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Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Ballettschule Berlin bei einer Aufführung im Jahr 2017.

© Christophe Gateau/dpa

Update

Kündigung ist unwirksam: Konflikt um Staatliche Ballettschule Berlin schwelt weiter

Im vergangenen Jahr wurde dem Leiter der Eliteschule gekündigt - das was laut Gericht nicht rechtens. Aber das Verfahren ist noch nicht beendet.

Der gekündigte Leiter der Staatlichen Ballett- und Artistikschule, Ralf Stabel, hat vor Gericht erneut einen Erfolg errungen. Nachdem er in den Verfahren um drei verschiedene Kündigungen jeweils in der ersten Instanz gesiegt hatte, folgte auch das Landesarbeitsgericht am Donnerstag der Auffassung, wonach die Kündigung vom 3. Juni 2020 „unwirksam und der Kläger weiterhin als Schulleiter der Staatlichen Ballettschule Berlin und Schule für Artistik zu beschäftigten ist“.

Das bedeutet aber noch nicht, dass Stabel an die Schule zurückkehren kann.

Stabels Anwalt Jens Brückner erläuterte auf Anfrage, dass die Verfahren bezüglich der beiden anderen Kündigungen noch anhängig seien. Theoretisch könne die Verwaltung auch weitere Kündigungen aussprechen. Zudem ist in dem jetzt entschiedenen Verfahren Revision vor dem Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Da bis zu einer gerichtlichen Klärung aller Vorwürfe gegen Stabel noch viel Zeit ins Land gehen könnte, gibt es parallel Vergleichsverhandlungen. Wie berichtet, hatte die Verwaltung Stabel erfolglos eine Stelle als Referent angeboten.

Bei der ersten Kündigung ging es um angeblich zu Unrecht ausgestellte Zeugnisse und angeblich zu wenig erteilte Unterrichtsstunden. Im Rahmen der zweiten Kündigung wurde Stabel vorgeworfen, den Schülern zu kurze Ruhezeiten nach Auftritten in der Staatsoper eingeräumt zu haben. Die dritte Kündigung hat Reisekostenabrechnungen zum Gegenstand.

Eine betroffene Familie wandte sich an die Arbeitsverwaltung

Die Zulässigkeit der Auftritte hatte die für den Jugendarbeitsschutz zuständige Senatsverwaltung für Arbeit lange Zeit mit der besonderen Einrichtungsverfügung der Schule begründet. Eine der betroffenen Familien wollte sich damit nicht abfinden und fragte bei der Arbeitsverwaltung monatelang nach, ob sie an der Einschätzung festhalte. Ende Mai kam die Antwort, die dem Tagesspiegel vorliegt.

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Demnach wäre die Mitwirkung der Minderjährigen gemäß Jugendarbeitsschutzgesetz genehmigungspflichtig gewesen. Ob eine „Genehmigungsfreiheit“ vorliege, sei „im Einzelfall zu überprüfen“. Das aber war all die Jahre unterlassen worden.

Weiter legt die Arbeitsverwaltung dar, dass selbst die Einordnung der Auftritte als Betriebspraktika nicht dazu führen würde, diese Auftritte quasi über das Jugendschutzgesetz zu heben. Denn Betriebspraktika seien erst ab der 8. Klasse vorgesehen.

Praktika für Zehnjährige sind nicht erlaubt

Im Widerspruch dazu würden aber die Auftritte der Ballettschüler in der Staatsoper bereits ab der 5. Klasse stattfinden. Laut europäischer Jugendarbeitsschutzrichtlinie seien Ausnahmen vom Kinderarbeitsverbot erst ab einer Altersgrenze von mindestens 14 Jahren möglich, führt die Expertin der Arbeitsverwaltung gegenüber der betroffenen Familie aus, die ihren zehnjährigen Sohn rasch wieder aus der Schule herausgeholt hatte.

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Dass die Senatsverwaltung für Arbeit ihre Einschätzung offenbar geändert hat und - anders als bisher - den Umgang mit den Auftritten in der Staatsoper in der Zeit Stabels offenbar nicht mehr richtig findet, hängt offenbar mit den Diskussionen des vergangenen Jahres zusammen. Jedenfalls bezieht sie sich explizit auf den Expertenbericht zur Ballettschulaffäre vom Mai 2020.

Die durch Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) mit der Untersuchung der Schule beauftragte Expertenkommission hatte die Auftrittspraxis untersucht, aber auch weitere Kritikpunkte. In ihrem Zwischenbericht war dann ausgeführt worden, dass es an der Schule Kindeswohlgefährdung gegeben habe und es eines Kinderschutzkonzeptes bedürfe.

Dieses Konzept wird inzwischen erarbeitet - neben vielen anderen Reformen, die der derzeitige Schulleiter Dietrich Kruse in die Wege geleitet hat.

Die Staatliche Ballett- und Artistikschule ging aus zwei Spezialschulen der DDR hervor.
Die Staatliche Ballett- und Artistikschule ging aus zwei Spezialschulen der DDR hervor.

© promo

Einige Vorwürfe fehlten bei den Kündigungen

Wie vielfach berichtet, hatte über die Hälfte der rund 120 damaligen Beschäftigten Ende 2019 in einem gemeinsamen Brief* eine "Kultur der Angst" an der Schule beklagt. Die Expertenkommission kam dann im Mai 2020 unter der Leitung des renommierten Berliner Pädagogen und Schulpraktikers Klaus Brunswicker in ihrem Zwischenbericht zu dem Schluss, dass diese „Kultur der Angst“ sogar „prägend“ an der Schule unter Stabels Leitung gewesen.

Die Experten bilanzierten, dass sich diese Angst nahezu zwangsläufig aus den Bedingungen der Schule ergebe, nämlich aus dem Nebeneinander von Drill und Auslese und der damit verbundenen Konkurrenz unter den Schülern und der latenten Gefahr des Rauswurfs, der sogenannten Abschulung. Die Unterstützer Stabels versammelten sich daraufhin im Mai 2020 hinter einer Petition.

Warum es bei den Kündigungen Stabels durch die Verwaltung nicht um die beschriebene "Kultur der Angst" ging und auch nicht um weitere Vorwürfe wie etwa die ungenügende Beteiligung der schulischen Gremien, wird inoffiziell damit begründet, dass die Vorwürfe entweder nicht komkret genug für eine Kündigung seien oder nicht gerichtsfest hätten belegt werden können, weil Betroffene aus Angst um ihr berufliches Fortkommen nicht hätten namentlich aussagen wollen.

*Die 63 Unterschriften liegen dem Tagesspiegel vor und wurden aus Datenschutzgründen entfernt.

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