zum Hauptinhalt
Holger Matthiessen, neuer Präsident des Landgerichts Berlin.

© Mike Wolff

Landgerichtspräsident Matthiessen: „Wir freuen uns über Bewerbungen“

Alle blicken auf die Strafjustiz, aber auch in Zivilsachen hat das Landgericht Probleme – und viel zu wenig Personal. Ein Interview mit dem Präsidenten.

Von Fatina Keilani

Am Landgericht verzögern sich viele Verfahren massiv – erst dauert es lange, bis Klagen überhaupt registriert sind, und dann gibt es keinen Verhandlungstermin. Über diesen Zustand berichtete der Tagesspiegel vergangene Woche. Jetzt äußert sich Landgerichtspräsident Holger Matthiessen im Interview.

Herr Matthiessen, Sie sind noch nicht lange Landgerichtspräsident. Anwälte haben jüngst über erhebliche Verzögerungen in den Zivilsachen am Landgericht geklagt. Was können Sie uns dazu sagen?
Sie haben in Ihrer Ausgabe am vorvergangenen Montag darüber berichtet und zwei Punkte angesprochen, einerseits die Verzögerung bei der Eintragung neu eingehender Klagen und andererseits die Dauer bis zur Durchführung von Verhandlungsterminen. Die von Ihnen geschildeten Probleme sind nicht neu und das Landgericht geht transparent damit um. Ich selbst habe sie aus Anlass meiner Amtseinführung im September sehr deutlich in der Öffentlichkeit dargestellt.

In der Anwaltschaft ist lobend bemerkt worden, wie Sie mit Kritik umgehen.
Über die Frage, wie offen man seine Schwierigkeiten nach außen kommuniziert, kann man streiten. Wir fanden es in der Krise geboten, das nach außen zu tragen. Es ist nicht schön, wenn jeder Anwalt für sich feststellt, dass seine Sache nicht bearbeitet wird. Wir haben am 20. September durch ein Schreiben den Präsidenten der Anwaltskammer gebeten, die Anwaltschaft auf die Rückstände bei der Eintragung neu eingehender Zivilklagen hinzuweisen, und uns selbst eine Frist bis zum 1. Dezember gesetzt, bis zu dem wir eine signifikante Verbesserung der Lage erreichen wollten.

Der 1. Dezember ist bald.
Ja, und es ist uns gelungen, die Eintragungszeiten deutlich zu senken, auch wenn noch nicht alles gut ist. Für uns war klar, dass wir die Krise aus eigener Kraft nicht lösen konnten, weil die Personaldecke des Landgerichts in diesem Bereich zu dünn ist. Dem Landgericht fehlt in erheblichem Umfang Personal in den Servicebereichen. Wir haben daher von unseren Oberbehörden Unterstützung erbeten und bekommen – Abordnungen von anderen Gerichten, aber auch Einstellungen von außen. Besonders gerne nehmen wir Renos, also Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, und von denen suchen wir auch weitere – wir freuen uns also über Bewerbungen.

Eintragungszeit bedeutet: So lange dauert es, bis die Klage überhaupt registriert ist?
Ja. Neu eingehende Zivilklagen werden in den Eingangsregistraturen am Tegeler Weg und in der Littenstraße bearbeitet. Die Klagen werden nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts, der kompliziert ist, einer bestimmten Kammer zugewiesen, dann wird ein Aktenzeichen vergeben, dann werden die Stammdaten ins IT-Verfahren eingegeben. Die Eingangsregistratur hat jeden Tag regalweise Eingänge zu bearbeiten, und wenn es da irgendwo hakt, entstehen schnell Rückstände.

Dieses Jahr war es so, dass nach der Einführung eines neuen Fachverfahrens kombiniert mit verschiedenen Erkrankungen Rückstände von in der Spitze mehr als zwei Monaten Bearbeitungsdauer entstanden sind. Das ist extrem unzuträglich, weil es auch für die Anwaltschaft schlecht zu verkraften ist, wenn man zwei Monate nichts vom Gericht hört, nicht einmal das Aktenzeichen.

Und die Neueinstellungen haben etwas bewirkt?
Oh ja. Wir haben ja einerseits Spezialzuständigkeiten, etwa für Bauprozesse oder Arzthaftungssachen, die werden getrennt voneinander in unterschiedlichen Turnussen eingetragen. Und andererseits haben wir den Großteil, die allgemeinen Sachen. In den Spezialgebieten haben wir nur noch Eintragungsrückstände von unter einer Woche. Das längste, was wir hatten, waren 77 Kalendertage, das ist also ein erheblicher Erfolg.

Wir erwarten, dass wir auch in dem großen Turnus, wo wir derzeit noch 40 Tage Rückstand haben, bis 1. Dezember wieder deutlich unter einem Monat liegen. Das ist noch nicht schön, aber wir können sagen, diese Krise haben wir überwunden. Zum Jahresende wird es kurz wieder hochgehen, das ist jedes Jahr so – wegen der verjährungsunterbrechenden Wirkung der Klage steigen die Eingänge zum Jahresende steil an, und wir arbeiten das dann im Januar bis Mitte Februar ab. Wir haben den Bereich jetzt so aufgestellt, dass wir eher schneller sein werden als früher.

Ein weiteres Problem sind die Terminsstände. Also: Erst wird die Akte nicht registriert, und dann gibt es ewig keinen Verhandlungstermin.
Hier liegt das Problem auf der richterlichen Ebene. Bei den Richtern haben wir zwar eine sehr erfreuliche Stellenvermehrung zu verzeichnen gehabt, sie liegt sogar über dem errechneten Bedarf. Das ist auch notwendig, das Landgericht Berlin ist nun einmal ein Großstadtgericht am Sitz der Bundeshauptstadt mit einem besonderen Personalbedarf.

Das Problem ist aber, dass die Stellen oft nicht zeitnah besetzt werden können. Es gibt viel Fluktuation, viele lassen sich an andere Behörden abordnen, wir haben viele Proberichterinnen und Proberichter, und wie das in dieser Lebensphase so ist, fallen sehr viele Elternzeiten an. Das begrüßen wir dem Grunde nach natürlich, es führt aber dazu, dass viele, die gerade erst gekommen sind, gleich wieder aus dem aktiven Dienst ausscheiden. So kommt es dazu, dass die Zahl der Menschen, die tatsächlich arbeiten, viel geringer ist als die Zahl der Planstellen. Das nennt man Defizitquote, und die lag im vergangenen Sommer am Landgericht bei elf Prozent – das ist ein sehr hoher Wert. Wenn wir von 385 Richterplanstellen ausgehen, dann fehlten also über 40 Richter. Zum Glück hat sich die Situation inzwischen etwas entspannt.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Und das führt dann zu langen Terminsständen?
Wenn eine Stelle in einer Zivilkammer nicht sofort nachbesetzt werden kann, können die verbliebenen Kollegen die terminierten Verfahren des abwesenden Kollegen zumeist nicht durchführen. Termine müssen dann neu angesetzt werden. Das kann zu Verzögerungen von mehreren Monaten führen. Das ist in jedem einzelnen Fall bedauerlich, für uns aber nicht steuerbar, solange wir diese hohe Fluktuation haben.

Was würde Ihnen da helfen?
Aus meiner Sicht müssen noch mehr Proberichter eingestellt werden. Schon bei der Festlegung der Einstellungszahlen muss berücksichtigt werden, dass eine nicht geringe Anzahl der neu eingestellten Richterinnen und Richter für eine längere Zeit für die Gerichte nicht verfügbar sein wird. Und: Die Zahl der Planstellen im Servicebereich hat sich nicht in gleicher Weise vermehrt wie die Zahl der Richterplanstellen. Mehr Richter, so wir sie denn haben, produzieren auch mehr Urteile und setzen mehr Verhandlungen an, und dafür braucht es das Personal in den Geschäftsstellen, das den richterlichen Output ausführt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false