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Abgegraben. Bis spätestens 2038 soll Schluss sein mit dem Tagebau in der Lausitz. i

© dpa

Landtagswahlen in Brandenburg: „Seit der Wende wurde in der Lausitz nichts getan“

Sebastian Lachmann entstammt einer Bergbaufamilie. Für die Zukunft der Region sieht er noch keine Alternative zur Braunkohle.

Herr Lachmann, Sie sind 34 Jahre alt, wieso haben Sie sich für einen Beruf in einer Branche entschieden, die ausstirbt?

Ich bin in Cottbus geboren, komme aus einer Bergbau- und Kraftwerkerfamilie. Der eine Großvater war Sicherheitsingenieur im Kraftwerk, der andere hat im Tagebau gearbeitet. Das waren in der Gesellschaft anerkannte Berufe, beide waren zufrieden. Mit Stolz haben die Leute immer „Unser Revier“ gesagt. Für mich war schnell klar, dass ich hier meine Ausbildung mache.

Mittlerweile hat sich das Job-Image allerdings verändert …

Ja. Das liegt meiner Meinung nach auch daran, dass wir in den ganzen Jahren hunderttausend Arbeitsplätze verloren haben. Früher waren überall Bergleute und Kraftwerker in den Gemeinden, heutzutage gibt es ja nur noch 8000 Mitarbeiter.

Wie viel tragen Braunkohle und Tagebau trotzdem noch zu Selbstverständnis und Identität der Region bei?

Ein Beispiel: Der Cottbusser Bahnhof wurde in den vergangenen zwei Jahren umgebaut. Trotzdem steht da immer noch dieser ganze Baumstamm, eine alte Mooreiche, den sie aus aus einem Lausitzer Tagebau rausgeholt haben. Der muss mal als Ganzes in den Sumpf gekippt sein und ist jetzt quasi ein Riesenstück Kohle. Das kennt jeder Cottbusser schon ewig. Wenn Besuch nach Cottbus kommt, erzählt man erstmal die Geschichte vom Kohlebaumstamm. Hier wird seit knapp 100 Jahren Tagebau betrieben. Das sieht man auch an der Landschaft. Nicht nur weil da mal große Löcher waren, sondern weil da auch tolle Seen entstanden sind …

… und Dörfer verschwunden.

Ich war selbst familiär betroffen als Geisendorf abgebaggert wurde. Ein Teil meiner Familie hat dort gelebt. Es ist nicht schön, wenn Heimat und Erinnerungen verloren gehen. Aber man weiß auch, warum das gemacht wird. Es geht ja nicht nur um Gewinne, sondern wir produzieren Energie für ganz Deutschland. Die andere Seite: Durch den Wegfall der Arbeitsplätze seit der Wende ist die Einwohnerzahl in Cottbus von 128 000 auf 100 000 gesunken, damit hat sich das gesamte Stadtbild geändert. Rückbau von großen Wohngebieten war die Folge.

Wie ist die Stimmung heute in der Region?

Beim Thema Braunkohle sind die Leute sehr gespalten. Wir haben hier sehr viele, die nicht in der Braunkohle tätig sind, die aber wissen, was daran hängt. Das fängt an beim Friseur, beim Bäcker, bei allen, die von den Menschen abhängig sind, die in und mit der Kohle ihr Geld verdienen. Da gibt es manchmal Weltuntergangsszenarien im Kopf: „Was passiert, wenn die Kohle nicht mehr da ist, wie soll ich dann noch meinen Job ausführen können?“

Haben Sie mal nachgedacht, wegzuziehen?

Nur kurz nach dem Abitur.

Wie ist es mit Ihren Klassenkameraden, wie viele sind da in der Region geblieben?

So zwischen 60 und 70 Prozent sind weggegangen. Allein, weil sie sich in der Regel für Studiengänge entschieden haben, die in Cottbus nicht angeboten werden. Es sind aber in den letzten fünf Jahren viele wieder zurückgekommen, weil sie sich anderswo fremd gefühlt haben und zurück in ihre Heimat wollten. Viele arbeiten jetzt in Berlin oder Dresden, wohnen aber hier.

Ihr Chef, der Vorstandsvorsitzende der Leag Helmar Rendez, hat in einem Interview gesagt, dass er vom Kohleausstieg nicht überzeugt ist. Wie ist es bei Ihnen?

Ich sehe aktuell in Deutschland nicht, dass wir technologisch und wirtschaftlich soweit sind, auf Kohle zu verzichten. Sie ist ein kostengünstiger Energieträger, viele Industriearbeitsplätze hängen von ihr ab. Wir brauchen erst einmal Alternativen, bevor wir alles abschalten. Schon bei der Kernenergie haben wir etwas ohne Ersatz abgeschafft. Deswegen sind die Zwischenüberprüfungen im geplanten Ausstiegskonzept Gold wert, um zu schauen, ob wir an Tag X wirklich so weit sind, dass wir aussteigen können.

Klimaforscher sagen, dass Deutschland sofort aussteigen muss. Hätte man früher nach Alternativen suchen müssen?

Der deutsche Blick auf das Wort Energiewende ist exklusiv. Ist uns mit dem Atomausstieg irgendein Land gefolgt? Die Welt hat sich dazu entschlossen, 2050 carbonfrei zu sein, also Kohlenstoffdioxid komplett zu vermeiden. Wenn man sich in dem Punkt einig ist, sollte man das Thema auch gemeinsam angehen. Stattdessen versucht jedes Land allein, die Baustelle zu beackern und Lösungen zu finden. Wenn wir auf die erneuerbaren Energien umsteigen wollen, brauchen wir endlich eine Speicherlösung.

Wie sehr schmerzt es, wenn sogar Kinder gegen Ihre Arbeit protestieren?

Ich lasse das nicht so an mich ran. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ein schlechter Mensch bin, weil ich hier arbeite. Es gibt super Arbeitsbedingungen, wir halten uns an alle Gesetze. Ich begehe kein Verbrechen gegen Leib und Seele. Ich gehe meinem Job nach und versuche meine Familie zu ernähren.

Geht das hier allen so oder führen die Proteste zu einer Wagenburgmentalität?

Was mich am meisten wurmt, ist die unsachliche Diskussion. Wir reden hier von einem Strukturwandel, der nicht unerheblich ist. Unser ganzes Energiekonzept wird auf den Kopf gestellt. Ich würde mir wünschen, dass sachlich argumentiert wird. Ohne Emotion und mit Blick auf die langfristigen Folgen. Das wird nicht gemacht – auch wegen der Medien, die einseitig berichten.

Gilt Ihre Medienkritik auch der Politik? Fühlen Sie sich ausreichend repräsentiert von Potsdam und Berlin?

Wir haben es geschafft, durch harte Arbeit unserer Betriebsräte und Gewerkschaften besser gehört zu werden. Ob die Thematik von allen Politikern verstanden wird, bezweifle ich aber. Viele haben einen ähnlichen Kenntnisstand wie der Ottonormalverbraucher. Die denken: „Der Strom kommt aus der Steckdose, ist doch schön.“ Wo der Strom produziert wird, sehen die in Berlin nicht.

Für den Ausstieg aus der Kohle bekommt die Lausitz 17 Milliarden Euro.

Die 17 Milliarden sind ein Beginn, um hier Versäumnisse, die man in den letzten 30 Jahren nicht geschafft hat, aufzuarbeiten. Man darf nicht vergessen, dass das Geld noch nicht dazu führt, dass hier jemand investiert. Seit der Wende wurde in der Lausitz nichts in die Wege geleitet und jetzt sollen wir den Strukturwandel in 20 Jahren schaffen.

Keine Dankbarkeit?

Schauen Sie doch, welche konkreten Maßnahmen es geben soll. Bis 2028 könnte ein zweites Gleis auf der Bahnstrecke zwischen Berlin und Cottbus verlegt sein. Das ist aber keine große Investition in die Zukunft. Wenn wir es richtig angehen würden, müsste man die Idee des zweiten Gleises über den Haufen werfen und eine ICE-Verbindung planen. Von Berlin über Cottbus nach Prag. Das wäre der große Wurf. So schaffe ich wieder nur Stückwerk. Im Strukturstärkungsgesetz stehen viele Dinge, die schon vor 20 Jahren hätten passieren müssen. Da geht es um Ortsumgehungen.

Vertrauen die Menschen hier der Politik?

Das ist jetzt der dritte Wahlkampf, in dem man uns flächendeckendes Handynetz verspricht. Am Wochenende war ich an einem See in der Nähe von Cottbus und hatte keinen Empfang. Das bekommen Länder besser hin, wo es nicht einmal fließend Wasser gibt. Das ist wirklich erbärmlich. Wir stehen gerade an einem Punkt, an dem man dem Vertrauensverlust in die Politik zusehen kann. Wenn die Versprechen jetzt nicht eingelöst werden, dann ist das wirklich eine Erschütterung. Auch bei anderen Themen als der Kohle.

Die AfD kommt in der Lausitz auf über 30 Prozent. Ist sie näher an den Problemen der Menschen dran?

Nein. Die AfD setzt auf Themen, die gerade aktuell sind und versucht sie mit der Gegenposition zu bedienen. Da ist aber nichts dahinter. Auch die Grünen haben seit den 70er Jahren nur das Thema Umweltpolitik. Konzepte haben sie aber nicht, nur Forderungen. Die AfD nimmt die Ängste der Menschen auf. Ob das die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und dem Wegfall der Braunkohle oder die Migrationspolitik ist. Das sind Themen, die beschäftigen Deutschland seit Jahren und treiben die Menschen um. Aber die etablierten Parteien bearbeiten die Probleme überhaupt nicht.

Welche Ängste haben Ihre Kollegen?

Dass sich die Politik nicht an das hält, was uns versprochen wurde. Wenn jetzt nicht die entsprechenden Gesetze kommen, macht man den Menschen den Glauben an die Politik völlig kaputt. Das Strukturstärkungsgesetz muss definitiv so kommen wie es vereinbart wurde. Die Angst, den Job zu verlieren ist groß. Vor allem, wenn man nicht einmal weiß, wann.

Welche Sorgen treiben Sie persönlich um?

Der Zeitraum bis 2038 wird für einen Strukturwandel nicht ausreichen. Wir können bis dahin sicherlich aus der Kohle aussteigen, aber das schadet der Region. Ich muss da an meine Tochter denken. Die ist zwei Jahre alt. Was macht sie in 16 Jahren? Wird sie dasselbe erleben wie Ende der 90er Jahre, als Massen von jungen Menschen in den Westen verschwunden sind?

Das Interview führten Felix Hackenbruch und Tilman Schröter.

Sebastian Lachmann, 34, wurde in Cottbus geboren und machte eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei der Leag. Heute arbeitet er dort im Einkauf. Er ist glücklich liiert und hat eine Tochter.

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