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Lesen ist gut für die Empathie und Gehirnentwicklung: „Eltern sollen nicht mit dem Vorlesen aufhören“

Christoph Biemann von der „Sendung mit der Maus“ hat ein Buch darüber geschrieben, wie man Kinder zum Lesen motiviert.

Herr Biemann, Ihrem Buch „Buchstabenzauber – Wie Sie ihr Kind fürs Lesen begeistern“ liegt die Erkenntnis zugrunde, viele Kinder und Jugendliche würden nicht gerne lesen. Woran liegt das?

Dass Kinder prinzipiell nicht gerne lesen, das schreibe ich darin nicht und das ist auch nicht so. Kinder mögen eigentlich sehr gerne Bücher. Besonders Bilderbücher verkaufen sich besonders gut. Dieses Jahr sogar noch besser als im letzten Jahr. Aber es gibt viele Eltern, die beklagen, dass ihre Kinder irgendwann die Lust am Lesen verlieren, gerade im jugendlichen Alter, zwischen zwölf und 14 Jahren. Das ist ein von mir sehr häufig beobachtetes Phänomen, das mir von vielen Seiten bestätigt wurde.

Was ist die Ursache dafür?

Das liegt daran, dass andere Dinge, das Smartphone oder Freunde wichtiger werden. Manche sagen aber auch, dass sie die Bücher, die sie haben, langweilig finden. Für Verlage und Autoren sind die Jahre vor dem Erwachsenwerden eine ganz schwierige Altersgruppe. Kindergeschichten ziehen nicht mehr. Es fehlt an Stoff, der leicht zugänglich ist, aber trotzdem so spannend geschrieben, dass er auch Jugendliche anspricht. Da gibt es Harry Potter, aber was, wenn der ausgelesen ist? Da muss man sich schon wirklich gut umgucken. Zumal in dem Alter die Interessen auseinander gehen. Manche interessieren sich für Pferde, manche für Bagger, andere für Musik. Da bedeutet es schon einige Anstrengung, etwas zu finden, das passt.

Liegt es also weniger an den Kindern als am mangelnden Angebot?
Absolut. Und was außerdem ganz wichtig ist, sind die Eltern als Vorbild. Wenn Mutter oder Vater lümmelnd mit dem Smartphone auf dem Sofa sitzen, können sie nicht erwarten, dass das Kind ein Buch zur Hand nimmt. Wenn das Kind aber sieht, dass seine Eltern auch gerne lesen, machen sie das schon eher nach. Wenn das aber nur passiert, wenn die Kinder bereits im Bett sind, bekommen die das leider nie mit.

Nun sind Sie selber eigentlich ein Fernsehmensch. Warum wollen ausgerechnet Sie die Kinder vom Bücherlesen überzeugen?
Von unseren Zuschauern weiß ich, dass diese Kinder häufig nur „Die Sendung mit der Maus“ gucken dürfen und sonst nichts. Dass das Lesen aber für viele Bereiche der Gehirnentwicklung wichtig ist, ist wissenschaftlich belegt. Lesen fördert, dass man Zusammenhänge besser versteht. Was ist die Story? Was ist der Interessenkonflikt dahinter? Und wie funktioniert die Dramaturgie? Lesen fördert außerdem die Empathie. Man lernt dadurch, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Wer einen Roman liest, der fiebert mit dem Protagonisten mit, egal, ob er ihn gut findet oder ihn als Antihelden ablehnt. Wenn es diesen Bezug nicht gibt, versteht man die ganze Geschichte nicht und dann macht es auch keinen Spaß.

Mit Mama und Buch. Der Autor rät, auch dann noch zusammen zu lesen, wenn die Kinder es längst selbst können.
Mit Mama und Buch. Der Autor rät, auch dann noch zusammen zu lesen, wenn die Kinder es längst selbst können.

© IMAGO/Shotshop

Wie hilft einem das für das reale Leben?
Sich in andere Menschen hineinversetzen zu können, das kann man im Leben immer gebrauchen. Ich kann zum Beispiel verstehen, was meinen Mitschüler antreibt. Was ist seine Motivation, wenn er mein Freund sein will oder mich mobbt? Wer viele Bücher liest, lernt auch politische Zusammenhänge besser zu verstehen. Das ist auch für die Demokratie eine ganz wichtige Sache. Nur wenn Menschen gesellschaftliche Zusammenhänge verstehen, sind sie auch mündige Bürger. Sonst wählt man einfach nur irgendeine Partei, weil die Eltern sie schon immer gewählt haben. Auch in der Schule hilft das private Lesen zu Hause weiter. Wer ein dickes Buch konsumiert, liest das nicht an einem Stück. Man muss also jedes Mal neu anknüpfen und lernt dabei, innerhalb von wenigen Zeilen wieder in den Stoff reinzukommen.

Jugendliche lesen ja auch so schon viel. Sie chatten, schreiben ihren Freunden Kurznachrichten und durch das Internet kommen sie an viel mehr Texte heran als frühere Generationen. Reicht das nicht auch? Warum muss es denn ausgerechnet der lange Roman sein?
Man soll natürlich auch andere Bücher und Texte lesen. Romane sind aber wichtig, weil sie Spaß machen, weil sie unterhalten. Wenn man keinen Spaß an einer Sache hat, dann lässt man es. Und wenn es um zwischenmenschliche Geschichten geht, ist Belletristik häufig viel besser geeignet als ein Sachbuch. Man kann ein Buch über Psychologie lesen, aber manchmal versteht man die Dinge eben besser, wenn es um Personen geht, mit denen man auch mitfühlen kann. Dass viel über das Smartphone gelesen wird, stimmt. Aber im Chat oder auf Twitter sind die Nachrichten sehr kurz, also einem längeren Gedankenbogen muss man dort seltener folgen.

Wie können Eltern ein Kind, das nicht gerne liest, motivieren?
Am besten ist es, Kontinuität zu wahren. Viele Eltern hören auf, vorzulesen, sobald das Kind selber lesen kann. Das ist ein Fehler, denn das Vorlesen ist eine ganz fundamentale Sache. Auch älteren Kindern sollte man unbedingt vorlesen. Man kann sich dabei ja auch abschnittsweise gegenseitig vorlesen.

Rund 70 000 Bücher erscheinen jedes Jahr in Deutschland. Wie finde ich das geeignete Buch für mein Kind?
Ich schlage vor, einfach in eine Buchhandlung oder Bibliothek zu gehen und zu sehen, worauf die Kinder anspringen. Manche mögen Fantasy-Geschichten, manche Geschichtsromane, andere lesen lieber Bücher, die im Jetzt handeln und aktuelle Probleme ansprechen. Wieder andere mögen Probleme gar nicht, sondern lesen lieber Heile-Welt-Geschichten. Man sollte die Kinder auch nicht zu irgendetwas drängen, das wäre eher kontraproduktiv. Wichtig ist es, herauszubekommen, welche Bücher für mein Kind geeignet sind, dem genau nachzuspüren. Das ist nicht bei jedem gleich.

Sie plädieren außerdem für das traditionelle Bücherregal. Ist es nicht egal, in welcher Form man das Buch konsumiert?
Wenn Bücher Teil des Lebens und Teil der Umgebung sind, führt das schon dazu, dass Kinder die Bücher mehr für sich annehmen. Ich finde es daher schon wichtig, dass Bücher in der Wohnung auch präsent sind. Außerdem kann man ja nicht alle Bücher gleichzeitig lesen. Da müssen manche eben noch im Bücherregal geparkt werden.

Haben Sie noch mehr Tipps, wie man einem Lesemuffel entgegenkommt?
Manchmal reicht es, einen schönen Leseort zu finden. Gemeinsam in ein Baumhaus klettern, um dort vorzulesen oder sich abends zu zweit ins Bett kuscheln. Dann ist es auch ein Ritual, das über das Lesen hinausgeht. Vorlesen bedeutet auch Zuwendung, und dass man sich eine schöne Zeit macht. Vielleicht noch ein Getränk dazu. Man kann sich auch etwas ganz anderes einfallen lassen. Bei einer Clownsgeschichte sich oder das Kind als Clown verkleiden. In meinem Buch gebe ich dazu ein paar Tipps. Zum Beispiel, dass man sich eine Klingel mitnehmen kann, wenn in der Geschichte eine Klingel vorkommt. Wer selbst kommuniziert, dass Lesen eine schöne Sache ist, überzeugt damit auch sein Kind.

Was ist denn Ihr Lieblingskinder- oder -jugendbuch?
Ich bin im Westen aufgewachsen, aber meine Oma lebte in der DDR. Dort wurde das Kinder- und Jugendbuch sehr gepflegt. Von ihr habe ich viele Bücher bekommen, zum Beispiel von Ludwig Renn oder Science-Fiction-Romane von Rainer Fuhrmann. An „Die rote Zora und ihre Bande“ kann ich mich gut erinnern. Später fand ich „Jim Knopf und der Lokomotivführer“ und „Die Wilde 13“ toll. Auch Kalle Blomquist habe ich viel gelesen und großen Spaß daran gehabt.

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