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Die Weddingerin Alfa Conradt kennt sich mit dem Gärtnern in der Stadt aus.

© Kitty Kleist-Heinrich

Langer Tag der Stadtnatur in Berlin: Jeder Bezirk hat seine Baumscheibenpolitik

Bürger, Amt und Baumbeet: Kaum eine Dreiecksbeziehung ist konfliktreicher. Am Sonnabend findet in Berlin der Lange Tag der Stadtnatur statt.

Von ihrem Balkon im vierten Stock kann Alfa Conradt „ihre“ Baumscheibe gar nicht mehr erkennen. Zu dicht sind die Blätter der Linde mittlerweile. „Die steht richtig im Saft“, sagt die Weddingerin stolz. Natürlich wegen ihres Pflanztalents, ist sich Conradt sicher. Seit 2013 verschönert sie die Flächen unter den Bäumen in ihrer Straße. „Mittlerweile gehen Spaziergänger extra durch die Türkenstraße“, freut sie sich.

Brombeeren, Erdbeeren, eine Yucca-Palme, drumherum ein niedriges Holzzäunchen – was so spontan aussieht, ist Ergebnis von Bürokratie. Im dezentralisierten Berlin ist Baum nicht gleich Baum, jeder der zwölf Bezirke macht seine eigene Baumscheibenpolitik. Bei den meisten ist es nachzulesen auf Info-Flyern, die im Internet herunterzuladen sind.

Da gibt es das entspannte Neukölln, wo ohne Registrierung drauflosgebuddelt werden kann. Da gibt es Reinickendorf, wo man so lange weiterverwiesen wird, bis einem die Pflanzlust vergangen ist. Da gibt es Marzahn-Hellersdorf, bar jedweder Online-Infos. Warum? Entweder hätten die Leute einen Garten oder es handele sich um vom Grünflächenamt verwaltete Grünstreifen, heißt es dort auf Nachfrage. Und auch wenn ein Baum überall erst nach seiner „Anwuchsphase“ – meist erkennbar am hölzernen „Dreibock“ – bepflanzt werden darf, herrscht auch hier Berliner Diversity: Lichtenberger Bäume sind schon mit zwei Jahren erwachsen, Pankower erst mit fünf.

Conradt gärtnert mit Liebe zum Detail.
Conradt gärtnert mit Liebe zum Detail.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kommunikation zwischen Bürgern und Grünflächenämtern ist oft konfliktreich

Trotz bunter Faltblättchen birgt die Kommunikation zwischen Grünflächenämtern und pflanzwilligen Bürgern Konfliktpotenzial, das weiß Conradt selbst nur zu gut – Auseinandersetzungen mit dem Amt um Richtig und Falsch bei der Begrünung begleiten sie seit Beginn ihrer Gärtnerkarriere vor fünf Jahren. Sie zeigt auf die „Amtsscheibe“ direkt neben ihrer, kürzlich vom Leiter des Baumreviers, Wolfgang Leder, angelegt, in Vorbereitung auf den Langen Tag der Stadtnatur an diesem Wochenende.

Für den Sonnabendnachmittag war von der Stiftung Naturschutz eine gemeinsame Pflanzaktion der beiden angekündigt, ein „Friedensgipfel“. Aber wenige Wochen davor ist von Frieden noch nicht viel zu spüren. „Ich habe ihm angeboten, mich um seine Scheibe mitzukümmern, da kam sinngemäß ein ‚Lassen Sie unsere Baumscheiben in Ruhe!' zurück.“

„Friedensgipfel“ von Amtsseite abgeblasen

Nun wurde der „Friedensgipfel“ von Amtsseite abgeblasen. Im Amt heißt es sogar, die gemeinsame Aktion sei nie geplant gewesen. Baumchef Leder wird trotzdem da sein und gemeinsam mit der grünen Stadträtin Sabine Weißler öffentlich „Baumscheiben bepflanzen, wie wir das für richtig halten“. Das weiche von dem ab, was Frau Conradt für richtig halte, sagt Leder, auch diese Unterschiede werde er für angehende Minigärtner erläutern. Herrscht da etwa Kleinkrieg im Kleinbeet? Leder: „Wir wollen miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.“

Aber auch in anderen Bezirken ist man sich baumscheibentechnisch nicht immer grün. Im vorigen Jahr wüteten Pankower Amtsmitarbeiter unter dem grünen Stadtrat Vollrad Kuhn in den Minigärten, rissen Pflanzen aus, machten Zäunchen platt – wegen regelwidriger Bepflanzung. Selbst wohl etwas erschrocken über diesen Aktionismus, machte Kuhn in den vergangenen Monaten Tempo und präsentiert in diesem Jahr stolz einen Info-Flyer, auf den Weg gebracht „durch unermüdlichen Einsatz und Überzeugungsarbeit auch meinerseits“.

Sogar über Einzäunungen lässt das Amt jetzt „im Einzelfall“ mit sich reden. Und eine neue Mitarbeiterin kümmert sich unter anderem um die Baumscheiben-Paten. Als i-Tüpfelchen wird der Pankower Umweltpreis im nächsten Jahr auch noch an die „schönste Baumscheibe“ verliehen.

Über Zäunchen lässt sich streiten

Das Grün will gepflegt werden.
Das Grün will gepflegt werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Infoflyer stoßen auf Kritik

Doch die Flyer kommen nicht überall gut an: Typisch deutsch-pantoffelig sei das, sagen Kritiker, haben die denn keine anderen Probleme? „Wir unterstützen die Begrünung, aber wir wollen sie begleiten“, sagt Baumexperte Leder. Bäume litten „still und leise“, Schäden seien oft erst nach Jahren sichtbar. Da stimmt ihm sogar Alfa Conradt zu. „Es braucht einfach eine gewisse Baumkenntnis, und die hat nicht jeder. Eine Ulme etwa kann ich kaum bepflanzen, die wurzelt zu weit oben. Aber wer erkennt schon eine Ulme?“ Vom Drauflosbuddeln rät Conradt deshalb ab, aber andererseits verstehe sie auch, wenn Anwohner unter Zeitdruck stünden.

„Wenn man in dieser Saison noch pflanzen will, dann sollte man jetzt loslegen.“ Doch das gehe ja schlecht, wenn das Amt Wochen für eine Zustimmung brauche. Amtschef Leder erklärt den Rücklauf mit Sturmtief Xaver, mit dessen Spätfolgen das Baumrevier auch nach gut anderthalb Jahren bislang noch zu kämpfen hatte. Man wolle sich jetzt aber personell besser aufstellen.

Auch über Zäunchen lässt sich streiten

Auch mit den Zäunchen hält es jeder Bezirk anders. Zwar hat das Amt Conradts niedrige Holzeinfassungen bislang stehen lassen, trotzdem sind sie in Mitte oder Spandau eigentlich nicht erlaubt. Conradt versteht das nicht. „Das hält Hunde ab, es hält Leute davon ab, durchzulaufen – es macht wirklich einen Riesenunterschied“, sagt sie. Ein Erfahrungswert, den das Amt nicht einsehen wolle. Offizielle Verbotsbegründung: Einerseits könnten Zäune die Baumwurzeln verletzen – die sehr viel mächtigeren, „offiziellen“ Metallbügel erstaunlicherweise nicht, die immerhin 70, 80 Zentimeter tief in die Baumscheibe gerammt werden. Außerdem seien die Eingrenzungen „Stolperfallen“, der Bezirk hafte dafür, wenn sich jemand zu Schaden kommt.

„So ein Quatsch“, sagt Luigi Lauer, „nach der Logik müsste man auch sämtliche Bordsteine entfernen.“ Der Treptower organisiert alljährlich das Baumscheibenfest im Kiez an der Karl-Straße und ist wie Conradt der Meinung: Eine Baumscheibe ohne Einfassung wird zum Abstellplatz für Fahrräder, Schnapsflaschen und ausrangierte Kühlschränke. Treptow erlaubt die Zäune – mittlerweile. „Die haben Angst davor, tätig werden zu müssen, das verstehe ich sogar“, sagt Lauer mit Blick auf zaunophobere Bezirke. „Die sind chronisch unterbesetzt, und ein Verbot ist praktischer, dann muss man nicht gucken kommen und kontrollieren.“

Vielleicht bald ein Minigärtnerschein?

Alfa Conradt wird mittlerweile mit etwa 300 Euro pro Jahr aus öffentlichen Mitteln gefördert. Wollen andere Weddinger ein Minibeet vor ihrem Haus anlegen, hilft Conradt aus mit Erde, Pflanzen und ihrem Wissen, kümmert sich um die Anmeldung beim Amt. Seminare zur Baumscheibenbegrünung, wie sie die Grüne Liga anbietet, findet sie nicht schlecht. Vielleicht, denkt sie weiter, sollte sogar eine Art Minigärtnerschein eingeführt werden? Davon hält ihr Treptower Kollege Lauer wenig. „Das ist übertrieben, ein Blick in die jeweilige Bezirksbroschüre reicht. Außerdem“, gibt er zu bedenken, „gelangen wir dann wieder in diese Regelungswut – aus der wir doch gerade aussteigen.“

ERSTMAL RECHERCHIEREN: Wer eine Baumscheibe, also das Beet unter einem Baum, bepflanzen will, sollte sich auf den Internetseiten des bezirklichen Grünflächenamtes informieren, ob eine Erlaubnis nötig ist. Manchmal ist die Bepflanzung sogar unerwünscht.

UNBEDINGT BEACHTEN: Solange ein hölzerner „Dreibock“ oder Ähnliches den Baum abstützt – Finger weg. Er befindet sich noch in der „Anwuchsphase“. Die oberste Erdschicht ist verseucht durch Hunde-Urin, Zigarettenstummel, Abfall und sollte durch neue Erde ersetzt werden. Wegen unterirdischer Leitungen aber nicht tiefer als zehn Zentimeter graben. Nach dem Bepflanzen ist es mit der Mühe nicht vorbei. Der Gärtner bleibt sowohl für die Reinigung als auch die Bewässerung zuständig.

Die Weddinger Baumscheiben-Pflanzaktion am Sonnabend (16 bis 19 Uhr, Türkenstraße 1) ist nur eine von 500 Veranstaltungen zum „Langen Tag der Stadtnatur“. Tickets und alle weiteren Termine unter langertagderstadtnatur.de

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