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Wo geht’s lang? Besonders die kleinen Bibliotheken mussten in der vergangenen Zeit ihr Angebot verringern.

© dpa

Lesezeit zur Ferienzeit: Bezirksbibliotheken verkürzen ihre Öffnungszeiten

Ferienzeit ist Lesezeit. Doch viele Bibliotheken in den Bezirken haben ausgerechnet jetzt ihre Öffnungszeiten verkürzt. So mancher befürchtet, dass es noch schlimmer kommen könnte.

Schultern stoßen gegeneinander, Augen werden groß – vier Kinder stecken vor dem Regal die Köpfe zusammen. „Rischdisch geil!“ hört man die Viertklässler tuscheln. Was sie so fasziniert sind keine neuen Spielkonsolen, sondern – Bücher. Ein kleines Mädchen hat sich ein ganz besonders dickes Exemplar gegriffen und liest die vietnamesische Version von Rotkäppchen vor. Die Klassenkameraden schauspielern dazu auf einer Freifläche. Der Wolf ist hier ein Tiger und Rotkäppchen isst exotische Früchte aus dem Korb, während im Hintergrund die Dan Tranh, die vietnamesische Zither, gezupft wird. Während unten das interkulturelle Schauspielprojekt des Vereins „LesArt“ läuft, holt sich Eike Nehrlich im Erdgeschoss Nachschub. „Ich fahre viel Auto“, sagt die Krankenpflegerin, „da höre ich immer viele Hörbücher durch.“

Es ist ein ganz normaler Vormittag in der Philipp-Schaeffer-Bibliothek. Bibliothekarin Regina Schumacher betreut bis zu fünf Besuchergruppen am Tag. Der Terminplan ist randvoll. Samstags ist besonders viel los. „Dann stehen hier die Eltern mit Latte Macchiato und unterhalten sich.“ Auch zu Ferienbeginn herrscht Hochbetrieb, dann decken sich die Familien für den Urlaub ein, danach kommt der Ansturm der Daheimgebliebenen. „Da sieht man die Leute mit Stapeln von Büchern hinausgehen, das ist richtig schön anzusehen“, erzählt die Bibliothekarin und strahlt.

Durchschnittlich 3,16 mal im Jahr geht der Bewohner im Bezirk Mitte in die Bezirksbibliothek, 2,8 Millionen Entleihungen gibt es. Der Zulauf ist konstant hoch, sagt auch Regina Schumacher, langsam sei die Kapazitätsgrenze erreicht. Die Stadtteilbibliothek in Tiergarten-Süd etwa hat nur noch an einem Nachmittag in der Woche geöffnet. „Das ist eine Kombination aus hohen Krankenständen und Sparmaßnahmen“, sagt Stefan Rogge, der Fachbereichsleiter für Bibliotheken im Bezirksamt Mitte. Man könne in absehbarer Zeit wieder zu den alten Öffnungszeiten zurückkehren. „Meine Befürchtung ist, dass dies aber nur pro forma geschieht und die Stellen von der Bezirksverordnetenversammlung wieder gekippt werden.“ 223 Stellen sind im Bezirksamt Mitte bis 2016 einzusparen, lautet die Linie des Senats. Das treffe oft die Bibliotheken, weil keine gesetzlichen Vorgaben für eine Mindestversorgung mit öffentlichen Büchereien existiert.

Deshalb gibt es in Berlin viele Standorte, die nur an drei oder vier Tagen in der Woche geöffnet haben. Selbst die Bezirkszentralbibliotheken schließen sonnabends meist schon um 14 Uhr - wegen des Arbeitszeitgesetzes, das ausgedehnte Wochenendöffnungszeiten nur für wissenschaftliche Bibliotheken zulässt. Universitäts-, Staats- und Landesbibliothek dagegen können ihre Türen bis 21 Uhr oder sogar noch länger geöffnet halten. Für die Standorte in den Bezirken, die mit dem Angebot vom Kinderbuch über Schulliteratur bis zum Guten-Nacht-Schmöker die breite Masse erreichen, sieht es derweil schlecht aus.

Vor allem die Stadtteilbibliotheken treffen die Sparmaßnahmen hart: In Charlottenburg-Wilmersdorf strich die BVV zwischen 2008 und 2013 insgesamt 331 800 Euro, davon entfielen 291 700 aufs Personal. So fielen 34 Wochenstunden bei den Öffnungszeiten weg, wenngleich die Bezirkszentralbibliotheken davon ausgenommen blieben. An kleinen Standorten wie der Eberhard-Alexander-Burgh-Kinderbibliothek wird der Betrieb vor allem in den Ferien heruntergefahren. An zwei Nachmittagen ist sie für Eltern und Kinder geöffnet. Das liege aber auch an der geringeren Nachfrage, heißt es im Bezirk. Die Bibliothek mit ihrer farbenfrohen Einrichtung dient auch als Aufenthaltsraum, Hausaufgabenbereich und Spielecke für die Kinder der 4. Grundschule, auf deren Gelände sie liegt. Silvia Lilienfein, Lehrerin und Mutter, hat sich auf die beiden einzigen Öffnungstage eingerichtet. Schade findet sie es trotzdem. Bücherei-Fachbereichsleiter Stefan Rogge, der auch Landesvorsitzender im Deutschen Bibliothekenverband ist, beobachtet die Entwicklungen mit Sorge.

Er erklärt sie auch mit dem Bewertungsverfahren: Kosten und Leistungen einer Bibliothek werden gegeneinander aufgerechnet. Am Ende steht die Frage: Wie teuer ist ein Büchereibesuch? Bei dieser Rechnung kommen die Massenbibliotheken besser weg, die kleinen Standorte würden kaputtrationalisiert, sagt Rogge. Dabei legten gerade die Kiezbücherein mit ihren soziokulturellen Aktivitäten die Grundsteine einer Lesebiografie: „Ich finde es besonders erschreckend, dass da Zahlen herumgeistern, wonach bis zu 17 Standorte geschlossen werden sollen.“ Dieses Szenario widerspreche dem Leseverhalten, meint Schaeffer-Bibliothekarin Regina Schumacher: „Ich kann nicht sagen, dass das Interesse zurückgeht.“

Alle Adressen und Öffnungszeiten: www.voebb.de

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