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Kult-Musical "Jesus Christ Superstar": Jesus zu Besuch in der Deutschen Oper

Judas als Borderliner, blutige Kreuzigung und Magdalena als Klischee-Frau. Das Kult-Musical „Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber gastiert an der Deutschen Oper.

Die römischen Legionäre führen einen Mann ab, er windet sich, sie strecken ihn aufs Kreuz. Die perkussiven Schläge im Orchester rasen einem durch Mark und Bein, jedes Mal, wenn der Hammer niedersaust und einen weiteren Nagel in den Körper treibt: Bumm. Bumm. Bumm. Dann hängt der Verurteilte stöhnend am Kreuz. Nebel wabert über die Bühne, ansonsten ohrenbetäubende Stille.

Für die zentrale Szene von „Jesus Christ Superstar“ wollte Andrew Lloyd Webber keine Musik. Und Regisseur Bob Tomson keinen musicaltypischen Kitsch. Er zeigt, wie ein Mensch stirbt, realistisch, plastisch. Bevor seine Inszenierung nach Mannheim und Hamburg geht, ist sie ab heute für sechs Tage an der Deutschen Oper Berlin zu sehen. Vorab waren Pressevertreter zum Gastspiel in Manchester eingeladen – dabei lässt sich Tomson etwaige Sorgen wegen zu drastischer Bilder nicht anmerken: „Kennen Sie die Oberammergauer Passionsspiele oder den Film 'Die Passion Christi' von Mel Gibson?“, fragt er. „Dagegen ist das, was wir zeigen, harmlos.“ Tatsächlich hat die christliche Ikonografie nie ein Problem gehabt mit blutrünstigen Darstellungen. Aber die Frage, wie viel man von religiösen Figuren und Führern zeigt, ist nicht geklärt, auch nicht nach 2000 Jahren.

Erfolg unter Hippies - Kritik von der Kirche

Proteste gegen „Jesus Christ Superstar“ gab es schon in den siebziger Jahren. Überhaupt war der Start des Stücks recht holprig. Blutjung ist Webber, als er es 1970 schreibt: 21 Jahre, sein Texter Tim Rice ist nur drei Jahre älter. Beide sind weitgehend unbekannt, erst ein Musical haben sie veröffentlicht, „Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat“ – mit mäßigem Erfolg. Deswegen erscheint die neue Musik auch zuerst auf Platte. „Jesus Christ Superstar“ wird als Album ein Durchbruch, auch wegen Ian Gillan von Deep Purple, der Jesus singt, die erste Bühnenshow am Broadway lässt nicht lange auf sich warten. Hübsch psychedelisch blickt Jesus-Hippie damals vom Plakat, die eine Hand zum Gruß erhoben, in der anderen ein Mikro. Christliche Organisationen stören sich daran, dass die Passionsgeschichte als Musical „missbraucht“ wird. Letztlich kommt aber schnell der Erfolg, auch in London.

Was auch daran liegen könnte, dass Tim Rice die biblische Vorlage sehr ernst nimmt und weiterdenkt, vor allem in der Gestalt des Judas, der zum Erzähler wird, zum Bewusstsein, in dem sich das Geschehen spiegelt. Und weil die Rechtslage bei „Jesus Christ Superstar“ sehr viel einfacher ist als etwa bei „West Side Story“, gibt es auch heute noch jedes Jahr rund 300 Lizenzierungen. Das Stück ist populär unter Laiengruppen. Dass Webber drei Versionen geschrieben hat, für großes oder kleines Orchester und nur für Rockband, hilft dabei sicher.

Judas als Diskutant

In Berlin wird natürlich eine hochprofessionelle Version gezeigt. Der Australier Tim Rogers spielt Judas als Heißsporn mit Borderline-Persönlichkeit, der unablässig seinen Herrn zur Diskussion auffordert und dabei meist die stärkeren Argumente hat. Judas auf diese Weise aufzuwerten, ihn nicht nur als den klassischen Verräter zu sehen, sondern als Menschen, der Jesus ehrlich liebt – das ist das wirklich Neue an diesem Stück. Maria Magdalena, von der manche sagen, sie sei Jesus’ Frau gewesen, wird von der 23-jährigen Rachel Adedeji gemimt. Offenherzig und warm, in Bob Tomsons Fassung aber auch zu sehr ein weibliches Klischee bedienend, ist sie diejenige, die Jesus' Lehre am intensivsten lebt. Ein bisschen was von dem religiösen Eifer vermittelt sich auch dem Publikum. „Es ist der klassische Operneffekt“, erzählt Tomson, „die Zuschauer vergessen, dass sie das Ende schon längst kennen, tauchen voll ab in die Story.“ Den Schluss, die Auferstehung inszeniert er als große Lichtwolke, in der Jesus, jetzt als Christus, zu seinen Jüngern zurückkehrt. Ein Musical über das, was dann folgt, ist noch nicht geschrieben worden.

„Jesus Christ Superstar“, Deutsche Oper Berlin, 28. Juli bis 2. August, ab 32 Euro, www.deutscheoperberlin.de.

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