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Lehrerin mit Kopftuch in einer deutschen Schule (gestelltes Foto).

© imago/epd

Update

Landesarbeitsgericht Berlin: Kopftuch-Urteil: Berlin muss Lehrerin Entschädigung zahlen

Eine Informatikerin bekommt eine Stelle nicht - wegen ihres Kopftuchs. Ein Gericht spricht ihr dafür eineinhalb Monatsgehälter zu. Ein ähnlicher Fall folgt.

Von Fatina Keilani

Das Land Berlin muss eine weitere Lehrerin entschädigen, die aufgrund ihres Kopftuches nicht eingestellt wurde. Diesmal handelte es sich um eine Informatikerin, die sich als Quereinsteigerin beworben hatte. Ihr müssen für die Benachteiligung nun anderthalb Monatsgehälter Entschädigung gezahlt werden: 5159,88 Euro. Das entschied das Landesarbeitsgericht am Dienstag. Ein weiterer Antrag auf Entschädigung soll demnächst verhandelt werden. Beides sind Berufungsverfahren.

Das Arbeitsgericht hatte im Mai keine Zweifel an der Gültigkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes. Der Gesetzgeber habe in zulässiger Weise die Glaubensfreiheit der Lehrkräfte gegen die Religionsfreiheit der Kinder, das Erziehungsrecht der Eltern und den staatlichen Erziehungsauftrag abgewogen, hieß es in der mündlichen Begründung damals. Es dürfe auch berücksichtigt werden, dass die Lehrkräfte speziell bei jüngeren Schülerinnen und Schülern eine Vorbildfunktion innehätten. Die Einschränkung der Religionsfreiheit der Klägerin sei hinzunehmen, zumal die Klägerin mit Kopftuch an einer beruflichen Schule arbeiten könne.

Das Berufungsgericht sah dies jedoch anders. Es gebe keinen Anlass anzunehmen, dass der Schulfrieden durch das Tragen des Kopftuchs gefährdet gewesen wäre. Mit dieser Begründung hätte man die Bewerberin nicht ablehnen dürfen. „Wir brauchen eine Tatsachengrundlage, auf der wir unseren Fall entscheiden können“, sagte die Richterin Daniele Reber. Das Gericht sei bei der Auslegung des Berliner Neutralitätsgesetzes an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2015 gebunden, wonach für ein allgemeines Verbot religiöser Symbole eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden vorliegen müsse.

Kopftuch als Gefahr für den Schulfrieden

Seyran Ates hält schon dies für juristisch falsch. „Schon die Tatsache, dass eine Lehrerin Kopftuch trägt, gefährdet den Schulfrieden und birgt die Gefahr der religiösen Beeinflussung der Schüler“, sagt Ates, die das Land als Anwältin in den Kopftuchfällen vertritt. Sie ist Imamin der von ihr gegründeten liberalen Moschee und erscheint stets mit drei Personenschützern, da sie massiv bedroht wird. Die Konflikte an den Schulen verschärften sich zusehends, sagt sie, es gehe dabei um Sitte und Moral und Anstand und die Frage, was ein guter Moslem sei.

Zudem habe das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Kopftuchurteil von 2015 für genau solche Fälle ein generelles Kopftuchverbot als weiterhin möglich anerkannt. Ates will Revision einlegen und vor das Bundesarbeitsgericht gehen. Das ist folgerichtig, wenngleich man die erste Gelegenheit dieser Art bewusst hat verstreichen lassen. Im Mai 2017 ließ die Bildungsverwaltung die Revisionsfrist in einem anderen Fall, in dem sie Entschädigung zahlen musste, ablaufen. Damals war der Fehler gewesen, dass das Kopftuch als Begründung für die Ablehnung der Bewerberin ausdrücklich genannt wurde – ein Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz.

Die Klägerin hätte laut Gericht nicht wegen des Kopftuchs abgelehnt werden dürfen

In dem aktuellen Fall hatte es gar keine schriftliche Absage gegeben, es gab jedoch genügend Indizien dafür, dass das Kopftuch auch hier der Grund war. „Die Nichteinstellung der Klägerin war nicht gerechtfertigt“, sagte das Gericht.

Insgesamt sind es wenig Kopftuchfälle an den Arbeitsgerichten – dieses war der zweite Berufungsfall; erstinstanzlich sind es kaum mehr. Anwältin Maryam Haschemi Yekani freute sich über ihren Erfolg, sieht das Ziel jedoch woanders: „Das Ziel ist, dass meine Mandantin sich auf jede Stelle bewerben kann und es keine Rolle spielt, ob sie ein Kopftuch trägt oder nicht“, sagte sie. Antidiskriminierungssenator Dirk Behrendt (Grüne), der das Neutralitätsgesetz ablehnt, forderte das Abgeordnetenhaus auf, das Neutralitätsgesetz verfassungskonform auszugestalten.

Der zweite im Mai entschiedene Fall betraf eine Lehrerin mit Kopftuch, die an einer Spandauer Grundschule unterrichten will. Ihre Berufung wird demnächst verhandelt.

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