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Claudia Falk designte extra ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Ich bin kein Tourist. Ich versuche hier zu leben.“

© Claudia Falk

Lesermeinung: „Ich bin kein Tourist, ich versuche hier zu leben“

Tagesspiegel-Leserin Claudia Falk ärgert sich über Berlin-Touristen, die sie im Alltag stören. Ein Leserartikel.

Touristen in Berlin werden zur Plage. Sie latschen mit ihren Rucksäcken auf Radwegen, stoppen unvermittelt und reißen ihre Köpfe und Finger hoch: „Guck‘ mal, der Alex“. Rumms, ich bin aufgefahren, komme immerhin weich auf, offenbar transportiert man Pullis auf dem Rücken. Oder war es das Sandwich vom Frühstücksbuffet  für das erste Picknick in Berlin-Mitte?

Empört dreht sich der schwäbische Rentner um: „Isch des die Möglischkeit?“ - Ich schaue so böse wie möglich  und fordere ihn auf, sein Sightseeing an anderer Stelle als auf dem Radweg fortzusetzen.

U-Bahn-Station Alexanderplatz, lange Rolltreppe, die U 5 fährt in einer halben Minute ab. Ich habe es eilig. Die erste Etappe der Rolltreppe schaffe ich hürdenfrei, die Einheimischen, die nicht gehen wollen oder können, lehnen routiniert auf der rechten Rolltreppenlehne, die anderen stapfen  zügig auf der linken Hälfte nach unten.

„Na horsche mal! Lass dei dreggische Finger von dem Bub“

Dann: eine hessische Familie. Die tummelt sich über die gesamte Breite der Rolltreppe. „Da gehe mer ins Sealife- Aquarium, gell? Und mit dem Gutschein is des ach noch 5 Prozent günstischer. So billisch käm mer net a mol  in de Frankforter Zoo enai.“  Der rotgesichtige Vater mit Socken in den Sandalen freut sich wie Bolle und knufft seinem Sohn in die Seite. Ich nähere mich lautstark auftretend. „Darf ich mal?“, ich schiebe den kleinen Dicken sanft zur Seite. „Na horsche mal! Lass dei dreggische Finger von dem Bub“, plustert sich die nicht minder mollige Mama auf. Garstig raune ich ihr zu: „Hier im Großstadt-U-Bahnhof gilt auch für die ländliche Bevölkerung die Regel: „Rechts stehen, links gehen. Manche müssen hier auch zur Arbeit. Gut merken!“

Dieser Vorspann war nötig. Nötig um zu verstehen, dass ich ein T-Shirt designt habe mit der Aufschrift: „Ich bin kein Tourist. Ich versuche hier zu leben.“

Ich habe es auch schon mal in der Innenstadt getragen. Aber das ist zu normal. Jeder Zweite trägt in Berlin T-Shirts mit provokanten Sprüchen. Nein, ich muss ein Kunstprojekt daraus machen.  Eine Installation, wie sie noch nie da gewesen ist.

Also gehe ich mit meinem T-Shirt an einem sonnigen Nachmittag zum Strausberger Platz. Ja, selbst rund um den Springbrunnen ,auf der von Autos umtosten Verkehrsinsel , habe ich im letzten Sommer schon Touristen gesichtet, die dort mit englischen und spanischen Reiseführern bewaffnet Yoga-Übungen (Kopfstand) darboten und Picknick veranstalteten. 

Ich nehme neben meinem T-Shirt noch 4 Wäscheklammern mit. Auf der einen Seite des Strausberger Platzes, der von Bauten im sowjetischen Zuckerbäckerstil umstellt ist, steht eine Karl-Marx-Büste. Und daneben ein üppiger Busch. Ich finde  den ideal und hänge mein T-Shirt mit Wäscheklammern an die Zweige. Justiere hie und da nach und fotografiere mein Werk. Wie werden die Passanten reagieren? frage ich mich.

Das Ergebnis: ernüchternd.

Die T-Shirt Installation am Straußberger Platz
Die T-Shirt Installation am Straußberger Platz

© CLaudia Falk

Viele Fahrradfahrer rasen vorbei an dem Strauch mit Shirt. Manche verlangsamen immerhin ihre Fahrt und lesen im Vorüberrauschen. Ein grimmiger Rentner kommt des Weges und setzt sich auf die Parkbank, sieht mein T-Shirt und mich und wendet den Blick nicht mehr von uns. Aber: keine Regung im Gesicht.

Einige Spanier, Japaner und sonstige südlich aussehende Menschen kommen vorbei, lesen, runzeln die Stirn, gehen näher heran und gehen schulterzuckend weiter. Merke: Das nächste T-Shirt braucht mindestens eine englische Übersetzung: „I am not a tourist. I try to live here.“

Oh, da radelt ein junger Mann mit schlafendem Kleinkind auf dem Kindersitz heran. Verlangsamt die Fahrt, stoppt, liest, lächelt und holt sein Handy heraus: Klick. Weiterfahren.-  Ey, postest Du das jetzt?

Da, eine ältere Dame, die ihren winzigen Hund Gassi führt. Der Pinscher läuft um mich herum, nähert sich dem Strauch, an dem mein Kunstobjekt drapiert ist. Pinkelt direkt unter mein beschriftetes Shirt. Sein Stammbusch. Inzwischen hat mich die Leine dreimal umwickelt. Die ältere Dame, die direkt vor meinem Shirt steht, sieht nur ihren Fiffi und mich, gefesselt von den Leinen.  „Tschuldijung, eene Christo-Verpackung… ditte wollten wa ja nich, wa?“ Kichert. Entfernt sich mit ihrem entleerten Hund im nächsten Hauseingang.

„Ich…bin kein Terrorist… äh… Tourist.“

Die BSR hat ulkige Mini- Fahrzeuge, mit denen sie Bürgersteige und kleinere Wege reinigt. So auch an diesem Tag. Da kurvt also das Gefährt am ollen Charly vorbei, spritzt Wasser, bürstet, bewegt sich vorbei an den Zuckerbäckerbauten der ehemaligen Stalinallee, dreht, fährt um die Kurve. Nochmal. Und nochmal… Jetzt sehe ich es: Die durchaus korpulent zu bezeichnende  Fahrerin des Gefährts macht eine Extra-Schleife, lehnt sich auf der Höhe meines textilen Plakats aus der offenen Kabine, verlangsamt die Fahrt, kneift die Augen zusammen und liest: Ich…bin kein Terrorist… äh… Tourist. Aha. Ich versuche zu leben? Ach nee, - HIER zu leben.  Sie fährt noch eine Runde. Dann hat sie’s.  Der mürrische Rentner schaut ihr zu. Keine Wimper zuckt. Sie fährt davon. Er steht von der Bank auf und geht – weg auf dem Weg.

„Nimm den Lappen ab, sonst hol ick mir dit als Putztuch.“

Ich schaue erwartungsfroh, ob  es nicht weitere Reaktionen gibt. Viele kommen vorbei: Schwangere, kleine Kinder, Einkäufe  schleppende Einheimische. Die meisten stoisch. Lesen kurz, schleppen weiter. Keiner nimmt Notiz von mir, obwohl ich versuche, mein Kunstwerk dadurch aufzuwerten, dass ich mich auffällig davor postiere und es aus verschiedenen Positionen knipse. Berliner sind eben abgehärtet. Wo ist die hessische Familie? Wo ein Kommentar à la: „Guck da, die Berliner hänge die Wäsch‘ zum Droggne in die Sträusche. Habbe die kei  Wäschloin?“

Jemand ruft. Nein, kreischt. Gegen den Verkehr an. Von oben, 5., 6. Stock aus dem Zuckerbäckerbau an der früheren Stalinallee. Kein Hesse.  „Wat soll’n ditte? Vaschandelste die Botanik? Nimm den Lappen ab, sonst hol ick mir dit als Putztuch ab.“

Die Stimme kommt mir bekannt vor. Die ältere Dame mit Hund. Von wegen, sie hat nur einen Blick für Leinen-Christo-Verpackungsobjekte. Hat sehr wohl  meine Installation gesehen. Zog  sich nur auf sicheres Terrain zurück für ihre Beschimpfung. „Komm‘ doch und hol‘s dir!“, rufe ich. „Das T-Shirt wäre Ganzkörperschutzkleidung für Deinen Hund. Kein Touri will den mehr streicheln.“

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Claudia Falk

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