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Ihre Zeit läuft ab: Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller, und Dilek Kalayci, Berlins Gesundheitssenatorin, nehmen an der Sondersitzung des Bundesrats teil.

© Foto: Kay Nietfeld/dpa

Letzte Monate im Berliner Senat: Gerät Berlins Regierung zum Club der lahmen Enten?

Nach dem Regierenden und der Gesundheitssenatorin kündigt auch Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ihren Rückzug an. Was macht der Senat bis zur Wahl 2021?

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Auf dem Weg zur nächsten Abgeordnetenhauswahl, die spannend werden dürfte, häufen sich jetzt schon die Abschiedsbekundungen der sozialdemokratischen Senatsmitglieder. Der Regierende Bürgermeister will, via Charlottenburg-Wilmersdorf, in den Bundestag einziehen.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci und ihre für Bildung zuständige Parteifreundin und Amtskollegin Sandra Scheeres (beide SPD) kündigten an, ihre politische Laufbahn in Parlament und Stadtregierung mit der Wahl 2021 aufzugeben.

Alle drei sind, wie man so schön sagt, im besten Alter. Der Ruhestand ist weit weg. Doch Müller, Kalayci und Scheeres sind, das haben sie gemeinsam, schon 2011 vom damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in den Senat geholt worden. Böse gesagt: Sie sind der Restbestand. Nett gemeint: Es ist die eiserne Reserve.

Der endgültige Abschied von der Ära Wowereit

So oder so geht die Ära Wowereit, öffentlich verkündet über früh geschriebene Abschiedsbriefe, mit der nächsten Wahl endgültig zu Ende. Müller wechselt in die Bundespolitik, weil ihm anderes nicht übrig bleibt. Es gibt schlimmere Schicksale.

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Was die beiden SPD-Senatorinnen vorhaben, ist bislang nicht bekannt. In den erlernten Berufen, Diplom-Pädagogin und Wirtschaftsmathematikerin, werden sie voraussichtlich nicht mehr ihr Brot verdienen.

Doch nach über 15 Jahren in der Kommunal- und Landespolitik müssten die in dieser Zeit gewebten Netze reichen, um einigermaßen sanft aufgefangen zu werden. Die Pensionsanwartschaften sind gesichert und das Privatleben ist intakt – was will man mehr?

Sie auch! Bildungssenatorin Sandra Scheeres will sich nach der Abgeordnetenhauswahl 2021 aus der Politik zurückziehen.
Sie auch! Bildungssenatorin Sandra Scheeres will sich nach der Abgeordnetenhauswahl 2021 aus der Politik zurückziehen.

© picture alliance/dpa

Politik ist eben doch ein Geschäft auf Zeit. Regierungsmitglieder sind letztlich Angestellte der Wählerinnen und Wähler, vermittelt über das Parlament. Mit Arbeitsverträgen, die auf eine Wahlperiode befristetet sind. Wer sich für den Job interessiert, sollte das wissen. Zumal dann, wenn nicht allein fachliche Kompetenz, sondern auch politische Kriterien die Personalauswahl mitbestimmen.

Das gilt nicht nur für die Frauenquote, sondern auch für die Zugehörigkeit zu innerparteilichen Lagern und für den bezirklichen Proporz. Und immer noch wird zwischen Ost und West unterschieden.

Nicht die stärksten Kandidaten für den Berliner Senat

Das führt selten zur Auswahl der stärksten Kandidatinnen und Kandidaten. Müller, Scheeres und Kalayci, die seit 2011 dem Berliner Senat angehören, haben ihre Schwächen im Lauf der politischen Karriere den Bürgern ziemlich deutlich offenbart. Wobei Müller gelegentlich auch Stärke bewies, beispielsweise in den vergangenen Monaten der elenden Coronakrise.

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Doch zieht man Bilanz, dann steht fest: Der noch amtierende Senat hat sich als wenig schlagkräftig und effektiv erwiesen. Und das liegt nicht nur an den Sozialdemokraten.

Auch die Linken-Politikerin und ehemalige Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher galt schon lange als angezählt. Dass sie jetzt nicht über ihre umstrittene Bau- und Planungsphilosophie, sondern über einen dummen persönlichen Fehler (nicht zurückgezahlte Aufsichtsratstantiemen) stolperte, ist persönlich gesehen tragisch.

Dagegen sitzt die Grünen-Verkehrssenatorin Regine Günther, die von vornherein nicht regieren und administrieren konnte, immer noch fest im Sattel. Rational lässt sich das kaum erklären. Gleiches gilt für den selbstverliebten Justiz- und Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt, der im Amt vor allem seine Hobbys pflegt.

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Aber um gerecht zu bleiben: Durchgängig stark besetzte Landesregierungen sind in Deutschland eher exotische Blüten. Insofern weicht der Berliner Senat im bundesweiten Ranking nicht allzu sehr vom Durchschnitt ab. Von der Regierung der Hauptstadt könnte man natürlich mehr erwarten. Trotzdem geht die Berliner Landesregierung in einem seltsamen Zustand in ihr letztes Jahr.

Ist es ab jetzt eine Ansammlung von „lame ducks“, von angeschlagenen und schlappen Ressortverwaltern? Oder können die designierten Aufhörer nun völlig abgeklärt und von jeder Anfechtung befreit ihre Arbeit bis zum bitteren Ende halbwegs ordentlich verrichten?

Im September 2021 wird gewählt, alles andere ist wilde Spekulation

Also bis zum September 2021, wenn der Deutsche Bundestag und das Berliner Abgeordnetenhaus aller Voraussicht nach am selben Sonntag neu gewählt werden. Denn eine vorzeitige Auflösung des Abgeordnetenhauses oder ein fliegender Wechsel vom Regierungschef Müller zur künftigen SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey sind, bei kühler politischer und verfassungsrechtlicher Betrachtung, trotz vieler wilder Spekulationen sehr unwahrscheinlich.

Was man aus den frühzeitigen Verzichtserklärungen von Müller, Kalayci und Scheeres aber lernen kann, ist: Es steht in der Berliner Sozialdemokratie nach der Wahl ein personeller Wachwechsel an.

Übrig bleiben dürfte, sollte Rot- Rot-Grün die Macht verteidigen, bei der SPD wohl nur Innensenator Andreas Geisel, der beim designierten Führungsduo Giffey und Raed Saleh ganz oben auf der Zukunftsliste steht.

Neues Führungsduo: Franziska Giffey, Bundesfamilienministerin, und Raed Saleh (beide SPD), SPD-Fraktionschef in Berlin, setzen mit einer Ruderfähre über den Müggelsee.
Neues Führungsduo: Franziska Giffey, Bundesfamilienministerin, und Raed Saleh (beide SPD), SPD-Fraktionschef in Berlin, setzen mit einer Ruderfähre über den Müggelsee.

© Wolfgang Krumm/dpa

Dagegen wird Finanzsenator Matthias Kollatz von führenden Genossen in der SPD-Abgeordnetenhausfraktion inzwischen so systematisch gemobbt, dass nicht davon auszugehen ist, dass er nach der Wahl bleibt.

Pop und Lederer sind bei Linken und Grünen gesetzt

Bei Linken und Grünen sind, schaut man auf den amtierenden Senat, für die nächste Legislaturperiode voraussichtlich nur Wirtschaftssenatorin Ramona Pop und Kultursenator Klaus Lederer gesetzt.

Mit dem Blick nach vorn ist das aktuelle Müller-Kabinett also eine Rumpfregierung, die nach Nominierung der diversen Spitzenkandidaten und dem Beschluss der Wahlprogramme spätestens im Frühjahr 2021 nur noch eine Statistenrolle spielt, die den Wahlkampf begleitet. Vielleicht schweißt das die Truppe sogar ein bisschen zusammen.

Auch die Opposition ist in besorgniserregendem Zustand

Für die rechts-konservativ-liberale Opposition ist diese Situation natürlich ein gefundenes Fressen. Aber ob CDU, FDP und AfD daraus tatsächlich Nutzen ziehen können, ist nicht erkennbar.

Zwar schauen jetzt alle auf den schwindsüchtigen Senat, das lenkt vorerst aber nur davon ab, dass sich die Oppositionsparteien im Landesparlament in einem Zustand befinden, der mindestens so besorgniserregend ist wie die Lage der rot-rot-grünen Koalition ein Jahr vor der Wahl.

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