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Klare Ansage. Die Berliner Polizei trat am 1. Mai entschieden auf – und ließ doch viel zu.

© A. Friedrichs / imago images

Linke Szene und Polizei: Ein fast friedlicher 1. Mai

Der Trend der Vorjahre setzt sich fort: Nach dem 1. Mai sind alle zufrieden – sogar die linke Szene. Warum blieb es halbwegs ruhig? Eine Analyse.

Nach dem 1. Mai in Berlin zeigten sich fast alle zufrieden mit dem Ablauf: Innensenator Andreas Geisel (SPD), Polizeipräsidentin Barbara Slowik, ja sogar die linksextreme Szene verbucht ihre „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ am Mittwochabend durch Friedrichshain und den früheren Hausbesetzerkiez in der Rigaer Straße als Erfolg.

Tatsächlich war es bei der Demo mit rund 5000 Teilnehmern weitgehend friedlich geblieben, die befürchteten Ausschreitungen blieben aus. Dabei wollte die linksautonome Szene mit dem Wegzug von Kreuzberg nach Friedrichshain an frühere Zeiten anknüpfen.

Erst am Ende der Demo auf der Warschauer Straße, Ecke Revaler Straße wurde es ruppiger, Demonstranten warfen Steine, Böller und Flaschen auf die Beamten. Die Polizei wollte verhindern, dass einige hundert verbliebene Demonstranten in Richtung Myfest strömen. Warum blieb es so halbwegs friedlich? Eine Analyse.

DIE POLIZEI

Innensenator Geisel zog eine positive Bilanz, der 1. Mai sei weitgehend friedlich verlaufen. „Verantwortlich dafür war die hervorragende Arbeit der Polizei, deren Strategie zu 100 Prozent aufgegangen ist“, sagte Geisel. Die Doppelstrategie der ausgestreckten Hand habe dafür gesorgt, dass vor allem die „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ fast ohne gewalttätige Zwischenfälle abgelaufen sei.

Auch Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte: „Unsere Strategie ist voll aufgegangen.“ Und die besagt: Die Polizei zeigt sich kooperativ, deeskaliert, lässt die Demo auch ohne offizielle Anmeldung laufen und greift konsequent Straftäter heraus. Hinzu kommt auch die Erfahrung der Berliner Polizei mit solchen Demos.

Die Strategie der Polizei: kooperativ und deeskalierend handeln

Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Norbert Cioma, sagte, trotz Anfeindungen und Provokationen hätten sich die Beamten „durchweg kommunikativ, freundlich, aber entschlossen“ gezeigt. Auch in brenzligen Situationen hätten am Abend in Friedrichshain die eingesetzten 2000 Polizisten einen kühlen Kopf bewahrt und den „spürbaren Wunsch“ einiger Demonstranten „nach Eskalation im Keim erstickt“.

Cioma erklärte: „Jeder, der draußen war, hat sich davon überzeugen können, dass die Berliner Polizei längst nicht mehr zum Feindbild taugt.“ Die Polizei habe eine „durchaus mit riskanten Bereichen gespickte Route ermöglicht“.

Jörn Badendick, Sprecher des Berufsverbands Unabhängige sagte: „Wir sind hoch erfreut, dass es keine schwer Verletzten gab und die meisten heil nach Hause gekommen sind. Das zeigt, dass die Polizei ein eingespieltes Team ist.“ Das Konzept habe sich bewährt.

Die GdP spricht auch 2019 nicht von einem "friedlichen 1. Mai"

Insgesamt 92 Tatverdächtige seien überprüft worden, von denen 39 vorübergehend festgenommen wurden. Und es wurden 85 Strafverfahren, unter anderem wegen schweren Landfriedensbruches, Widerstandes und tätlichen Angriffes auf Vollstreckungsbeamte sowie Körperverletzung eingeleitet. 39 Beamte wurden verletzt, von denen drei ihren Dienst nach ambulanter Behandlung nicht fortsetzen konnten.

Für die GdP trübt die Zahl der verletzten Beamten die Bilanz des Tages. „Wir können leider auch in diesem Jahr nicht von einem friedlichen 1. Mai sprechen“, sagte Cioma. Dass Polizisten „massiv provoziert, beleidigt, körperlich angegriffen sowie mit Flaschen, Böllern und an anderen Orten auch gezielt mit Steinen beworfen wurden, ist armselig und menschenverachtend“.

2009 wurden 479 Polizeibeamte verletzt, 2019 waren es 39

Hilfreich bei der Bewertung ist jedoch auch ein Blick zurück: 1987 etwa wurden 245 Beamte verletzt, 1989 waren es 346, 2009 dann 479 und 2013 noch 126. Seither ging die Zahl der verletzten Beamten konstant zurück auf 21 im Jahr 2018 – ebenso die Zahl der Festgenommenen.

Selbst aus Polizeikreisen heißt es: In diesem Jahr war es fast schon harmlos. Geisel stellte aber auch klar: „Die Straftäter sollten endlich begreifen: Die Polizei schützt unsere Grundrechte und die Menschen in Uniform sind Väter, Mütter, Freunde, Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt. Auf die wirft man keine Steine.“

DIE LINKE SZENE

Vor dem 1. Mai hatten die Linksautonomen mit martialischen Bildern Bezug auf die gewaltsamen Ausschreitungen der Gelbwesten in Frankreich genommen. Auch die Sicherheitsbehörden rechneten mit Gewalt. Schon während der Demonstration flogen aus dem „schwarzen Block“ immer wieder Steine und Flaschen auf die Polizei, Pyro-Fackeln und Feuerwerk wurde gezündet, einige Teilnehmer vermummten sich. Die Polizei registrierte an der Spitze des Aufzuges, an der sich vor allem vermummte Frauen formiert hatten, „eine aggressive und polizeifeindliche Stimmung“.

Doch auf dem Wismarplatz hatte sich nicht nur die linksextreme Szene versammelt, dort waren auch ältere Menschen und Familien mit Kindern. Es gab keine breite Masse, die großräumige Ausschreitungen mitgetragen hätte. Klar ist aber auch, dass der Protest gegen steigende Mieten, Investoren und Wohnungsnot grundsätzlich Anklang findet und die Menschen bewegt.

Die linke Szene bewertet die 1.-Mai-Demo als Erfolg

Die linke Szene bewertet die Demo deshalb auch als „wirklichen Erfolg“. Es sei gelungen, eine in den Vorjahren „an Ausdruck verlierende Demo wiederzubeleben“. Es gebe eine gute Grundlage „für die kommenden Jahre“, für „ein tragfähiges Bündnis, das man ausbauen kann“.

Und doch war auch viel Symbolik dabei. Schon dass die Demo größtenteils auf der angekündigten Route und durch die Rigaer Straße, vorbei am einst besetzten Haus „Rigaer 94“ ziehen konnte, verbuchte die Szene für sich. Dabei feierte sie sich „am Dorfplatz“ vor allem selbst – oder das, was sie einmal war. Die Szene ist bei weitem nicht mehr so aufgestellt wie früher.

Der Straßenkampf blieb aus, das "Gafferphänomen" jedoch nicht

Am Endpunkt der Demo waren noch offene Straßenbahngleise, im Gleisbett Schottersteine, in früheren Jahren wäre das ein perfektes Waffendepot für den Straßenkampf der linken Szene gegen die Polizei gewesen. Doch der blieb erneut aus. Damit setzt sich der Trend der vergangenen Jahre fort.

In der Nacht lieferte sich die linke Szene noch kleinere Scharmützel in der Rigaer Straße mit der Polizei, warf Steine und steckte drei Mülltonnen in Brand. Auch das hatte die Polizei im Griff, ebenso am Nachmittag die Spaßdemo „MyGruni“ in Grunewald. Statt Autos und Häuser zu beschädigen, warfen die Demonstranten dort Schaumstoffsteine auf die Villen.

Was sich auch zeigte, war das Gafferphänomen am Ende der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“. Viele feuerten Angreifer und Flaschenwerfer an, wollten mit dem Bier in der Hand endlich richtige Randale sehen. So wie früher am 1. Mai in Berlin.

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