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Neu im Amt: Ramona Reiser hat bislang keine Verwaltungserfahrung.

© promo/Markus Heine

Linken-Politikerin: "Ich identifiziere mich noch immer mit der Bahnhofsmission"

Ramona Reiser kämpfte sich durch in der Berliner Theater-Szene und arbeite für die Bahnhofsmission. Nun ist die 33-jährige Stadträtin in Mitte. Ein Gespräch.

96 Ortsteile, 12 Bezirke, 1000 Geschichten - viele davon erzählen wir in unseren "Leute"-Newslettern. Hier im Bezirksnewsletter für Berlin-Mitte sprach Felix Hackenbruch mit Ramona Reiser (33). Sie wurde in Villingen geboren, wohnt seit 2005 in Berlin. Im Dezember wurde sie für die Linke zur Stadträtin für Bürgerdienste, Jugend und Familie gewählt. Das Interview erschien zuerst im neuen "Leute"-Newsletter aus Mitte. Den können Sie komplett und kostenlos lesen unter leute.tagesspiegel.de

Frau Reiser, vor gut einem Monat wurden Sie zur Stadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste gewählt. Haben Sie sich schon eingewöhnt?

Das ist natürlich eine große Umstellung. Ich habe aber gute Amtsleiter angetroffen, die mich sehr herzlich aufgenommen haben. Meine Vorgängerin Sandra Obermeyer hat mich zum Glück vorgewarnt – auch über den Arbeitsumfang. Jetzt gewöhneich  mich Stück für Stück an die neue Aufgabe. Ich war zwar vorher schon Bezirksverordnete und kenne BVV-Sitzungen, aber es ist jetzt trotzdem wieder ganz neu und aufregend da vorne zu sitzen.

Sie sind studierte Theaterwissenschaftlerin und haben an der Volksbühne, dem Berliner Ensemble und der Schaubühne hospitiert und gearbeitet. Jetzt sind Sie Teil der Verwaltung. Was ist da schiefgelaufen? 

Das ist ein hart umkämpfter Markt – auch hier in Berlin. Es gibt viele fähige Menschen und sehr wenige Stellen. Irgendwann war der Punkt erreicht, wo das Hangeln von Honorarvertrag zu Honorarvertrag für mich keine Zukunft mehr geboten hat. Das wollte ich mir nicht mehr geben und musste deshalb das Theater zurücklassen. Das war nicht einfach. Ich musste mich erst einmal neu orientieren und mir eine neue Aufgabe suchen.

Ihre neue Aufgabe haben Sie dann bei der Bahnhofsmission gefunden. Dort haben Sie sich viel mit Obdachlosigkeit beschäftigt – ein Thema, das den Bezirk umtreibt. Wie blicken Sie auf die Herausforderung der Wohnungslosen? 

Ich identifiziere mich noch immer sehr stark mit der Bahnhofsmission und kann viel von dort mitnehmen. Seit Januar kenne ich jetzt aber auch die Perspektive als Stadträtin und kann nachvollziehen, dass man Mitarbeiter bei Vorfällen wie im Ulap-Park schützen und ihr Verhalten erklären möchte. Als Privatperson bin ich aber immer wieder erschüttert. Jeder, der mal länger bei der Bahnhofsmission tätig war, weiß um die sehr komplexe und multiple Problemlage der Betroffenen. Deswegen ist es wichtig, dass Obdachlosigkeit in den Medien und der Politik endlich thematisiert wird. Denn das ist, gerade in Mitte, kein neues Phänomen. Ich finde es wertvoll, dass es in der BVV eine hohe Sensibilität für die Lebenssituation gibt und fraktionsübergreifend mit sehr viel Empathie diskutiert wird. Wir sollten nicht in gegenseitigen Schuldzuweisungen verharren, sondern uns gemeinsam diesem Problem annehmen.

Sie sprechen den Einsatz im Ulap-Park an, bei dem die Polizei eine Obdachlose mit einem Spucktuch über dem Kopf abführte. Die soziale und hygienische Situation war dem Bezirk aber eigentlich lange bekannt. Wie kann man solche Situationen künftig verhindern?

Dadurch, dass keine Minderjährigen oder Familien betroffen waren, fällt das nicht in mein Ressort. Generell weiß ich aus meiner Zeit bei der Bahnhofsmission: Wenn das einzelne Fehlverhalten von Polizei oder privaten Sicherheitsdiensten für eine Atmosphäre der Angst und Ausgrenzung sorgt, erschwert das auch die Arbeit von Sozialarbeitern und den Einrichtungen dahinter. Eine höhere Sensibilität wäre wünschenswert, deshalb halte ich den Ansatz des Bezirksbürgermeisters, auf bessere Qualifizierung zu setzten für einen guten Schritt.

Ein anderes großes Thema sind die noch immer langen Wartezeiten auf Geburts- und Sterbeurkunden, aber auch auf Hochzeitstermine. Wie wollen Sie das in den Griff bekommen? Die Situation ist schwierig, weil uns schlicht Standesbeamte fehlen. Die Ämter müssen auskömmlich mit Personal ausgestattet werden. Es stehen bald die Haushaltsverhandlungen an, dort müssen dann die entsprechenden Akzente gesetzt werden. In der Verwaltung müssen wir auf die Herausforderungen der wachsenden Stadt reagieren. Das ist eine große Aufgabe, die sich leider nicht mit nur einer Maßnahme lösen lässt. Dabei muss man aber auch immer bedenken, von wo wir in Berlin kommen. Wir haben jahrzehntelang Verwaltungsrückbau betrieben und die Stadt schrumpfte. Die Tendenz hat sich in den letzten Jahren komplett umgekehrt.

Wo wollen Sie Akzente setzen? 

In Mitte müssen wir uns immer wieder fragen, welche Bedürfnisse die Menschen haben. Der Bezirk ist enorm heterogen. Es muss darum gehen, dass alle Menschen an unserem gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Für mich beginnt das in der frühkindlichen Bildung und der Aufgabe, dass Kinder unabhängig von Migrationshintergrund oder sozialer und ökonomischer Lage eine Zukunftsperspektive bekommen. Sprich hochwertige Kita-Plätze und gut ausgestattete Jugendeinrichtungen. Wie bei der Obdachlosigkeit geht es auch hier darum, Ausgrenzung zu verhindern.

Stichwort „Ausgrenzung“: Wie ergeht es denn Ihnen als Schwarzwälderin in Berlin? 

Viele wissen das gar nicht und denken ich sei „Ur-Berlinerin“. Ich bin 2005 für mein Studium nach Berlin gekommen, seit 2009 wohne ich in Moabit. Ich mag einfach den Charme und die historischen Orte dort, wie die Arminiusmarkthalle oder die Turbinenfabrik. Als Zugezogene hatte ich aber lange eine Hemmschwelle mich lokalpolitisch zu engagieren.

Wie nehmen Sie in Ihrem Kiez seit 2009 die Veränderung wahr? 

Es ist täglich spür- und sichtbar. In meiner direkten Nachbarschaft wurden Wohnungen zu Eigentum umgewandelt und die tief im Kiez verwurzelten Familien mussten ausziehen. Man müsste blind sein, um die Gentrifizierung nicht zu sehen.

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