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Isabelle Adjani alias Anna wird es gleich schlecht gehen – im Kultfilm „Possession“ hat sie sich etwas eingefangen.

© promo

Kultfilm "Possession": Noch mal gruseln am Platz der Luftbrücke

„Possession“, ein fast vergessener Horrorfilm mit Isabelle Adjani, ist nach 35 Jahren nun im Kino zu sehen. Gedreht wurde in Berlin, wodurch ein Stück Zeitgeschichte entstand.

U-Bahnhof Platz der Luftbrücke, Anfang der Achtziger: Eine junge Frau kommt die Rolltreppe vom Bahnsteig herauf, in der Hand einen Einkaufsbeutel. Lächelnd, aber seltsam abwesend, traumwandlerisch fast, geht sie am Glaskasten der Aufsicht vorbei, beginnt zu kichern, zu lachen, stoßweise, hektisch, hysterisch. Lachen? Mehr ein Keuchen, Schreien, lustvoll, zugleich verzweifelt, aufs Äußerste exaltiert. Die Frau taumelt den menschenleeren Gang Richtung Ausgang entlang, wirft sich gegen die Wand, immer wieder, schmettert ihren Beutel dagegen. Flaschen zerschellen, Milch spritzt umher. Sie sinkt zu Boden, wälzt sich, windet sich in ekstatischen Konvulsionen, kniet auf dem nass glänzenden Boden, schreit, stöhnt, heult – bis plötzlich aus ihren Mund, ihren Ohren, ihrem Schoß eine eklige Masse schießt, teils blutiger Strom, teils weißlicher Schleim. Eine Fehlgeburt, doch es ist kein menschliches Wesen.

"Die vorbeikommenden Berliner haben uns für zwei rasende Kranke gehalten."

Sie solle sich vorstellen, dass sie mit der Luft Geschlechtsverkehr habe, hatte Regisseur Andrzej Zulawski seiner Hauptdarstellerin Isabelle Adjani für diese drastische, alle Grenzen der Schauspielerei sprengende Szene geraten – die wohl verstörendste in dem zum Kult gewordenen Horrorfilm "Possession", der jetzt, 35 Jahre später, noch einmal auf die Leinwand kommt. "Ich habe geantwortet: 'Ah, bon …', aber ich sah nicht recht, was ich machen sollte", hat die Schauspielerin später erzählt. "Zum Glück gab es einen brasilianischen Maskenbildner, Ronaldo, der mir die sexuelle Trance von Frauen erklärt hat, die an Macumba-Sitzungen teilnehmen. Wir beide haben das also in seinem Wohnwagen geübt. Es gab keinen Vorhang, und die vorbeikommenden Berliner haben uns für zwei rasende Kranke gehalten."

"Possession" war ein Wendepunkt in Isabelle Adjanis Karriere

Das war im Jahr 1980, also kurz bevor die heute etwas in Vergessenheit geratene Isabelle Adjani mit Filmen wie "Das Auge", "Ein mörderischer Sommer", "Camille Claudel" oder auch "Die Bartholomäusnacht" zum europäischen Superstar aufstieg, sich sogar, wenngleich erfolglos, in Hollywood versuchte, an der Seite von Dustin Hoffman und Warren Beatty in "Ishtar". Der ebenso treffend wie unzureichend dem Horrorgenre zuzuordnende Film "Possession" bedeutete einen Wendepunkt in ihrer Schauspielerei, die der polnische Radikalregisseur zu Recht als "scharf wie eine Rasierklinge" bezeichnete: "Ich hatte genug von einem gewissen, puritanischen Image von mir, ich wollte mit meinem Körper spielen. Zulawski hat mich überzeugt, bis zum Äußersten zu gehen." Dem deutschen Publikum war das nach Ansicht der hiesigen Verleiher nicht zuzumuten. Obwohl es durch Filme wie William Friedkins "Der Exorzist" (1973) einiges gewohnt war, mochte niemand "Possession" hierzulande ins Kino bringen – und dies, obwohl der überaus kontrovers aufgenommene Film Isabelle Adjani 1981 in Cannes einen Preis als beste Darstellerin und im Jahr darauf einen César einbrachte und selbst in den prüden USA gezeigt wurde, wenngleich radikal geschnitten.

Der Berlin-Horrorstreifen ist längst zum Kult geworden

Heute gilt der Film als Kult, kann man ihn ungekürzt auf DVD erwerben – oder einmalig in den Studios der Berliner Union-Film in der Tempelhofer Oberlandstraße auf großer Leinwand sehen. An einem traditionsreichen, eng mit Berlins Geschichte als Film- wie auch Fernsehstadt verbundenen Ort also. Seit dem frühen 20. Jahrhundert wurden dort Filme gedreht, darunter "Der Golem, wie er auf die Welt kam", "Der blaue Engel", Teile von "Große Freiheit Nr. 7" oder "Cabaret". Organisiert wird die Vorführung von der Berlin Film Society, einer 2012 gegründeten Nonprofit-Organisation, die sich dem Independent Film und dem Autorenkino verschrieben hat, Previews und Premieren von Filmen unabhängiger Regisseure organisiert oder eben auch Jubiläumsvorführungen wie "35 Jahre Possession". Gern werden für Fragen des Publikums beteiligte Filmschaffende dazugebeten. So ist jetzt Schauspieler Shaun Lawton dabei, der einen Detektiv mimte.

Der Film bildet auch einen Teil Berliner Geschichte ab

"Possession" ist ein Film, der nicht nur die Freunde des Horrorgenres erfreuen dürfte, sondern ebenso stadthistorisch fasziniert, zeigt er doch ungeschönt das West-Berlin der frühen achtziger Jahre, eine Stadt, in der der Krieg noch nicht allzu lange vorbei zu sein scheint, von seiner östlichen Hälfte und dem Umland abgeschnitten durch die Mauer, deren Grenzposten den sie filmenden Kameramann mit ihren Feldstechern genau ins Visier nehmen. Im Schatten des Betonwalls hetzen die Schauspieler durch die Stadt, eilen die abgetretenen Stufen alter Mietshäuser empor, blicken aus den Fenstern zerschundener, wie verfallen wirkender Häuser auf die ihrer Türme noch beraubten Oberbaumbrücke – oder fallen im Café Einstein in der Tiergartener Kurfürstenstraße übereinander her, sodass sogar die weiß bemützen Köche eingreifen müssen. Jahrzehnte später war das einer der Drehorte von Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds".

Den Zuschauer erwarten Szenen einer Ehe, aber was für einer. Mark (Sam Neill), für irgendeinen Geheimdienst tätig, kehrt nach Hause zurück, wo ihn seine Frau Anna (Isabelle Adjani) seltsam abweisend empfängt. Sie hat eine Affäre begonnen, aber mit wem? Nur mit Heinrich (Heinz Bennent), wie es anfangs scheint? Wer ist diese Lehrerin Helen, die genauso aussieht wie Anna, gespielt ebenfalls von Adjani? Und was läuft da in der Altbauwohnung ab, in die Anna regelmäßig verschwindet? Sie gibt sich hin, Nacht für Nacht, aber es ist kein menschliches Wesen, das sie dort umschlungen hält, vielmehr eines, das wie entsprungen scheint aus dem Schocker "Alien". Das ist nicht weiter verwunderlich: An den Special Effects war auch der zweifache Oscar-Preisträger Carlo Rambaldi beteiligt, der schon das Horrorwesen in „Alien“ kreiert hatte. Aber diesmal ist das schleimige krakenartige Monster nicht länger "Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt". Diesmal lebt es mitten in Kreuzberg.

"Possession", 25. November, 20 Uhr, Berliner Union-Film, Oberlandstraße 26-35 in Tempelhof, Tickets unter www.possession-berlin.eventbrite.co.uk. Infos zum Veranstalter auf der Facebook-Seite der Berlin Film Society.

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