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Runen-Schmierereien auf einem Garagentor

© imago

Lesermeinung: Auch wer nur wegschaut, gefährdet die Demokratie

In Kreuzberg und Mitte wurden Laternen mit Nazisymbolen beschmiert. Unserem Leser fielen derartige Schmierereien nahe der Friedrichstraße auf. Hier sein Erlebnisbericht.

Seit Samstag Nacht bin ich wieder Berliner. Eine Stadt, die sich unter anderem wegen ihrer Offenheit und Toleranz international größter Beliebtheit erfreut, die sich derzeit aber auch mit einer zunehmenden Anzahl von Übergriffen aus ideologischen und religiösen “Gründen” beschäftigen muss. Es ist immer ein kleiner Kulturschock, diese Rückkehr aus Tansania oder auch anderen Ländern Afrikas oder des Nahen bis Mittleren Ostens. Schnell werde ich wieder von der Großstadt eingeholt, von ihren Sonnen-, aber auch ihren Schattenseiten. Diesmal ging es besonders schnell, zu schnell für meinen Geschmack.

Für den Sonntagmorgen habe ich mich mit meinem Freund Wolfgang verabredet, Treffpunkt Bahnhof Friedrichstraße. Ein Frühstück auswärts, denn der Kühlschrank wird erst am Montag wieder gefüllt. Es sollte ein geruhsamer, entspannter Start in das Wochenende werden. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.

Es ist kurz nach Acht, wir laufen auf der Friedrichstraße in Richtung Schiffbauerdamm, uns angeregt unterhaltend, beiläufig fällt mein Blick dabei auf den Boden und ich sehe etwas, das ich im ersten Moment für “Dreck” halte, in den ich nicht treten will. Der zweite Blick bestätigt den Eindruck: Es ist tatsächlich Dreck, allerdings anderer Art, als ich zunächst angenommen hatte. Es ist eine Schmiererei, die Ähnlichkeit mit einer SS-Rune aufweist. Ähnlichkeit? Das kann Zufall sein, so denkt auch Wolfgang.

Wir rufen die Polizei an

Keine zwanzig Meter weiter werden alle Zweifel beseitigt, es war kein Zufall und keine vage Ähnlichkeit, sondern klare Absicht: Da ist noch eine Rune, gleiche Machart, gleiches Material.

08:05 Uhr: Wir rufen die Polizei an, schildern Vorfall und Ort. Herr B. vom Polizeinotruf bestätigt und verspricht, sofort eine Streife zu schicken, allerdings nicht mit Blaulicht, akute Noteinsätze gehen vor. Das ist uns klar, wir versichern, vor Ort zu bleiben und auf die Kollegen zu warten. Herr B. hält das nicht für notwendig, wir schon.

08:35 Uhr: Kurze Nachfrage auf dem Abschnitt 32, wann denn mit dem Eintreffen zu rechnen wäre. Es handelt sich zwar um kein Verbrechen, um keine Gefahr für Leib und Leben, aber trotzdem ist die Angelegenheit allemal wichtig genug, um zeitnah erledigt zu werden, finde ich, schließlich handelt es sich um einen Hot Spot in Berlin, viele Menschen sind hier unterwegs und werden von der Nazi-Propaganda belästigt, auch Touristen, kein gutes Aushängeschild für unsere Stadt. Der Abschnitt bestätigt, Kenntnis zu haben und jemanden zu schicken.

09:20 Uhr: Von Ferne nähert sich eine Fahrradstreife der Polizei. Wir halten die Beamten an, zeigen ihnen die Schmierereien. Und verweisen auch auf die Brisanz und derzeitigen Diskussionen, besonders in Berlin. „Die Diskussion haben wir seit achtzig Jahren“, lautet die Antwort. Routiniert werden die beiden Schmierereien fotografiert, „Wir schreiben etwas dazu“. Wir bedanken uns, jetzt kann gefrühstückt werden.

10:12 Uhr: Anruf einer Streife des Abschnittes 32. Ich hätte eine Sachbeschädigung gemeldet, aber es könne nichts gefunden werden. Glücklicherweise hatten wir die Fahrradstreife angehalten. So kann der Streifenbeamte in Kenntnis gesetzt werden und weitere Nachforschungen einstellen.

Lediglich eine Frau versuchte, eine der Schmierereien zu beseitigen

Warum ich das schreibe? Das hat Gründe: In den knapp anderthalb Stunden, die wir vor Ort waren, sind dutzende Passanten auf dem Weg zum Bahnhof an den Runen vorbei und über sie hinweg gelaufen. Lediglich eine Frau versuchte, eine der Schmierereien mit dem Fuß zu beseitigen. Als wir sie über den Einsatz informierten, bekundete sie ihre Abscheu über solche Taten und deren Verursacher. Womit sie vollkommen richtig liegt. Nach Art und Zustand der Schmierereien zu urteilen, lässt sich sagen, dass sie nicht frisch waren, zumindest die eine wies erkennbare Abnutzung auf, es ist also zu vermuten, dass sie schon vor Tagen, wenn nicht vor Wochen aufgebracht worden sind. Und doch: Auf Nachfrage bestätigte der Abschnitt 32, dass unsere Meldung die erste und einzige war, die vorlag.

Wie viele Menschen mögen von der Hetze Notiz genommen haben, ohne sich weiter darum zu bekümmern? Was geht in diesen Leuten vor? Ist es Ignoranz, das Gefühl “Ich bin nicht zuständig”, “Irgendwer wird schon…” oder auch „Keine Zeit“? Wo ist die Zivilcourage geblieben, wo der - meines Erachtens - normale menschliche Anstand, der die anderen, besseren Gefühle hervorruft: “Dafür bin auch ich zuständig!”, “Nicht irgendwer, sondern ICH!” und “Die Zeit nehme ich mir!”?

Wir haben uns die Zeit genommen. Was ich von den Täterinnen oder Tätern halte, spare ich mir, hier zu schreiben, sie sind mir keine Silbe wert. Es sind wenige Verrückte, an denen wird die Demokratie nicht zugrunde gehen; die Weggucker aber sind viele, die sind eine Gefahr, die mir Sorgen macht. Ich wünsche mir, irgendwann, wenn ich nur noch zu Besuch in Deutschland bin, nicht mehr von solchen oder ähnlichen Schmierereien oder Parolen empfangen zu werden. Nicht vor und auch nicht nach dem Frühstück.

Andreas van Lepsius

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