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Aus privaten alten Stoffresten – Dederonschürzen, Putzlappen, einem Feuerwehrschlauch – soll ein 1000 Meter langes Dorfseil entstehen.

© landmade.Kulturversorgungsraum Strodehne

Kunstaktion im Westhavelland: Brandenburger Gemeinde sammelt Stoffe für 1000 Meter langes Dorfseil

Seit 2014 veranstaltet „Landmade“ Kunstprojekte im Dörfchen Strodehne. Nun ziehen die Bewohner gemeinsam an einem Strang.

Zusammengenähte bunte Stoffbahnen, blaue Häkelmeter und auch luftgepolsterte Plastikketten hängen über den Fensterbrettern des „Landmade.Kulturversorgungsraums“ (KVR) in Strodehne, einer 240-Einwohner-Gemeinde im Westhavelland. Es sind Einzelteile, die die Dorfbewohner zu Hause hergestellt haben und die am kommenden Wochenende öffentlich miteinander verbunden werden, für ein kollektives Kunstprojekt.

Vor der Wende verpflegte hier unter der Adresse Großdorf 2, nur ein paar Schritte vom Havelufer entfernt, die Kantine der LPG die Werktätigen mit Mahlzeiten. Nun serviert das Landmade-Team dem Dorf regelmäßig Kultur. Schon zu DDR-Zeiten gab es in Strodehne an anderer Stelle ein Kunsthaus, bald nach der Wende einige Ateliers und einen berühmten Maler im Ort: Bernhard Heisig, Vertreter der Leipziger Schule.

Hinter dem Projekt Landmade stecken die Fotografin Birte Hoffmann und die bildende Künstlerin Gabriele Konsor. Konsor, geboren in Delmenhorst, wohnt seit 20 Jahren in Strodehne. „Wichtig ist, über die Kunst Menschen zusammenzubringen, die Dorfbewohner selber, und sie miteinander ins Gespräch kommen zu lassen“, sagt die Konzeptkünstlerin. „Von Strodehne aus realisiere ich im Dialog mit der örtlichen Bevölkerung prozesshafte Interventionen, für die das dörfliche Leben Ideen und Material liefert.“

2005 waren die Anfänge des innovativen Kunstformates mit Landbezug noch ein Festival mit dem Namen „Film + Medientage Havelland“. Seit 2014 gibt es Landmade, nun als permanenten Kunstort im Dorf Strodehne, erklärt Gabriele Konsor: „Wir wollten eine Plattform für zeitgenössische Kunst schaffen, einen Kulturversorgungsraum.“ Das interdisziplinäre Landmade-Projekt arbeitet mit Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen zusammen und eben nicht nur mit Künstlern.

2015 hatte der „Kulturkiosk“ 3000 Besucher angelockt, nicht nur mit Erfrischungen und Essen, sondern auch mit kulturellen Highlights wie „Club der Sternengucker“ (seit 2014 gibt es im Himmel über Strodehne den Sternenpark Westhavelland). Zwölf Frauen wanderten im Rahmen der Aktion 94 Kilometer, um dem Modemuseum Meyenburg zwei Kittelschützen zu überbringen.

„Alle sollen wieder an einem Strang ziehen“

2020 hatte Landmade eine Corona-Schaffenspause, berichtet Gabriele Konsor. „Die Frage war: Wie kriegt man jetzt alle wieder zusammen? Jeder hatte sich zurückgezogen. Mit dem diesjährigen Projekt wollen wir ein Zeichen setzen: Alle sollen wieder an einem Strang ziehen.“ Die künstlerische Lösung: „Ein großes Tau schaffen, das alle verbindet“, sagt Gabriele Konsor, die neben Birte Hoffmann und der bildenden Künstlerin Gabriele Regiert Regie dabei führt.

Am 2. Oktober soll aus den Strängen der Dorfbewohner auf dem Strodehner Backofenberg ein ganzes Seil werden.
Am 2. Oktober soll aus den Strängen der Dorfbewohner auf dem Strodehner Backofenberg ein ganzes Seil werden.

© landmade.Kulturversorgungsraum Strodehne

„Mit Dederon und Veritas“ heißt das Projekt, das im Rahmen von Kulturland Brandenburg 2021 „Zukunft der Vergangenheit – Industriekultur in Bewegung“ gefördert wird. Dederon ist der Urstoff der Kittelschürzen und „Veritas“ hießen die Nähmaschinen, die zu DDR-Zeiten im rund 55 Kilometer entfernten Wittenberge produziert wurden.

Zum Auftakt hatten Konsor und ihre Mitstreiterinnen in einer achtstündigen „Animationsproduktions-Performance“ im August die ersten 68 Meter Material für das kollektive Kunstprojekt hinaus auf die Straße genäht und einen Ausblick auf das gemeinsame Ziel gegeben.

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„Alle Dorfbewohner sowie ortsansässige Vereine und Institutionen sind aufgerufen, als persönlichen Beitrag mindestens zehn Meter zum Dorfseil beizutragen“, sagt die künstlerische Leiterin. „Alles, was man hat und was flexibel ist, kann genommen werden: Stoffreste, die zusammengenäht werden, alte Topflappen von Oma oder Pferdestricke.“

Ein Automechaniker opferte seinen Lieblingsputzlappen

30 Haushalte hätten sich bis Mitte September gemeldet, die derzeit fleißig zu Hause für sich oder in Gruppen zusammenarbeiten, erzählt Konsor. Aus einer Tüte zieht sie eine beschmutzte Stoffbahn mit hellblauem Blümchenmuster hervor: „Das ist von einem Automechaniker. Er hat seine Lieblingsputzlappen geopfert und zusammengenäht. Der Sportverein hat wiederum ein großes Billardtuch zerschnitten. Und die Feuerwehr steuert einen ausgemusterten Feuerwehrschlauch für das Dorfseil bei.“

In einer Akkordproduktion stellte der Strodehner Frauenzirkel bei seinem Treffen am 19. September aus den Stücken 272 Meter Strangmaterial her, erzählt Gabriele Konsor. Drei Tage später waren es schon 614 Meter. Für einen Kilometer Strang soll es am Ende reichen. Täglich wird die Länge der Seilstücke auf einer Tafel vor dem Landmade-Kulturversorgungsraum sichtbar für alle aktualisiert.

Pro Meter Seil gibt es einen Euro aus der Projektkasse, das Geld soll in die Dorfkasse fließen. Das Seil selbst soll Zielscheibe bei einem Dart-Turnier werden.
Pro Meter Seil gibt es einen Euro aus der Projektkasse, das Geld soll in die Dorfkasse fließen. Das Seil selbst soll Zielscheibe bei einem Dart-Turnier werden.

© landmade.Kulturversorgungsraum Strodehne

Am 2. Oktober nun soll aus den Strängen der Dorfbewohner auf dem Strodehner Backofenberg ein ganzes Seil werden. „Der traditionelle Seiler Detlef Preetz aus Osterburg in der Altmark kommt mit der Seilmaschine des Heimatmuseums und dreht in einem öffentlichen Event alle gelieferten Stränge zum Strodiseil zusammen.“ Ab 14 Uhr geht es los. Abends ist ein Herbstfeuer geplant. Bereits am Vorabend wird das Künstlerduo Demming & Rieken Strodehne mit themenbezogenen Projektionen im Dorfraum auf das Seildreh-Event einstimmen.

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„Wir glauben fest daran, dass wir 1000 Meter Material für das Dorfseil zusammenbekommen, und es sieht ganz danach aus, dass es klappt“, sagt Gabriele Konsor. „Der zusätzliche Mehrwert: Es ist ein Zeugnis von Industriekultur, das in Heimarbeit entsteht, und die wir symbolisch bezahlen.“

Pro Meter gibt es einen Euro aus der Projektkasse. „Das Geld soll in die Dorfkasse fließen, eventuell für eine Tischtennisplatte. Aus dem Seil selber wollen wir eine Zielscheibe drehen für ein öffentliches Dart-Turnier.“ Und solche Dinge sind es ja auch, die ein Dorf verbinden.

Anja Reinbothe

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