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Swing im Rathauskeller.

© Carina Kaiser/privat

Leben in Berlin während der NS-Zeit: „Swing-Tanzen verboten“

Am 23. Januar 1942 ist Heinz-Dieter Koch mit seiner Schülerkombo im Friedenauer Ratshauskeller aufgetreten. 77 Jahre später erinnert er sich.

Heinz-Dieter Koch steht in kariertem Sakko und weiter Hose vor seinen Schulkameraden in einem hölzernen kleinen Keller. Er hebt die Arme synchron in die Luft, sie warten auf ihren Einsatz: Klavier, Schlagzeug, Bass und Gitarre. Das Foto zeigt den ersten Auftritt der damaligen Schülerkombo im Friedenauer Ratshauskeller, aufgenommen am 23. Januar 1942.

77 Jahre ist das nun her, auf den Tag genau. „Ich bin 95 Jahre alt, das ist eigentlich unvorstellbar“, sagt Koch und lässt sich in seinen dunkelbraunen Sessel fallen. Der Wilmersdorfer, immer noch in Hemd und Sakko gekleidet, sitzt über die Fotos gebeugt und erzählt Geschichten aus seinem Leben während des Nationalsozialismus, als wäre es das Normalste der Welt. Doch das war es damals natürlich nicht. Heinz-Dieter Koch und seine Swing-Kameraden haben sich der seinerzeit vorherrschenden NS-Ideologie widersetzt.

Während des Zweiten Weltkriegs galt die Swing-Jugend als größte musikalische Gegenbewegung, eine Bewegung, die sich häufig in Großstädten zusammenfand. Wer seine Liebe zum Swing oder Jazz öffentlich äußerte, passte nicht zur Volksgemeinschaft. „Bei uns war jeder willkommen“, sagt Heinz-Dieter Koch. „Wir haben uns um Nazis einen Dreck gekümmert, denn wir hatten uns dem Jazz verschrieben.“

Im Jahr 1937 zog der in Danzig geborene Koch mit seiner Familie von Rostock nach Berlin. Hier besuchte er, damals 13 Jahre, die Friedrich-Bergius-Schule in Friedenau. Das Musikzimmer der Schule wurde nicht nur sein persönlicher Lieblingsraum für musikalische Arrangements, sondern auch sein Ort der Rebellion. Zu NS-Zeiten wurde vor allem amerikanische Jazzmusik als provokanter Lebensstil angesehen. Swing galt unter den Nazis als „undeutsch“ und „gefährliche staatsfeindliche Einstellung“, weshalb seine Anhänger von der Gestapo beobachtet wurden. Polizei und Hitlerjugend führten Kontrollen auf Swing-Konzerten durch und verhängten Arreste oder Schulverweise. Noch heute besitzt Heinz-Dieter Koch eine Platte, auf der mit großen Lettern „Swing-Tanzen verboten“ steht.

Koch und seine Kameraden wollten sich der offiziellen Jugenderziehung des Regimes jedoch nicht beugen und komponierten trotz des Tabus im Musikzimmer der Schule. „Die Lehrer unterstützen uns und machten sogar mit“, erzählt Koch, der sich alles selbst beigebracht hat: Akkordeon, Hammondorgel, Arrangieren. Sie spielten vor allem die großen amerikanischen Klassiker, aber auch eigene Kompositionen. Aus Klassenkameraden wurden so Freunde fürs Leben. Eine ganz normale Jugend, in einer anderen Zeit. „Hätte das jemand mitbekommen, wären wir ins Gefängnis gekommen.“ Trotz der Gefahr lassen sich die Freunde über Kontakte amerikanische Jazzplatten zuschicken.

Jetzt bleiben nur noch die Erinnerungen

So sind vor 77 Jahren die Bilder in dem Festsaal des Friedenauer Rathauskellers entstanden. Ein großes Publikum für eine Schülerband, doch die brachte den Saal ordentlich zum Tanzen. Kurz darauf wurde Heinz-Dieter Koch als Soldat eingezogen, da gibt es nicht viel zu erzählen, sagt er. Die Musik blieb seine Leidenschaft, sein Beruf allerdings wurde ein anderer. Koch tritt ans Fenster, etwas wackelig auf den Beinen. Seit 38 Jahren wohnt er mit seiner Frau in der „Schlange“, der berühmten Autobahnüberbauung in der Schlangenbader Straße. Vor fünf Jahren sind sie innerhalb des Gebäudes in eine kleine, barrierefreie Wohnung im fünften Stock gezogen. Von seiner großen Terrasse aus kann er das alte West-Berlin überblicken. Von 1973 bis1978 war er Manager im Europacenter, danach hat er sich selbstständig gemacht als Unternehmensberater.

Heinz-Dieter Koch ist im Dezember 95 Jahre alt geworden. Seine Liebe zum Swing hat er nie verloren.
Heinz-Dieter Koch ist im Dezember 95 Jahre alt geworden. Seine Liebe zum Swing hat er nie verloren.

© Carina Kaiser/privat

Der Swing war und ist sein größtes Hobby. Das verrät nicht nur seine große Plattensammlung, sondern vor allem seine Augen, wenn er darüber spricht. Zu Heinz-Dieter Kochs großen Vorbildern gehören auch heute noch einflussreiche amerikanische Jazzmusiker wie Duke Ellington und Coleman Hawkins. In seinem Hobbyzimmer stand bis vor Kurzem noch eine knapp 100 Kilo schwere Hammondorgel. Die aber hat er kürzlich verkauft, die Finger machen nicht mehr mit. Er vermisst die alte Rias Big-Band, mit der damals die musikalische Brücke in die USA geschlagen wurde, ein bisschen Freiheit. Bis zuletzt sind die alten Freunde jedes Jahr gemeinsam verreist, zuletzt waren sie in Rom, etwas ganz Besonderes, sagt Koch.

Im Dezember hat er seinen 95. Geburtstag gefeiert, mit der ganzen Familie – und natürlich mit ordentlich Musik! Allerdings nur von der Platte: Der letzte seiner Kameraden ist kürzlich gestorben. Jetzt bleiben nur die Erinnerungen, die alten Bilder und natürlich die Platten. Zum Jubiläum heute wird er die alten Songs auflegen – und vielleicht sogar ein bisschen tanzen.

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Carina Kaiser

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