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Der Lyriker Ramy Al-Asheq lädt seit einem Jahr regelmäßig Autoren ein, über ihre arabischen Lieblingsbücher zu sprechen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Lesereihe "My favorite Kitab" in Berlin: Arabische Autoren stellen Lieblingsbücher vor

Im Arabischen Frühling wurde Ramy Al-Asheq verhaftet, mit einem Stipendium kam er nach Berlin. Mit Lyrik, Texten und einer Lesereihe will er etwas zurückgeben.

Um die Ecke des S-Bahnhofs Bellevue liegt umringt von Bäumen im Hansaviertel der Zweitsitz der Akademie der Künste: ein dreiteiliger architektonischer Bau im Stile des Brutalismus aus den 1960er Jahren. Außer ein paar Vögeln ist kaum etwas zu hören. Ein Ort wie geschaffen für das künstlerische Arbeiten.

„Das Verbotsschild ist egal, das ist ja hier mein Wohnzimmer gerade“, sagt Ramy Al-Asheq, umgeht es und steht vor dem Eingang des Theaters der Akademie der Künste, das rechts des Foyers mit den großen Fensterscheiben, einem kleinen Café sowie Buchhandlung liegt. Al-Asheq deutet auf die Wände, „hier werde ich wahrscheinlich für meine Abschlussperformance Anfang Mai etwas hinprojizieren“. Seit Februar residiert er als Literaturstipendiat in einer der Wohnungen vor Ort, die im hinteren Teil der Akademie in dem mehrstöckigen blauen Anbau liegen.

„Ich bin im November 2014 nach Deutschland gekommen. Zunächst war ich drei Jahre in Köln, Berlin hat mich nicht so gereizt“, erzählt er wenig später in seinem Studio-Apartment – ein lichtdurchfluteter Raum mit hohen weißen Wänden, eine scheinbar schwebende Treppe führt in den Schlaf- und Küchenbereich. Zu verschlossen sei ihm die Stadt zunächst vorgekommen, „mittlerweile fühle ich mich sehr wohl hier und bin froh, hergezogen zu sein“.

Dass er eines Tages in Deutschland leben würde, hätte der 29-jährige Lyriker noch vor ein paar Jahren nicht gedacht. „Ich bin staatenlos: Mein Vater ist Palästinenser und meine Mutter Syrerin. Als Frau darf sie allerdings nicht ihre Nationalität weitervererben.“

Aufgewachsen ist Al-Asheq in einem Flüchtlingscamp in Damaskus. Als politischer Journalist und Autor wurde er während der arabischen Revolution verhaftet, floh daraufhin aus dem Gefängnis und tauchte ab. „Dank eines Stipendiums der Heinrich-Böll-Stiftung bin ich dann nach Deutschland gekommen, die haben sich sehr für mich eingesetzt damals.“

Vor wenigen Wochen ist sein Gedichtband „Gedächtnishunde“ auf Deutsch im Sujet Verlag erschienen. In der prosaischen Lyrik erzählt der Schriftsteller in vier Kapiteln vom Erinnern, Damaskus, der Liebe sowie der Lyrik selbst. Mitte März war er auf der Leipziger Buchmesse unterwegs, wo er aus seinem neuesten Werk gelesen und an Diskussionen auf der Bühne teilgenommen hat.

Tourismus-Studium ohne Reisepass

„Es ist toll die deutschsprachige Literaturlandschaft kennenzulernen. Mittlerweile bin ich auch etwas vernetzter innerhalb der Lyrikszene.“ Ursprünglich wollte Al-Asheq Musiker werden, doch sein Vater verbot es ihm. So begann er, Tourismus in Damaskus zu studieren. „Ohne selbst einen Reisepass zu besitzen, mit dem ich hätte reisen können.“

Nicht nur literarisch ist er aktiv: Seit mehr als einem Jahr kuratiert und moderiert er die Lesereihe „My favorite Kitab“ (dt.: Mein Lieblingsbuch) am Literaturhaus in Berlin in der Fasanenstraße in Charlottenburg. Alle ein bis zwei Monate lädt er einen arabischen Autor ein, eigene Texte zu lesen sowie sein arabisches Lieblingsbuch vorzustellen. „Der arabische Kulturraum ist hier eher negativ besetzt, assoziieren viele zunächst den Islamismus mit ihm. Wir möchten unserem Publikum einen anderen Zugriff und Einblick in die arabische Kultur geben.“

Auch bei den arabisch-deutschen Literaturtagen, die er zusammen mit der deutschen Journalistin und Übersetzerin Lilian Pithan und Ines Kappert letztes Jahr im Februar in der Berliner Stadtbibliothek in Mitte zum ersten Mal veranstaltet hat, geht es um Kulturvermittlung. An zwei Tagen lasen Autoren aus der deutsch- und arabischsprachigen Literaturszene wie Nora Bossong oder Asmaa Azaizeh. Dieses Jahr ist die Veranstaltung im Oktober geplant. „Ich wurde schon von verschiedenen Seiten angesprochen, wann die Tage wieder stattfinden. Das hat mich sehr gefreut und zeigt mir, wie wichtig und richtig dieses Projekt ist.“

Dem Exil etwas zurückgeben

Gemeinsam betreiben Pithan und Al-Asheq auch das bilinguale deutsch-arabische Online-Magazin „Fann Mag“ (dt: Kunstmagazin). Dort berichten Journalisten aus der arabischen wie deutschen Welt über Kunst und Kultur. Auch Gedichte und Prosaauszüge von arabischen Autoren präsentieren sie auf der Plattform.

„Es ist uns wichtig zu zeigen, wie das kulturelle Leben in der arabischsprachigen Welt aussieht und umgekehrt unseren arabischen Lesern das deutsche zu zeigen – die meisten können sich unter Deutschland ja auch nichts vorstellen.“ Er wolle dem Exil etwas zurückzugeben, sagt Ramy Al-Asheq. „Gemeinsam kann man auch viel mehr erreichen als alleine.“

Alles andere als alleine ist er in dem Literaturprojekt „Weiter schreiben“, das Autoren aus Krisengebieten mit deutschen Schriftstellern in Kontakt bringt – mit dem Ziel, sie in die deutschsprachige Literaturlandschaft zu integrieren. Auch ein Tandemprojekt gehört dazu. „Meine Partnerin ist die Lyrikerin Monika Rink, die mich sehr unterstützt und fördert. Der inhaltliche wie menschliche Austausch mit ihr bereichert mich sehr.“

Auch Texte übersetzen sie voneinander, „aber seien wir mal ganz ehrlich, Syrien ist kein Krisengebiet mehr, dafür ist es viel zu kaputt“. Dass Deutschland in einer Krise stecke, könne er schon eher verstehen, auch mit Blick auf den steigenden Rechtsdruck. Mittlerweile dämmert es draußen und der Lyriker raucht eine weitere Zigarette. „Ich brauche nicht viel: Tabak, Kaffee und mein Smartphone, auf dem ich alle meine Texte schreibe“ – über 800 literarische Notizen befinden sich aktuell auf seinem Handy.

Das Wort Heimat gibt es in der arabischen Sprache nicht. Sich selbst verorten kann und möchte sich Ramy Al-Asheq auch nicht. „Flüchtling sein ist ja keine Identität. Meine Sprache ist meine Heimat.“ In Berlin ist er dennoch angekommen, zumindest temporär. Eines seiner nächsten Projekte steht für ihn auch schon fest: Er möchte die U7 entlangfahren, sich mit den Stationen und der jeweiligen Umgebung literarisch beschäftigen, um sich noch mehr mit der Stadt und dem Leben vor Ort auseinanderzusetzen.

„My favorite Kitab" … mit Najat Abdul Samad im Gespräch mit Ramy Al-Asheq über Elias Khourys „Das Tor zur Sonne“, Freitag, 5. April, 19.30 Uhr, Literaturhaus Berlin, Eintritt 7€/ermäßigt 4€. Fasanenstraße 23, Charlottenburg. Weitere Infos unter: www.literaturhaus-berlin.de

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