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Berlin: Laszlo Kerekes (Geb. 1954)

Er produziert Bilder in einer Stadt, in der es mehr Bilder als Wände gibt

Ein See ohne Wasser in der Vojvodina, Jugoslawien. Ein Mann mit Bart und langen Haaren malt mit Kreide bizarre Muster auf den verdorrten Boden, als wolle er Außerirdischen beim Landen helfen. Oder Bombenabwürfe lenken, auch wenn noch keiner ahnt, dass es sie geben wird. Am Ufer ein junges deutsches Touristenpaar, ungläubig und fasziniert. Sengende Hitze, in Laszlos Flasche ist kein Wasser, sondern selbst gebrannter Schnaps. Sie kommen ins Gespräch, aber verständlich machen kann er sich nicht. Worin besteht der Sinn dieser vergänglichen Kunst jenseits von Galerien, Museen, Auktionen? Der Mann wird einsilbig und zieht weiter seine Bahnen.

Sie werden sich in Berlin wiedersehen, irgendwann nach seiner Flucht aus dem Land, das Jugoslawien hieß und das zum Schlachtfeld werden sollte. Seine Heimat, eine Hassliebe. Die Spuren, die er hinterlässt, sind flüchtig.

Geboren wurde Laszlo in der Batschka, einer Region, in der 18 deklarierte Minderheiten unter Titos harter Hand friedlich miteinander lebten. Seine Eltern, beide Lehrer, gehörten zur ungarischen Minderheit. Die Ex-Partisanen sprachen Deutsch miteinander, wenn es um Politik ging. Die Söhne sollten davon nichts mitbekommen. Schon als Kind wollte Laszlo Künstler werden, aber anpassen wollte er sich nicht. Immerhin, in Jugoslawien gab es mehr Freiräume als anderswo im Osten. Laszlo kann reisen, lernt Asien kennen, macht Kommune-Erfahrungen, ist Hippie. Anfang der Siebziger gehört er zur neoavantgardistischen serbisch-ungarischen Künstlergruppe „Bosch + Bosch“. Er studiert Philosophie, dann Restaurierung. Als Konservator und Dokumentarist bekommt er öffentliche Aufträge, als Künstler führt er ein Nischendasein mit einer gewissen Ausstrahlung. „Land Art“, „Body Art“, „Mail Art“, über die Landesgrenzen hinaus wird er bekannt. Und er wird viel verlieren.

1988 kommt er nach West-Berlin, fremdes Territorium. In der Hand einen kleinen Koffer, in der Jackentasche Adressen von Unbekannten, ein wenig Geld. Zurückgelassen hat er seine Kunst, seine Familie, seine Heimat, sein altes Leben. Eine Studentin öffnet die Tür und lässt ihn eintreten. Sie kennt seine Heimat, aber nicht diesen Mann mit vollgekleckstem Künstlerhut. Er kann ihr immerhin ein paar Fotos seiner Werke zeigen. Sie ist begeistert, auch von seiner Wärme und seinem Humor. Die beiden verständigen sich mit einer wilden Mischung aus Broken English und anderen Sprachen – und sie werden ein Paar, symbiotisch, für mehr als ein Jahrzehnt.

Für Laszlo ist die Begegnung eine Bestätigung seiner Maxime „God is helping me“, alles wird gut, alles ist erreichbar, auch wenn man sich völlig verausgaben muss. Die Hoffnungen sind groß, die Enttäuschungen nicht minder. Schnell wird klar, dass auch in Berlin die Freiheit ihre Grenzen hat. Auf dem Kunstmarkt erkennt er die mafiösen Strukturen seiner Heimat wieder. Sein Genie kann und will er nicht verkaufen. Vom Mauerfall profitiert er nur als Mauerspecht – und wird um den Lohn geprellt. Seinen Job als Ikonenrestaurator machen andere nun für weniger Geld. Er baut Lampen und Möbel, renoviert Wohnungen, hält sich irgendwie über Wasser.

Natürlich hat er Freunde und Bewunderer, die ihn unterstützen, seine Kompromisslosigkeit schätzen. Er wohnt und arbeitet in einer ehemaligen Backstube in Neukölln, ein großer gekachelter Raum, ein kleiner Allesbrenner, ein modriger Keller, Außenklo. Im Winter eine Eiswüste, in der er arbeitet und für Freunde Vernissagen macht. Überall Bilder, wenig persönlicher Besitz, vor allem Filme und Tonträger. Er liebt Tarkowski, Kaurismäkis „Das Leben der Bohème“, Technomusik und Laibach, die slowenische Industrialband. Als der Krieg in seiner Heimat ausbricht, gelingt ihm mit einer Ausstellung ein Coup: „Some Wall“ in der Elefantenpress-Galerie. 30 Tafelbilder mit Griffen zum Tragen, auf alte Schulstühle gestellt, Gebisse, Stacheldraht, zerstörte Felgen, Zerstörung, Flucht, Verzweiflung. Ein Foto zeigt ihn inmitten der Installation, erschöpft.

Anonyme Anrufer, die er als Serben identifiziert, wollen ihm die Hände abhacken. Er soll nie mehr malen können. Die Bilder verkauft er an Bekannte für den Gegenwert seiner astronomischen Telefonrechnungen. Er würde so gerne Menschen in seiner zerbrechenden Heimat unterstützen, aber er ist ja selbst bettelarm. Manchmal kann er Kurieren Geld für die Familie mitgeben. Ruhelos die nächsten Jahre, Laszlo steht unter Dauerdruck. Und produziert Verstörendes, wovon nur wenig in Museen gerät – und wenn, dann als „sozialer Stützungskauf“.

In Copyshops ist er Dauerkunde, arbeitet an der experimentellen Ausweitung seiner Technik. Und unterfüttert seine Kunst mit philosophischen Manifesten. „Dies ist nicht mein Jahr“, ein serieller Text mit Bildern wird zum Buch „Geogram“. Freunde kaufen es ihm ab, zum Selbstkostenpreis. Wovon er lebt, weiß niemand so genau. Er kann die Künstlersozialkasse nicht bedienen, produziert ohne Ende und das in einer Stadt, in der es mehr Bilder als Wände gibt.

Der Künstler, der nur Ablehnung spürt, wird aggressiv. Gegen andere und gegen sich. Laszlo schont weder sich noch seine Kunst. Ein cholerischer Kettenraucher mit Schlafdefizit, schon verkaufte Werke tritt er kaputt oder malt sie um, den verdutzten Kunden erzählt er etwas von „balkanischer Energie“. Er meint: Verzweiflung.

Seine Materialien sind oft Wegwerfprodukte der Konsumgesellschaft, „Recycling Memory“ heißt sein Projekt, auf Flohmärkten findet er Nachlässe, Fotos, Dias, Schrott. Er arbeitet nachts, allein. Beeindruckende Objekte entstehen, er stellt sie aus. Jetzt nicht mehr in Galerien, sondern als Zwischennutzer urbaner Leerstellen, ehemalige Umspannwerke, eine runtergekommene Jugendstilvilla in Potsdam.

Einige seiner Mitstreiter werden Karriere machen, Laszlo bleibt zurück. Dann der Mietvertrag für eine ehemalige Zoohandlung in Mitte, der Traum von einem Künstlertreffpunkt, „artists’ space“, eine unabhängige internationale Produzentengalerie. Nach einem furiosen Jahr ist er ausgeträumt. Laszlo ist kein Gruppenmensch.

Videokunst, Performances und Fotografie werden neue künstlerische Ausdrucksformen. Seine Werke werden in New York, Budapest und Venedig gezeigt. Dann gibt es mal ein Jahr ohne Not, ein Stipendium des Kunstfonds Bonn. Er archiviert sein Werk akribisch, kann endlich reisen und internationale Netzwerke aufbauen. Die europäische Kulturzeitschrift „Lettre International“ bringt seine Arbeiten auf dem Titelbild. Aber Geld oder weitere Aufträge bringt das nicht.

Der Künstler sammelt Flaschen, baut Fahrräder zusammen und streicht fremde Wohnungen.

Vor zwei Jahren streikt sein Herz. Nach der Operation ist er auf einen Computer angewiesen, der es am Schlagen hält. Er trägt ihn in einer Umhängetasche mit sich, stets in Sorge um die Akkus und mit der Angst vor vermeintlichen Störgeräuschen. Rettung und Marter zugleich. An Freunde schreibt er eine SMS: „das neueste kunstprogramm ist: das verschwinden im rhythmus des herzens wie eine kerze.“ Seine Visionen sind ungebrochen, allein die Kraft fehlt. Johanna, seine letzte Lebensgefährtin, kümmert sich um eine Grundsicherung für den kranken Künstler. Sie haben sehr schöne Momente, aber die Zeit drängt. Laszlo sichtet sein Lebenswerk, zerstört und bewahrt für imaginäre Adressaten.

Kurz vor seinem Geburtstag findet sie ihn leblos im aufgeräumten Atelier, auf dem Tisch wie eine letzte ironische Inszenierung ein „Spiegel“-Titelblatt zur Euro-Krise mit Trauerflor: „Plötzlich und erwartet“. Es war keine technische Störung. Er hat sich entschieden zu gehen.

Die bewegende Abschiedsfeier in einer Kapelle, eine Gipsyband spielt auf. Die Trauergäste haben weite Reisen auf sich genommen. Ein letztes Mal macht Dragana, seine künstlerische Weggefährtin, eine Performance mit einem seiner selbst gebauten schweren Metallhelme, wie ein überdimensionierter Tiefseetauchhelm. Die kleinen Monitore, in denen früher analoge Fernsehbilder liefen, bleiben schwarz, es gibt dafür keinen Empfang mehr. Die Schläge mit einem Stock, ihr Echo wie ein Herzschlag, der sich steigert und dann verhallt. Seine Asche wird an einem unbekannten Ort verstreut, sein letzter Wille: Die Werke sollen in den nächsten 20 Jahren weder in Serbien noch in Ungarn zu sehen sein. Er will nicht postum vereinnahmt werden. Es kommt anders. Ende Dezember wird eine Ausstellung in Novi Sad eröffnet, sein Name in serbischer Schreibweise. Eine letzte Verletzung. Erik Steffen

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