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 Abendessen auf der Startbahn: Die Tische sind in Form des Schriftzugs "Berlin loves you" aufgestellt. (Luftaufnahme aus einem Helikopter).

© Christophe Gateau/dpa

La Ola, Käsekuchen und Visitenkarten von Giffey: So lief das 500.000 Euro teure „Freedom Dinner" am alten Berliner Flughafen

Am Samstag aßen und feierten Berliner auf der Startbahn des ehemaligen Flughafen Tegel. Höhepunkt waren Helikopteraufnahmen des Schriftzugs: "Berlin loves you".

Der Weg zur Freiheit beginnt am Samstagnachmittag im Stau von Tegel. Am Ex-Flughafen stehen die Autos fast wie früher Stoßstange an Stoßstange. Die wenigsten biegen ins Impfzentrum ins historische Hexagon ab, alle anderen durch Tor 9 auf das alte Vorfeld. Hier darf geparkt werden für das „Freedom Dinner“, das die Senatskanzlei gemeinsam mit der Wirtschaftsverwaltung, der Messe Berlin und der landeseigenen Marketing-Agentur Visit Berlin organisiert haben.

Man wolle ein Zeichen in die Welt senden und sich bei den Bürgerinnen und Bürger für ihren Einsatz in die Pandemie bedanken, hatte es vorab über die Veranstaltung geheißen. 100.000 Berlinerinnen und Berliner hätten sich bei der ersten Freischaltung beworben, 3000 sind nun hier. Tatsächlich sieht man auf dem Parkplatz jedoch fast genauso viele Brandenburger wie Berliner Kennzeichen. Die Aussicht auf ein kostenfreies Abendessen hat offenbar viele aus der Mark nach Tegel gelockt. Reinald Grebe würde sich bestätigt fühlen. 

Ganz klischeefrei läuft die Organisation auf dem Flughafen ohne Flugzeuge ab. Keine Wartezeiten bei Einlass und Kontrolle, überall freundliche Helfer und das Shuttle zur Startbahn, wo die langen weißen Tafeln aufgestellt worden sind, wartet bereits. Am Einlass zur Startbahn bekommt jeder Besucher seine „Freedom Dinner Box“ in die Hand gedrückt. Auf dem Menü stehen Kaltschale, Rainbow Bowl, Stulle, Käsekuchen und sechs Mini-Macarons. Begleitet von Fahrstuhl-Popmusik, die aus den Boxen dröhnt, kann man sich mit seiner Dinner Box einen der vielen Klappstühle auf dem Rollfeld aussuchen. 

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Michael Müller ist schon da. Entspannt trägt er die ersten beiden Knöpfe seines Hemds offen und gibt ein Interview nach dem anderen. Was man mit dem 500.000 Euro teuren Event aus Steuergeldern sechs Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl eigentlich bezwecken will, war im Vorfeld vielen nicht ganz klar geworden. „Das ist kein Wahlkampftermin, sondern ein überparteiliches Event“, versichert der Regierende nun in eine Kamera. Tatsächlich sind jedoch nur Politikerinnen und Politiker von SPD und Grünen zu sehen. 

Ein paar Meter hinter Müller (SPD) steht Co-Gastgeberin Ramona Pop (Grüne). Für sie interessiert sich die Presse weniger. Schließlich will ihr der frühere Flughafen-Chef und SPD-Politiker Engelbert Lütke Daldrup etwas Rampenlicht organisieren. Er winkt in Richtung RBB-Kamera und schiebt Pop nach vorn. Doch die windet sich, will keine Interviews geben. Anders SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey, die ebenfalls gekommen ist. In der Funktion als SPD-Landesvorsitzende sei sie da, sagt sie und will etwas patzig wissen, ob das in Ordnung sei. Von ihrem Co-Vorsitzenden Raed Saleh ist ebenso wenig zu sehen, wie von allen anderen Landesvorsitzenden. Man sei auch gar nicht eingeladen worden, versichern mehrere auf Tagesspiegel-Anfrage.

SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey mit einem jungen Besucher.
SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey mit einem jungen Besucher.

© Felix Hackenbruch

Und so gehört Giffey in Tegel zum großen Teil die Bühne. Ständig ist sie umringt, Besucher wollen sich mit ihr austauschen und Erinnerungsselfies schießen. Darunter ein etwa zehnjähriger Junge namens Oliver, der höflich fragt. Macht Giffey gerne. Sie geht leicht in die Hocke und strahlt in die vielen Kameras. Dann öffnet sie ihre rote Handtasche. „Ich habe leider keine Autogramme dabei“, sagt sie zu Oliver. Dafür zieht sie aus der Handtasche eine ihrer Visitenkarten und überreicht sie dem Jungen. Die begeisterten Fotografen halten die Szene fest. Leichter war Wahlkampf selten. 

Schließlich ist es Zeit für die Reden von Müller und Pop. Sie steigen auf eine Gangway, die irgendjemand auf die Startbahn geschoben hat. „Diese Veranstaltung wird so nur einmal und nie wieder stattfinden“, sagt der Regierende. Hinter ihm flattern die Fahnen Berlins, Deutschlands und der EU im Wind, der verwaiste Tower dient der Kulisse. Es sei ein Abschied von Tegel und gleichzeitig ein Dank an Berlin, sagt Müller und nutzt die Gelegenheit, um einen Appell loszuwerden. „Wir brauchen eine noch höhere Impfquote. Werben Sie für die Impfung.“ Dem schließt sich auch Pop an. „Wir wollen heute Danke sagen, aber auch ein Zeichen eines Re-Starts für die Stadt geben.“ 

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Dann nähert sich der Abend seinem Höhepunkt. Ein Hubschrauber mit wackelfreier Kamera sei bereits unterwegs, erklärt Visit Berlin Chef Burkhard Kieker. Aus der Luft soll das Bild mit der Botschaft „Berlin loves you“ aufgenommen werden. Noch heute Nacht, verspricht Kieker, würden „Millionen Menschen rund um den Globus“ diese Botschaft zu sehen bekommen. Berlins oberster Werber setzt offenbar große Hoffnungen in das Event. Die Übernachtungszahlen hätten zuletzt bei 50 Prozent des Vorkrisen-Niveaus gelegen. Die Bilder der auf dem Rollfeld essenden Berliner und Brandenburger sollen noch mehr Touristen zum Besuch motivieren. „Teilen sie gerne auch ihre Fotos von heute Abend“, sagt Kieker fast etwas bittend. 

Bevor der Helikopter da ist, bringt der Moderator die 3000 Gäste in Stimmung. Eine Laola-Welle nach der anderen läuft über die Startbahn, auch das synchrone Winken wird schon mal geübt. Dann ist der Hubschrauber da und aus den Boxen dröhnt Dickes B von Seeed. 3000 Händepaare winken von links nach rechts, von links nach rechts. Ein paar Menschen stehen auf und tanzen. Die wackelfreie Kamera im Hubschrauber und die Drohnen halten alles fest. „Das ist Berlin. Das ist unsere Art zu leben und zu feiern“, sagt der Moderator euphorisch und animiert weiter: „Zeigt die Energie, die in euch steckt!“ Nach drei Minuten ist alles vorbei. „Fantastisch“, ruft der Moderator ins Mikrofon. 

Danach beruhigt sich das Geschehen schnell wieder. Die Dinner Boxen sind bald leer, wobei der Käsekuchen besonders gern gegessen wird. Wer noch dem vegetarischen Mahl noch Bedarf nach Fleisch oder Alkohol hat, kann sich an den aufgestellten Buden eindecken. Dort ist jedoch nur wenig los, was vielleicht auch an den gepfefferten Preisen liegt. Vier Euro kostet ein kleiner Hot Dog, 20 Cent mehr das 0,4 Liter Berliner Kindl im Plastikbecher. Die Instrumental-Combo „The Trouble Notes“ sorgt dann immerhin nochmal eine halbe Stunde für Stimmung. Auf der Ladefläche eines Lkw legen sie einen Auftritt hin, der auch dem verhinderten Kultursenator Klaus Lederer (Linke) gefallen hätte. 

Danach wird es immer ruhiger auf der Startbahn. Einige nutzen die Gelegenheit, um ein letztes Mal über die Rollbahn zu flanieren. Dicke Wolken ziehen auf und recht bald brechen viele Besucher wieder auf – allerdings nicht, ohne die Blumen-Dekoration von den Tischen mitgehen zu lassen. Wer früh geht, ist auf der sicheren Seite. Schon vorab wurden warnende Flugblätter verteilt. Ab 23 Uhr werde man die geparkten Autos auf dem alten Vorfeld kostenpflichtig abschleppen lassen. Irgendwann endet eben auch an diesem Abend die Freiheit.

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