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Besser lernen, aber wie? Berlin orientiert sich zurzeit am erfolgreicheren Hamburg.

© IMAGO

Lehrermangel in Berlin: An Berlins Schulen werden sogar die Quereinsteiger knapp

Berlins Bildungssenatorin Scheeres umwirbt jetzt auch Studenten, um Lücken in der Lehrerschaft zu schließen. Weitere Notlösungen: freiwillige Mehrarbeit – und eine „Giftliste“.

Der Berliner Lehrermangel erreicht in diesem Jahr eine neue Dimension: Selbst Quereinsteiger werden knapp. „Ich sage ganz deutlich, es wird schwierig, alle Stellen zu besetzen“, lautete am Mittwoch die Vorwarnung von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) gegenüber dem Tagesspiegel. Es würden daher „alle Maßnahmen ausgelotet, mit denen wir Lehrkräfte für die Berliner Schulen gewinnen können“. Dem Vernehmen nach wird mit nur rund 700 Quereinsteigern für über 1000 noch offene Stellen gerechnet. Insgesamt müssen etwa 2100 Stellen besetzt werden.

Mehr denn je versucht die Bildungsverwaltung daher, die Reserven zu mobilisieren. Längst ist klar, dass auch die Weiterbeschäftigung von Pensionären die Lage nicht retten kann. Scheeres appelliert daher an die Schulleiter, Teilzeitkräfte zum Aufstocken ihrer Stundenzahl zu bewegen.

Sie lässt sogar eine freiwillige Anhebung der Pflichtstundenzahl prüfen, was den Lehrern über 350 Euro brutto zusätzlich pro Monat bringen könnte. „Zu allem, was freiwillig ist, kann der Gesamtpersonalrat ’ja’ sagen“, meint dazu der Vizevorsitzende Dieter Haase. Darüber hinaus werden Masterstudenten unter dem Motto „Unterrichten statt Kellnern“ dafür geworben, studienbegleitend zu unterrichten. Aber auch das wird nicht reichen.

Quereinsteiger und Brennpunktlehrer warten auf Entlastung

Wie ernst die Lage ist, wird daran deutlich, dass die von den rot-rot-grünen Bildungspolitikerinnen erkämpfte Entlastung für Quereinsteiger von 19 auf 17 Unterrichtsstunden noch nicht sicher ist. Dem Vernehmen nach wird erwogen, im Sommer nur eine Stunde zu gewähren und erst 2019 die zweite. Die Entscheidung soll erst fallen, wenn Scheeres mit den Vertretern der Koalitionsfraktionen alle Optionen für die Sicherstellung des Unterrichts besprochen hat. Zwar hatte die Bildungsverwaltung im Dezember während der Haushaltsverhandlungen zugestimmt, rund 240 Stellen für die Entlastung der Quereinsteiger zu erübrigen. Inzwischen hat sich die Notlage aber noch verschärft, weil – wegen des bundesweiten Defizits – weniger Lehrer als erhofft von außen angeworben werden können.

"Alles ist auf dem Prüfstand"

Aus der Bildungsverwaltung hieß es dazu am Mittwochabend: "Es stimmt, dass aktuell alle bedarfsrelevanten Maßnahmen intern auf dem Prüfstand sind". Eine Entlastung der Quereinsteiger werde aber "im Sinne der Qualitätssicherung nach wie vor angestrebt".

Anders bei den Brennpunktlehrern. Ihre von der Koalition gewünschte Entlastung kommt noch nicht: Als eine weitere Folge des Personalmangels gibt es für sie erstmal nur eine finanzielle Zulage. Nach welchen Regeln die jährlich für diesen Zweck bewilligten 8,6 Millionen Euro verteilt werden, steht aber noch nicht fest. Diskutiert wird, dass sie nur den Schulen zugute kommen, die mehr als 80 Prozent Schüler aus Sozialtransferhaushalten haben. In diesen Tagen soll sich diese Frage geklärt sein.

"Höhere Besoldung kam zu spät"

Dieter Haase wirft dem Finanzsenator vor, die Höherstufung der Grundschullehrer auf A13 erst im Mai und damit zu spät bewilligt zu haben, womit die Chance verspielt worden sei, bereits zu diesem Sommer Lehrer aus anderen Ländern mit der Aussicht auf die höhere Besoldung anwerben zu können. Regina Kittler (Linke) ging noch weiter: „Die Senatorin hätte schon 2012 die Anhebung auf A13 und die Verdoppelung der Studienplätze durchsetzen müssen“, sagte sie auf Anfrage.

Warnung vor der „Giftliste“?

Wegen des Lehrermangels will Scheeres jetzt auch auf Pädagogen zurückgreifen, die für andere Aufgaben vom Unterrichten freigestellt worden sind. In einer intern als „Giftliste“ titulierten – noch geheimen – Aufstellung hat die Verwaltung infrage kommende Stellen, etwa die Moderatoren für die Europaschulen, zusammengetragen. Darunter sind auch einige Lehrer, die an den Universitäten Lehramtsstudenten unterrichten.

Dieser Plan hat bereits zu Protesten geführt, darunter ein Brief der Freien Universität an Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD), in dem vor einer „hochproblematische Situation“ gewarnt wird. „Unsere Lehre kommt ins Wanken, denn diese Pädagogen leisten uns einen unschätzbaren Dienst“, bekräftigte Daniela Caspari, Professorin an der Dahlem School of Education.

"Die Verwaltung untergräbt die eigene Expertise"

Es gehe um die „lebendigen Scharniere“ zwischen Hochschule und Schule. „Die Senatsverwaltung untergräbt ihre eigenen Expertise“, warnt Caspari. „Diese Lehrer sind extrem wichtig für die Praxisorientierung“, betont ebenso Jürg Kramer, Mathematik- Professor an der Humboldt-Universität.

Auch die Studenten sind alarmiert. Eine Unterschriftensammlung gegen das Vorhaben sei bereits gestartet, sagte am Mittwoch die FU-Masterstudentin Itziar Moyano Lopez dem Tagesspiegel. Sie macht sich Sorgen, dass sich ihr Studium verlängert, wenn diese „wichtige Brücke zwischen Theorie und Praxis entfällt“.

Es gibt allerdings auch Lehrerabordnungen, deren Abschaffung weniger Empörung auslösen würde, berichten Schulleiter unter der Hand und erwähnen dabei etwa Pädagogen, die in der Bildungsverwaltung „Akten kopieren müssen, um Sachbearbeiter zu entlasten“.

Es bleibt beim Nein zur Verbeamtung

Zurück zur Verbeamtung will die SPD trotz der angespannten Lage aber nicht: Die Antragskommission des Vorstands hat für den Parteitag am 2.Juni einstimmig empfohlen, einen entsprechenden Vorstoß der SPD in Frohnau abzulehnen.

Das Motto lautet: "Unterrichten statt Kellnern"

Um die Personallücken in den Schulen zu schließen, wirbt die Bildungsverwaltung jetzt auch vermehrt unter Lehramtsstudierenden im Masterstudium für einen stundenweisen Einsatz ab 15.August. Wie viel sie dabei unter welchen Bedingungen verdienen können, ist neuerdings unter dem Motto „Unterrichten statt Kellnern“ in einem gleichnamigen Flyer zusammengefasst. Dem ist zu entnehmen, dass die Studenten bis zu 14Stunden unterrichten und dafür knapp 1550 Euro pro Monat bekommen können. Möglich ist auch ein Minijob auf 450-Euro-Basis.

Das zentrale Auswahlerfahren findet vom 25. bis 29. Juni statt. Studenten haben auch bisher schon unterrichtet, allerdings unter anderen Bedingungen und im Rahmen des Vertretungsbudgets. Weitere Infos im Netz auf der entsprechenden Seite der Bildungsverwaltung.

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