, Döblins Wege noch einmal sichtbar gemacht zu haben, in diesem hervorragend recherchierten Buch.

Michael Bienert: Döblins Berlin. Literarische Schauplätze. Verlag für Berlin-Brandenburg. 192 Seiten, 180 Abbildungen, 25 Euro

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