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Kuba soll sozialistisch bleiben, sucht aber gleichzeitig wirtschaftlichen Anschluss.

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Kuba im Kino: Alltag zwischen Sozialismus und Weltmarkt

In der Karibik gibt es noch, was hier Geschichte ist: Sozialismus. Eine Berliner Kamerafrau hat sich angesehen, was das im 21. Jahrhundert bedeutet.

Kuba liegt nicht um die Ecke, so 14 Stunden Flugzeit muss man schon einplanen. Und dennoch sind sich Havanna und Berlin näher als gedacht – zumindest dem ehemaligen Ost-Berlin.

„Bis 1989 genoss Kuba viele positive Dinge, da es zu dieser sozialistischen Welt gehörte – und wir dachten, dass sie nie verschwinden würde“, sagt Omar Everleny Pérez Villanueva, einer der bedeutendsten Wirtschaftsökonomen in Kuba und ehemaliger Professor an der Universität von Havanna, auf der Kinoleinwand. Doch dann sei der Mauerfall gekommen, und die Geschäftsbeziehungen mit den sozialistischen Bruderländern fielen weg. Die DDR zerfiel, der Sozialismus endete. In Kuba gibt es ihn heute noch.

„Experiment Sozialismus – Rückkehr nach Kuba“ – so heißt die Doku-Fiktion der Berliner Filmemacherin Jana Kaesdorf aus Kreuzberg, die am 4. Januar 2020 Kinostart in Berlin feiert, im Union Filmtheater in Köpenick. „Was die Mächtigen dieser Welt auch vermasseln – das Volk muss es ausbaden“, heißt der Untertitel des 80-Minuten-Werkes, es ist der Debütfilm der Kreuzberger Kamerafrau, und er nimmt die Zuschauer mit auf eine besondere Geschichtsreise fernab der bekannten Kuba-Routen und Kuba-Klischees.

Kaesdorf wollte auf die Suche gehen nach dem, was in Ost-Berlin auf andere Weise versucht wurde, zu leben, bis es doch scheiterte. „Experiment Sozialismus“ lässt unter anderem Revolutionsveteranen zu Wort kommen, Historiker, eine Journalistin, junge Kubaner – der rote Faden der Doku-Fiktion ist die Suche nach der Umsetzung der Wirtschaftsreformen – der „Lineamientos“. Diese sind, wie der Film eindringlich erzählt, ein Leitfaden, den es seit 2011 gibt, um das sozialistische Wirtschaftsmodell zu aktualisieren und das Land bis 2030 aus der anhaltenden Krise zu retten.

Das Ziel ist, sich den Herausforderungen auf dem Weltmarkt anzupassen, doch dabei den kubanischen Sozialismus zwingend zu erhalten. Jana Kaesdorf erzählt den beabsichtigten Wandel im rauen Alltagsgeschäft durch Mangelverwaltung und den exotischen Downsizing-Reiz für Touristen mit eindringlichen Bildern.

Da erzählt etwa der Revolutionsveteran Manolo. Die Kamera zoomt dicht an seine Schweißperlen heran, als der Vorsitzende des „Komitees zur Verteidigung der Revolution“ sich an die korrupte Batista-Regierung in den 50er Jahren erinnert: „Die Leute wussten, dass wenn einer von Batistas Auftragskiller sie erwischte, dann wären sie tot. Sie versammelten sich trotzdem, weil der Tyrann beseitigt werden musste.“

Den durch den Film führenden Erläuterungen des Ich-Erzählers und Exilkubaners Arsenio folgte man bei der Filmpremiere im Filmtheater am Friedrichshain als Zuschauer gern, schließlich spricht da Tom Vogt, bekannt als Synchronstimme der Schauspieler Colin Firth, Clive Owen und Rupert Everett.

Kubanischer Afrobeat sorgt für Schwung

Es ist großes, kreativ geschnittenes, in die Tiefe gehendes politisches Erzählkino, da muss man schon wach und aufmerksam bleiben. Aber immer wieder bringt einen auch die US-Band Antibalas mit typischem kubanischen Afrobeat in Schwung – den gab es auch bei der ausverkauften Premierenfeier, durch die der bekannte Morgenmagazin-TV-Moderator Mitri Sirin führte. Die kubanische Exilgemeinde will bald eine Event organisieren mit Filmgucken und Wiedersehen.

Beinahe hätte Jana Kaesdorf den Film jedoch nicht machen könne. Sie wollte ihn durch Crowdfunding finanzieren, und da es ein internationales Thema war, meldete sich die Kreuzbergerin auf einer US-Website dafür an – Indiegogo. Bald jedoch wurde ihr Spendenaufruf blockiert. Es gebe nämlich ein Anfang der 1990er Jahre erlassenes Gesetz, damals war der Republikaner George H. W. Bush Präsident, „das mir letztendlich in Berlin untersagte, Geld einzusammeln. Weil es ausschließt, dass Tochterfirmen amerikanischer Unternehmen im Ausland Projekte unterstützen dürfen, die Kubas Wirtschaft fördern“, sagte Kaesdorf. Kreuzberg und Kuba, digital fast wie Nachbarn.

Kuba öffnet es sich seit einigen Jahren wirtschaftlich, wenn auch nur langsam. Was für Auswirkungen dieses Spannungsverhältnis auf den Alltag hat und wie der Sozialismus dort aussieht, zeigt Regisseurin Jana Kaesdorf.
Kuba öffnet es sich seit einigen Jahren wirtschaftlich, wenn auch nur langsam. Was für Auswirkungen dieses Spannungsverhältnis auf den Alltag hat und wie der Sozialismus dort aussieht, zeigt Regisseurin Jana Kaesdorf.

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Und dann gab es auch keine Drehgenehmigung. Aber mit der Vision im Herzen hielt es Jana Kaesdorf einfach nicht mehr aus, sie musste da hin, und sie ließ sich „was einfallen, wie ich die Geschichte erzähle, ohne dass wir großartig auffallen“. Also schuf sie die Figur des Ich-Erzählers, und los ging es „mit kleinem Besteck, also mit minimalistischem Equipment, um dort nicht so aufzufallen“. So ein Projekt zu stemmen, sei auf jeden Fall ein Wagnis: „90 Prozent wurden privat von mir finanziert. Es war nicht mal klar, ob wir das Drehmaterial aus dem Land bekommen“.

Es klappte. Und so entdecken die Zuschauer auch dank der Übersetzungen von Dolmetscher Enrico Nake in den Untertiteln gemeinsam mit dem fiktiven, aber an der Realität angelehnten Exilkubaner Arsenio mit den Augen eines Erwachsenen ein Land neu. Jahre hat es gedauert, bis „Experiment Sozialismus“ von der Idee zur Realität heranwuchs, inklusive selbst gegründetem One-Woman-Filmverleih. Nun startet der Film im Kino. Das nächste Experiment kommt bestimmt.

Kinostart für „Experiment Sozialismus – Rückkehr nach Kuba“ ist am Sonnabend, 4. Januar um 22.30 im Union Filmtheater, Bölschestraße 69, in Köpenick nahe dem S-Bahnhof Friedrichshagen. Am Sonntag, 5. Januar, wird der Film um 18 Uhr gezeigt – Filmemacherin Jana Kaesdorf wird anwesend sein. Weitere Termine sind der 6. Januar um 13 Uhr, der 7. Januar um 15.30, der 8. Januar um 10.30 und um 18 Uhr. Eintrittspreis 7,50 Euro, ermäßigt 5,50 Euro. Weitere Spielstätten werden über die Homepage bekannt gegeben: www.experiment-sozialismus-film.com

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