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Erinnerung an Zwangsarbeiter. Die Künstlerin Sonya Schönberger wählte den Schwerbelastungskörper als Ort ihrer Installation.

© Amélie Losier

Kunstinstallation zur Erinnerung an die Zwangsarbeiter: 13.000 Nägel gegen das Vergessen

Der Schwerbelastungskörper in Berlin-Tempelhof zeugt vom Größenwahn der Nazis. Sonya Schönberger nutzt ihn für eine außergewöhnliche Installation.

Die Spuren der Nazizeit ziehen sich quer durch den Bezirk. Ein außergewöhnliches, steinernes Relikt steht an der General-Pape-Straße – im äußersten Nordwesten von Tempelhof. Ein 14 Meter hoher zylindrischer Betonklotz mit einem Durchmesser von 21 Metern. Der Schwerbelastungskörper zeugt noch heute von den größenwahnsinnigen Bauideen der Nazis für die „Reichshauptstadt Germania“. Mit ihm sollte getestet werden, wie tragfähig der Berliner Baugrund im Hinblick auf die von Albert Speer geplanten monumentalen Bauten ist.

Beim Bau des zwölftausend Tonnen schweren Belastungskörpers, der 18 Meter in die Tiefe reicht, mussten 1941 – der Krieg dauerte damals bereits zwei Jahre – französische Zwangsarbeiter schuften. Überall in der Stadt wurden Menschen aus den besetzten Ländern Europas zur Arbeit gezwungen. Auf dem Bau, in der Rüstungsindustrie.

Und ihre oft menschenunwürdigen Unterkünfte in den Barackenlagern standen ebenfalls in der gesamten Stadt. Ein großes Lager lag beispielsweise nur wenige Kilometer weiter östlich am Columbiadamm am Rand des Flughafens Tempelhof. 1941 gab es dort elf Gebäude, 1943 wurde der Komplex auf 30 Baracken erweitert. In jeder waren rund 200 Menschen untergebracht.

Zwischen 2012 und 2014 suchten das Landesdenkmalamt und Wissenschaftler der Freien Universität bei Grabungen nach Spuren aus dieser Zeit. Etliche Objekte und Fragmente wurden dabei gefunden. Unter anderem auch 14.000 Nägel – verrostet und verbogen, in den unterschiedlichsten Größen für die verschiedensten Zwecke.

Jeder Nagel einzeln verpackt 

Die Künstlerin Sonya Schönberger setzt sich schon seit Jahren mit dem Themenkomplex Nazizeit, Zweiter Weltkrieg, Zwangsarbeit auseinander. Die FU-Wissenschaftler ermöglichten es ihr, sich die Funde vom Tempelhofer Feld einmal anzuschauen. Zunächst konnte sie sich 7000 Nägel ausleihen – jeder von ihnen war einzeln in zwei kleine Tüten verpackt. 3000 Nägel fotografierte sie. Aber es blieb die Frage: „Was mache ich mit ihnen? Wie behandle ich sie?“ Schließlich durfte sie 13.000 Nägel nehmen. Sie entschied sich für eine Installation im Schwerbelastungskörper. Auf einer rund 30 Quadratmeter großen, begehbaren Fläche des Betonklotzes zog sie einen roten Holzboden ein, verteilte darauf die Nägel.

Rostige Erinnerung. 13.000 Nägel, Relikte aus einem Zwangsarbeiterlager, wurden auf dem Boden ausgelegt.
Rostige Erinnerung. 13.000 Nägel, Relikte aus einem Zwangsarbeiterlager, wurden auf dem Boden ausgelegt.

© Amélie Losier

„Die Nägel im Schwerbelastungskörper stehen in dieser Auseinandersetzung metaphorisch für die Anonymität der Menschen, die an dem Ort der Grabung gewesen sind“, schreibt Schönberger in einem Booklet zur Installation. Sie verbindet die Geschichte der Zwangsarbeiter mit dem Bauwerk, das von ihnen errichtet wurde. Besucher – die allerdings derzeit angesichts der Pandemie nicht zugelassen sind – dürfen den mit den Nägeln belegten Boden betreten.

Besonders rostige Stücke werden unter dem Gewicht brechen, werden zermahlen. Auch das gehört für Schönberger dazu. Und sie stellt sich die Frage, wie respektvoll mit dem Ort und den Objekten umgegangen wird. „Der Schwerbelastungskörper ist auch eine Last“, sagt Schönberger. Das war er wohl auch für die Stadt.

Sprengen war unmöglich 

Der Klotz ließ sich nach dem Krieg nicht einfach beseitigen. Wegsprengen ging angesichts der nahen Wohnhäuser nicht. Zunächst nutzten ihn noch Wissenschaftler für Forschungen am Boden. Dann stand er jahrzehntelang einfach da, bis man das Bauwerk unter Denkmalschutz stellte und zu einem Informationsort entwickelte. Der Betonbau übt auf jeden Fall eine starke Faszination aus. „Er ist die meistbesuchte kulturelle Einrichtung des Bezirks“, sagt Irene von Götz, Direktorin der Museen von Tempelhof -Schöneberg. 2019 besuchten ihn 15.000 Menschen, obwohl er nur an vier Nachmittagen in der Woche geöffnet war.

Betonmonstrum. Mit dem Schwerbelastungskörper in Berlin-Tempelhof sollte geprüft werden, wie der Boden für die größenwahnsinnigen NS-Bauprojekte belastet werden könnte.
Betonmonstrum. Mit dem Schwerbelastungskörper in Berlin-Tempelhof sollte geprüft werden, wie der Boden für die größenwahnsinnigen NS-Bauprojekte belastet werden könnte.

© Sigrid Kneist

Dem historischen Schwerbelastungskörper ist ein Ausstellungspavillon angegliedert sowie eine Aussichtsplattform. Von dort kann man erahnen, was die monströsen Planungen Speers bedeutet hätten. Von Moabit aus, wo die riesige Halle des Volkes gebaut werden sollte, hätte sich auf einer Nord-Süd-Achse eine sieben Kilometer lange und 120 Meter breite Prachtstraße hinziehen sollen, an deren Ende – etwas südlich vom Belastungskörper – ein gigantischer Triumphbogen stehen sollte. Und damit dieser auch von ganz weit zu sehen gewesen wäre, hätte man den Grund aufgeschüttet, die Straße somit ansteigen lassen. Der Schwerbelastungskörper und vieles andere wären darunter verschwunden.

Infos über den Schwerbelastungskörper: schwerbelastungskoerper.de. Aufgrund der Pandemie sind derzeit die bezirklichen Museen, Galerien und sonstige Ausstellungsorte geschlossen. museen-tempelhof-schoeneberg.de/

[350.000 Leute, 1 Newsletter: Die Autorin dieses Textes, Sigrid Kneist, schreibt den Tagesspiegel-Newsletter für Tempelhof-Schöneberg. Den gibt es hier:leute.tagesspiegel.de]

+++ Die Themen der Woche:

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