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Unscheinbar. Von außen wirkt das "Bali" eher schlicht.

© Thilo Rückeis

Lichtspielhaus in Zehlendorf: Kino mit Programm

Seit 40 Jahren leitet Helgard Gammert das „Bali“ mit einer besonderen Philosophie. „Das Dogmatische habe ich abgelegt, das Politische nicht“, sagt sie.

Von außen erinnert es eher an eine Garage als an ein Kino. Wenn da nicht in großen Leuchtlettern „BALI“ stünde und daneben das aktuelle Programm. Das kleine, längliche Gebäude mit dem flachen Dach liegt gleich um die Ecke vom S-Bahnhof Zehlendorf, in einem schmalen Arm des Teltower Damms gegenüber einer Einkaufspassage und neben einem asiatischen Restaurant.

Eine große Kinderschar zwängt sich aus der blauen Tür des Kiezkinos hinaus, lautes Geschwätz. „Unser Spatzenkino, das Filmprogramm für die ganz Kleinen, ist immer etwas Besonderes“, sagt Helgard Gammert wenig später in ihrem Büro, das gleichzeitig Teil des kleinen Empfangsraums ist. „Zu merken wie Filme sie berühren und ihre Fantasie beflügeln ist einfach toll.“

Kinoplakate der aktuellen Vorstellungen hängen hier an den Wänden, eine große Kühltruhe steht neben dem schwarzen Kassentresen, eine Auswahl an Süßigkeiten und Snacks liegt im Holzregal dahinter. Großzügig dagegen ihr Kinosaal, der viel Platz zwischen den Reihen lässt. „Es soll sich niemand eingeengt fühlen.“ An die 100 Menschen passen hinein, die Vorstellungen sind meist gut besucht. Im Kiez weiß man die Arbeit von Frau Gammert zu schätzen. „Wir haben viel Stammpublikum, manche kenne ich schon ihr halbes Leben“, sagt die 74-Jährige. Und fügt hinzu, dass das Kino auch ihr Leben sei.

Bali-Gründer Salzgeber war eine prägende Figur der deutschen Programmkinogeschichte

Am 1. Januar 1979 übernahm sie es offiziell von Manfred Salzgeber, der mit dem Bali sechs Jahre zuvor eines der politischsten Lichtspielhäuser Deutschlands eröffnete. Er selbst war eine prägende Figur der deutschen Programmkinogeschichte sowie der Schwulenbewegung: Ende der 70er Jahre übernahm er das Yorck-Kino am Mehringdamm sowie das Tali in Neukölln, das heutige Moviemento, gründete den Filmpreis „Teddy Award“ sowie den unabhängigen Filmverleih Edition Salzgeber für queere Filme. Bis er aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste und 1994 verstarb, leitete er das Panorama der Berlinale. „Als mich Manfred fragte, ob ich sein Kino kaufen möchte, arbeitete ich noch in einem Kommunalkino in Mannheim und war erstmal sprachlos, er war ja damals schon sehr bekannt.“

Vom Sehen her kannten sich die beiden, die politische, deutschsprachige Kinoszene war überschaubar. Rund zwei Monate überlegte die ausgebildete Buchhändlerin, kratzte und lieh sich Geld zusammen und zog mit ihren zwei Kindern nach Zehlendorf, zunächst in eine Wohngemeinschaft. „Als ich am Tag meiner ersten Vorstellung ins Bali kam, war es komplett zugeschneit, der Schlüssel steckte abgebrochen im Türschloss und um 14 Uhr sollte der Film los gehen“, erzählt sie amüsiert.

1979 übernahm Helgard Gammert das Bali von dessen Gründer Manfred Salzgeber. Sechs Jahre zuvor war es eröffnet worden.
1979 übernahm Helgard Gammert das Bali von dessen Gründer Manfred Salzgeber. Sechs Jahre zuvor war es eröffnet worden.

© Thilo Rückeis

Leicht war der Beginn für sie nicht, „Manfred hat das Kino eher aus Protest hier im bürgerlichen Zehlendorf eröffnet, die politischen Kinogänger wiederum waren in Kreuzberg oder Neukölln.“ Ihr ursprüngliches Programm, eine Mischung aus linken Filmen wie Podiumsdiskussionen, verwarf sie schnell, zu oft blieb ihr Kinosaal leer. „Ich hatte diese große Vision von einem politischen Kino, für das sich aber einfach niemand interessierte.“ Sie setzte sich mit dem Publikum vor Ort auseinander, nahm gezielt Filme für Kinder und Jugendliche in ihr Programm sowie ausgewählte intellektuelle Filme. „Wir wurden ein richtiger Treffpunkt für verschiedene Altersklassen.“

Die Multiplex-Kinos kamen, die jungen Menschen gingen

Mit dem Aufkommen von Multiplex-Kinos ab den 90er Jahren in Berlin und der Fertigstellung des Potsdamer Platzes verschwanden die jungen Menschen. „Die wollten sofort die neuesten Filme sehen und nicht erst ein paar Wochen warten“, sagt Helgard Gammert. Sie baute ihr Programm weiter aus, stellte unter anderem einen Flügel in den Kinoraum und ging eine Kooperation mit einer Musikschule aus Zehlendorf-Steglitz ein. „Einmal im Monat spielen die Musikschüler hier bei freiem Eintritt, und es ist jedes Mal eine tolle Atmosphäre. Und um die geht es.“

Dass sie so lange das Bali-Kino betreiben würde, damit hatte sie selbst nicht gerechnet. „Ende der 90er wollte ich ein Kunst- und Kulturhaus eröffnen. Dann ist einer der Partner insolvent gegangen und mein Traum war vorbei.“ Kraft schöpfte sie aus ihrer Vision, mit dem Bali vor allem einen Raum zu haben, der Begegnungen und Diskussionen zulässt: „Das Dogmatische habe ich abgelegt, das Politische nicht. Es geht mir nicht darum, von oben herab zu sagen wie etwas sein muss, sondern darum, zuzuhören.“

Diesen Monat gibt es den hochgelobten polnischen Film "Cold War"

Ihre Programmauswahl spiegelt diese Philosophie wieder: Neben dem Spatzenkino gibt es auch ein reguläres Kinderprogramm, darüber hinaus zeigt sie gesellschaftliche wie politische Spielfilmen, Dokumentationen und größere Kinoproduktionen, aktuell zum Beispiel Alexander McQueen oder Mary Shelly. In der Reihe „Kino der Nachbarn“, die jeden zweiten Montag im Monat stattfindet, präsentiert sie Filme aus nicht westlichen Ländern. Diesen Monat den hochgelobten Film „Cold War“ von Pawel Pawlikowski über zwei Liebende, die weder zusammen noch alleine leben können und das vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Immer wieder wird sie für ihr Programm auch ausgezeichnet, wie vom Medienboard Berlin-Brandenburg.

Ewig wird sie das Bali-Kino nicht mehr leiten, sagt Helgard Gammert. Was und wer danach kommen wird, weiß auch sie nicht. Mit Sicherheit hat sie im Laufe der Jahre einige Menschen mit ihrer Filmauswahl berührt. Vielleicht ist unter ihnen ja auch der nächste Cineast mit einer Kinovision für das Bali.

Bali, Teltower Damm 33, 14169 Berlin, Telefon: 030 / 811 46 78, www.balikino-berlin.de

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