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Kult im Kiez: Prime Time Theater fürchtet um seine Existenz

Im Mai gibt es die 84. Folge von „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“. Trotz der guten Auslastung ist die Zukunft des nicht geförderten „prime time theater“ unsicher.

Typen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Da ist der lispelnde Briefträger Kalle, chauvinistisch, keck und akkusativverwirrt. Da ist Mahmud, ein gegelter Kleinkrimineller mit Stirnband, der sich als „schniekester Hengst vom janzen Wedding“ aufpustet. Oder Curly, der gut gelaunte, aber nicht ganz so helle Kiffer von der „Highschool Wedding“, der mehrmals sitzen geblieben ist und nun endlich mit „Ratte“, seiner Herzensliebe, zusammen ist. Typen, die es tatsächlich gibt. Sie sind direkt von der Straße abgeguckt, wild und bunt karikiert, in Widersprüche verwickelt und augenzwinkernd durch den Kakao gezogen. Motto: Lachen ohne auszulachen. Diese drei Typen werden alle vom Schauspieler Oliver Tautorat gespielt, der die Gäste ab 19 Uhr an der Abendkasse bereits gut gelaunt per Handschlag in Empfang nimmt. Später treten auf der kleinen Bühne Schwaben auf, Türken und Griechen; Warmduscher, Esoterikschwätzer, Aromatherapeuten; Jungmütter, Girlies, Kiezschlampen; Punks, Brutalos, Softies.

Oliver Tautorat und Constanze Behrends sind die Theaterdirektoren. Ein wunderbares Paar. Auch im Privatleben. Vor bald zehn Jahren gründeten sie uff'n Wedding das „prime time theater“. Ihr Dauerbrenner ist die Theater-Sitcom: „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“, mittlerweile bei Folge 84 angelangt. Eine lustig ironische Nummernfolge der besonderen Art, mit Typen aus dem Kiez und Hassfiguren von nebenan, den „Prenzlwichsern“. Zum Brüllen komisch ist das, zum Quietschen treffend, und von Constanze Behrends immer wieder auf freudige Weise in ein Textbuch gebracht. Vor bald zehn Jahren, am 3. Dezember 2003, war erstmals Premiere, damals noch in der Freienwalder Straße.

Doch nun zieht die Truppe blank. Vom schönen Oliver-Calle-Mahmud-Curly gibt es nicht nur Postkarten und Poster. Er ist darauf auch beinahe nackt zu sehen. Beinahe: Die letzten Blößen sind verdeckt durch ein paar Flächen für mögliche Werbebanner. „Wir machen uns nackig“, heißt es, denn: „Wir sind am Rande unserer Möglichkeiten, an der Grenze zur Selbstausbeutung.“ Die Qualität leidet, das Tempo der Produktionen ist auf Dauer nicht zu halten, 21 Mitarbeiter und steigende Miet- und Produktionskosten sind zu bezahlen. Zehn bis zwölf Produktionen stemmt die Truppe pro Jahr, alle vier bis sechs Wochen gibt es ein neues Programm. Die Auslastung beträgt 95 Prozent, rund 50 000 Gäste sind das im Jahr. „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“ ist Kult im Kiez.

Doch nun soll Schluss mit lustig sein. „Die Existenz des ,prime time theaters’ ist gefährdet“, sagen die Theatermacher. Ende 2014 läuft der Mietvertrag im SPD-Haus aus, und die Theaterleute brauchen Sicherheiten, um weiter planen zu können. Weitere fünf Jahre „volles Risiko“ wollen sie sich nicht zumuten, die Kraft erlahmt selbst beim enthusiastischsten Engagement.

Seit 2011 hat das ,prime time theater’ keine Spielstättenförderung vom Senat mehr erhalten, Begründung: Sie spielten Boulevard, dafür gebe es kein Geld. „Wir passen ästhetisch in kein Muster“, sagt Oliver Tautorat schmunzelnd. „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“ ist kein Boulevardtheater. GWSW ist etwas Drittes: ein modernes Poptheater, zur Kunst verdichtete Alltagsgeschichte, originell, experimentell, einzigartig. Und auf der Höhe der Zeit, mit den Problemen und Sorgen und Nöten und Späßen der Gegenwart gewürzt. Eine heitere Vision vom Zusammenleben über Kulturen hinweg. „Das ist doch Grips-Theater für Erwachsene“, grinste letztens eine Zuschauerin, „broadwayreif!“

Die Kultursprecher der Regierungsparteien im Abgeordnetenhaus sollen mittlerweile auch schon ganz fröhlich gestimmt sein und eine Förderung befürworten. Klaus Wowereit zeigt sich beeindruckt und möchte der Truppe noch im April einen Besuch abstatten. Und was ist mit Peer Steinbrück, dem Neu-Weddinger? Er könnte sich auch im SPD-Haus in der Müllerstraße zeigen und am Abend um die Ecke ins Theater gehen, um mit guter Laune und neuem Schwung wieder rauszukommen.

Auf alle Fälle wurde am gestrigen Karfreitag der Klassiker: „My fair Sabrina“ wieder aufgenommen, um die Geschichte der beliebtesten Kiezschlampe Sabrina Sonne von Beginn an zu erzählen. Hingehen, ablachen und trommeln! Für die Zukunft eines Theaters, das Berlin zeigt, wie es sein soll: frech, humorvoll und mit Herz.Stefan Berkholz

„prime time theater“, Müllerstraße 163, Eingang Burgsdorfstraße. Immer Do–Mo 20.15 Uhr, Einlass ab 19 Uhr, freie Platzwahl. „My fair Sabrina“ wird bis Ende April gezeigt. Im Mai geht es weiter mit Folge 84: „Die Mission der Kiezschlampe“

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