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Eine Berliner Literaturgeschichte ohne Bertolt Brecht? Das wäre unmöglich.

© Thilo Rückeis

Literaturmetropole Berlin: Durch Alkohol hervorgerufene Heiterkeit

Roswitha Schieb über Berlins Dichter - von Paul Gerhardt bis zu den Poetry Slammern des 21. Jahrhunderts

Von Andreas Austilat

Madame de Staël war auf der Durchreise. Zurück blieb ein Bonmot, festgehalten als Inschrift im Roten Rathaus: „Berlin kann sich als Brennpunkt der Aufklärung und des Lichtes betrachten“. Schatten gab es wohl freilich auch, vor mehr als 200 Jahren, denn die Französin, Verfasserin eines Reisebuchs, dass das Deutschlandbild ihrer Landsleute prägen sollte, wurde hier nicht warm, offenbar wegen der allzu oft erst durch Alkohol hervorgerufenen Heiterkeit und des Mangels an Grazie, wie sie befand.

Wer will, mag darin eine Kontinuität entdecken, die ohne Frage amüsiert. Zum Glück blieb es nicht die einzige, ebenso wenig wie die immer wieder beschworene Ruppigkeit der Eingeborenen, denn da ist noch ein jahrhundertealter Trend: Die Stadt zog nach zähem Beginn immer wieder schriftstellerische Talente an, wie den Schlesier Gerhart Hauptmann, den Augsburger Bertolt Brecht oder die New Yorkerin Andrea Scrima, um ein Beispiel aus der Gegenwart zu nennen. Ihnen allen verdankt Berlin den Aufstieg zu einer in Deutschland herausragenden Literaturwerkstatt, die weder die Nazis noch Kalter Krieg und Teilung kaputt kriegten.

Gerade das aber macht den Versuch, eine „Berliner Literaturgeschichte“ auf wenig mehr als 250 Seiten zu bringen, wie sie Roswitha Schieb nun vorlegt, zu einer extrem anspruchsvollen Aufgabe. Vor allem, wenn man tatsächlich sehr früh, im 17. Jahrhundert, mit Kirchendichtern wie Paul Gerhardt beginnt, und bei den Poetry Slammern des 21. Jahrhunderts nicht aufhört, auch noch den spätestens seit „Babylon Berlin“ populären Berlin-Krimis zumindest einen Seitenblick gönnt.

Roswitha Schiebs „Berliner Literaturgeschichte“ ist ein Rundgang durch Epochen, Genres und über deren Schauplätze. Natürlich muss das zuweilen zur Aufzählung gerinnen, tun sich Lücken auf, die mancher als schmerzhaft empfinden wird. Ist die Tatsache, dass eine der ältesten deutschen Zeitungen, Christoph Frischmanns „Avisen“ von 1617, aus denen die „Vossische Zeitung“ hervorging, nicht ebenso eine Erwähnung wert wie der Betrieb der Brüder Kalle von 1614, aus denen die Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung erwuchs? Was ist mit dem 11. Plenum des ZK der SED von 1965, dem nicht nur Filme zum Opfer fielen, auf dem Erich Honecker schon mal zeigte, wozu er als Zensor imstande war, und dass dessen vermeintliche Liberalisierung in der DDR zu Beginn der 70er nicht mehr war als ein Strohfeuer zur Illuminierung der Weltjugendfestspiele. Und kommen die 68er, kommt ein F.C. Delius nicht zu kurz?

Solche Kritik kann bei einem derartigen Buch nicht ausbleiben. Das im Übrigen auch keine literarische Topografie bietet wie etwa die akribische Straßen- und Hausnummernrecherche von Karl Voß in seinem „Reiseführer für Literaturfreunde“ oder der sogar mit Stadtplänen ausgestattete Nachfolger von Fred Oberhauser und Nicole Henneberg aus den 90er Jahren. Das auch nicht in die Tiefe gehen kann, wie Michael Bienerts Recherchen zu einzelnen Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Döblin oder Brecht. Das aber trotzdem seine Verdienste hat.

Schiebs Buch ist eine in dieser Knappheit bemerkenswert umfangreiche Bestandsaufnahme, eine kenntnisreiche Einladung zur Entdeckung vergessener oder nicht bekannter Namen. Den Wunsch nach Vertiefung kann und muss sich dann jeder selbst erfüllen.

 Roswitha Schieb: Berliner Literaturgeschichte. Epochen – Werke – Autoren – Schauplätze. Elsengold Verlag, Berlin. 256 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 26 Euro
Roswitha Schieb: Berliner Literaturgeschichte. Epochen – Werke – Autoren – Schauplätze. Elsengold Verlag, Berlin. 256 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 26 Euro

© Elsengold Verlag

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