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Bitte lächeln: In der letzten Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses vor der Wahl war der Koalitionsfrieden (fast) wieder hergestellt.

© Jörg Carstensen/dpa

Update

Letzte Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses: Versöhnliche Stimmung bei Rot-Rot-Grün kurz vor der Wahl

SPD, Linke und Grüne verzichteten am Donnerstag weitgehend auf gegenseitige Angriffe. Für den scheidenden Regierenden Michael Müller fand sogar die Opposition warme Worte.

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Von rot-rot-grüner Harmonie war in den letzten Wochen nichts mehr zu spüren: die Charta Stadtgrün, die Reform der Bauordnung und das Paket zum Wirtschaftsverkehr im Mobilitätsgesetz scheiterten. Die Schuld daran schoben sich die Koalitionäre gegenseitig zu. Die Stimmung war düster. Umso erstaunlicher war die Vorstellung von Rot-Rot-Grün in der Generaldebatte am Donnerstag in der letzten Plenarsitzung vor der Wahl. Es war eine Aussprache mit vielen Dankesreden und versöhnlichen Worten. 

Sogar SPD-Fraktionschef Raed Saleh sprach von „unserer Koalition“, obwohl SPD-Spitzenfrau Franziska Giffey auch Signale in Richtung CDU und FDP sendet. Die SPD liegt nach jüngsten Umfragen mit einer großen Mehrheit von 25 Prozent vor Grünen, Linken und der CDU und vermeidet klare Aussagen zu künftigen Regierungskoalitionen bis auf die „rote Linie“, wie Giffey vergangenen Freitag im Tagesspiegel-Talk sagte, keine Gespräche mit der AfD führen zu werden.

Saleh betonte, diese Koalition sei angetreten mit dem gemeinsamen Ziel, einen „Wandel zum Besseren“ zu erreichen. Salehs Töne klangen wie eine Lobeshymne auf Rot-Rot-Grün, Streitereien klammerte er völlig aus. In der Rückschau der Koalition stellte Saleh fest : „Ja, wir haben geliefert.“ Der Landesmindestlohn sei auf 12,50 Euro pro Stunde angehoben werden, 40.000 Wohnungen seien „zurückgeholt“, mehr Polizist:innen eingestellt worden und die Bildung von Kita bis zur Universität gebührenfrei. 

Kein Wort verlor Saleh über die Initiative zur Enteignung von Deutsche Wohnen & Co. Giffey lehnt Enteignungen ab, die Grünen sehen sie als „ultima ratio“ und die Linke unterstützt aktiv die Initiative. Stattdessen hob Saleh die 70 Milieuschutzgebiete hervor und die Bundesratsinitiative für die Öffnung einer Landesklausel für einen Mietendeckel.

Nur Bettina Jarasch warf der SPD Verantwortungslosigkeit vor

Anne Helm, Fraktionschefin der Linken, vermied in ihrer Rede ebenfalls die „Tretmine“ Volksentscheid. Sie lobte die sozialpolitischen Errungenschaften der Koalition wie 10.000 neue Kita- und 20.000 neue Schulplätze, das kostenlose Ticket und Mittagessen für Schüler:innen und die Bekämpfung der Obdachlosigkeit.

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Helm sprach Saleh direkt an und sagte in Richtung CDU und FDP: „Mit diesen Leuten ist keine gerechte Sozialpolitik zu machen.“ Als Garantin für eine Fortsetzung einer gerechten Politik brauche es eine starke Linke. Eine Neuauflage von Rot–Rot-Grün ist derzeit die einzige Option der Linken für ein weiteres Mitregieren.

Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch war die einzige Koalitionspolitikerin, die der SPD das Scheitern der Bauordnung, der Stadtcharta Grün und des letzten Kapitels des Mobilitätsgesetzes als „verantwortungslos“ vorwarf. Jarasch reihte sich dann aber auch in die Lobeshymnen ein, was Rot-Rot-Grün alles geschafft habe. „Ohne Schaum vor den Mund“ müsse man sich zusammensetzen und den Blick nach vorn werfen, wie die Stadt umgestaltet werden müsse, in der Klimaschutz absolute Priorität haben müsse.

Beifall für Müllers Attacke gegen AfD-Spitzenkandidatin Brinker

Alle Koalitionsfraktionen bedankten sich beim Regierenden Bürgermeister Michael Müller, der in den Bundestag wechseln will. In seiner letzten Rede als Abgeordneter vor der Wahl betonte Müller, dass es doch parteiübergreifend großes Einvernehmen darüber gegeben habe, das Beste für Berlin zu erreichen.

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Ein Drittel der Amtszeit sei von der Corona-Pandemie geprägt gewesen, auf die man reagieren müsste. Trotz mancher Fehler habe man vieles gut organisieren können. Müller betonte, dass dem Berliner Senat weiter wichtig sei, Geflüchteten und Menschen in Not zu helfen. Er ging auf Erfolge in der Wohnungs- und Wirtschaftspolitik ein. Er verwahre sich gegen ein pauschales „Bashing“, dass in Berlin nichts funktioniere. „Freiheit, Offenheit und Internationalität sind harte Standortfaktoren.“ 

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Scharf attackierte er die AfD und deren Spitzenkandidatin Kristin Brinker, die sich nicht eindeutig von Björn Höcke distanziere – „ein Mensch, den man gerichtlich bestätigt Faschist nennen kann“. Deshalb sei auch sie eine „Belastung für unser demokratisches Handeln“. Dafür erhielt Müller sehr langen Beifall.

Selbst die Opposition lobte Müller – dann war wieder Wahlkampf

Warme Worte Richtung Müller kamen auch von CDU und FDP. Burkard Dregger, CDU-Fraktionsvorsitzender, lobte, man habe hart und kontrovers gestritten, sei sich aber immer mit Respekt und Wertschätzung begegnet. Dieser „verbindliche Umgang“, sagte Dregger, habe es ermöglicht, in der Corona-Pandemie gut zusammenzuarbeiten, etwa für die Finanzierung von kurzfristigen Schutzmaßnahmen. „Dass wir dieses Vertrauen entwickeln konnten, als es für unser Land darauf ankam, dafür möchte ich Ihnen danken“, sagte Dregger. FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja sagte unter Gelächter: „Danke, dass Sie beharrlich und beständig geblieben sind, trotz ihrer zwei Koalitionspartner Linke und Grüne.“

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Dann aber war wieder Wahlkampf: Die Opposition bescheinigte Rot-Rot-Grün fünf Jahre Totalversagen und pries ihre jeweiligen Wahlprogramme. Dregger und Czaja warfen der Koalition vor, mit dem vom Verfassungsgericht kassierten Mietendeckel und nun mit der Androhung von Enteignungen genau die Akteure zu verschrecken, auf die Berlin angewiesen sei, um neuen Wohnraum zu schaffen.

Rot-Rot-Grün habe die Stadt gespalten, klagte Czaja: „Vermieter gegen Mieter, Autofahrer gegen Fahrradfahrer, Fahrradfahrer gegen Fußgänger.“ „Wir wollen keine Investitionsfeindlichkeit“, sagte Dregger, „wir wollen Berlin als Visitenkarte Deutschlands und als Aushängeschild für Innovation und Zukunftsfähigkeit.“

Abschied von Parlamentspräsident Ralf Wieland

AfD-Spitzenkandidatin Kristin Brinker warnte, die Berliner sollten nach fünf Jahren „ideologischem Wunschdenken“ „nicht auf die Schalmeienklänge von Franziska Giffey hereinfallen“. Es sei nicht glaubwürdig, dass die SPD-Spitzenkandidatin nun den Wohnungsbau und U-Bahn-Ausbau „entfesseln“ sowie die Kriminalitätsbekämpfung verbessern wolle. „Frau Giffey wird in ihrem linken SPD-Landesverband damit genauso auf die Nase fallen wir ihr Vorgänger Michael Müller“, prophezeite Brinker.

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Zum Abschluss der aktuellen Stunde verabschiedete Vizepräsidentin Cornelia Seibeld (CDU) den seit rund zehn Jahren amtierenden Parlamentspräsidenten Ralf Wieland (SPD). Wieland ist seit 1999 Mitglied des Abgeordnetenhauses und hatte in seinem Weddinger Wahlkreis 2016 das Direktmandat errungen. Zur kommenden Wahl tritt der 64-Jährige nicht erneut an.

Zu Beginn des Plenums hielt das Abgeordnetenhaus noch eine Feierstunde für den Berliner Ehrenbürger Rudolf Virchow ab. Am 26. September wählen die Berlinerinnen und Berliner ein neues Abgeordnetenhaus. Spätestens sechs Wochen später, also bis zum 7. November, kommt das Landesparlament dann zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. (mit dpa) 

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