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Nicht mehr alle Kinder können momentan in die Kitas gehen.

© Julian Stratenschulte/dpa

Kritik an neuer Kita-Regelung in Berlin: „Das schafft weder Klarheit noch Verlässlichkeit“

Nur noch Eltern mit systemrelevanten Berufen und Alleinerziehende können ihre Kinder in die Kitas bringen. An der Liste des Senats gibt es Kritik.

Sind Jäger systemrelevant? Und was ist mit Meteorologen oder Imkern? Das sind nur drei Beispiele für Berufe, die auf der Liste des Senats stehen, mit der ab Montag der Zugang zur Kitanotbetreuung geregelt werden soll. Eltern, die sich beruflich auf dieser Liste wiederfinden, können wie berichtet die Notbetreuung für ihre Kinder in Anspruch nehmen, sofern sie auch einen „außerordentlich dringenden Bedarf“ dafür haben.

28 Seiten lang ist diese Liste, und sie hat bereits für viel Unverständnis und Kritik gesorgt. Wäre es nicht einfacher, die Berufe und Bereiche aufzulisten, die nicht systemrelevant sind, fragen sich so manche.

Die Arbeiterwohlfahrt (Awo), Trägerin von rund 50 Kitas in Berlin, kritisiert die Komplexität und eine fehlende Prioritätensetzung bei der Liste, die zu Verunsicherung bei Eltern und Kitaleitungen führen werde. „Eine 28 Seiten umfassende Liste mit systemrelevanten Berufen können wir weder den Eltern noch unseren Erzieher:innen zumuten“, sagt Oliver Bürgel, Landesgeschäftsführer der Awo Berlin.

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Ähnlich äußerte sich Dorothee Thielen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin: „Das Konzept schafft weder Klarheit noch Verlässlichkeit oder Gerechtigkeit. Statt über Bedarfe von Kindern zu sprechen, werden sich Kita-Leitungen und Eltern über die Auslegung dieser Notbetreuungsregeln streiten.“ 

Die Senatsjugendverwaltung stellt klar, dass nicht sie die Liste zusammen gestellt hat. Es handele sich vielmehr um die „KRITIS-Liste“ der Senatsinnenverwaltung, die festlegt, welche Bereiche für die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur unverzichtbar sind. „Hier können wir als Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie nicht einfach so einzelne Berufe streichen oder ergänzen“, sagte eine Sprecherin. Die Liste werde aber aktualisiert und überarbeitet.

Anspruch gilt nur für Zeiten mit dringendem Bedarf

Entscheidend sei ohnehin, dass auch Personen, die in diesen Bereichen arbeiten, einen dringlichen Bedarf haben müssen. Wenn jemand beispielsweise nur drei Tage in der Woche arbeitet, dann gelte der Betreuungsanspruch auch nur für diese Arbeitszeit. Und ob es so viele Jäger in Berlin gebe, die einen dringenden Kinderbetreuungsbedarf haben, dass sie das System der Notbetreuung ins Wanken geraten lassen, sei auch fraglich.

In einem Schreiben an die Kitaträger, das die Senatsverwaltung am Freitag verschickt hat, werden weitere Erläuterungen zu der neuen Regelung gegeben. Auch Kinder von Alleinerziehenden und Kinder mit Behinderungen können in die Notbetreuung aufgenommen werden, und auch Kinderschutzfälle sollen berücksichtigt werden. So lange eine Kita nicht zu 50 Prozent ausgelastet ist, können auch Kinder von Eltern aufgenommen, die nicht in einem systemrelevanten Beruf arbeiten, aber nur, wenn ein außerordentlicher Bedarf besteht. Der Anspruch besteht auch, wenn Eltern mit systemrelevanten Berufen im Homeoffice arbeiten, und es reicht, wenn ein Elternteil eine systemrelevante Tätigkeit ausübt.

Kitas müssen weiterhin mit Eltern das Gespräch suchen

Und wenn trotz dieser Regelungen mehr als 50 Prozent der Kinder in die Kitas kommen? Das kann ja leicht passieren, wenn in einer Einrichtung viele Eltern alleinerziehend sind, oder wenn Kitas in der Nähe von Krankenhäusern viele Kinder von Ärzt:innen und Pflegenden betreuen. Dann, so teilt die Jugendverwaltung mit, sollen die Kitas mit den Eltern das Gespräch suchen, ob eventuell Wechselmodelle mit reduzierten Betreuungszeiten in Frage kämen. Wenn keine kitainterne Regelung gefunden werde, soll die Kitaaufsicht hinzugezogen werden.

Es habe von Kita-Fachkräften den Wunsch gegeben, dass deutlicher festgelegt werde, wer in die Notbetreuung darf. Dem habe man versucht, Rechnung zu tragen, sagte die Sprecherin der Jugendverwaltung. Man könne aber auch nicht alle Einzelfälle „von oben“ entscheiden.

Kitaträger bezweifeln, dass es jetzt leichter wird. „Den täglichen Aushandlungsprozess zwischen Erzieher:innen und Eltern an der Kitatür werden wir mit diesen Regelungen nicht hinter uns lassen“, sagte Oliver Bürger von der Awo.

Elternvertreterin: Kitageld auf 1000 Euro erhöhen

Und was sagen Elternvertreter? Corinna Balkow vom Landeselternausschuss Kita hält die Liste für „unfair den Kindern gegenüber, weil es nicht um deren Bedürfnisse sondern um die Berufe der Eltern“ gehe. Andererseits sei die Liste so lang, dass sie fast kein Ausschlusskriterium darstelle. Balkow sagt, eigentlich müsste man bei den Betrieben mit den Einschränkungen anfangen.

Denn so lange Eltern gezwungen seien zu arbeiten, bräuchten sie auch Kinderbetreuung. Sie plädiert dafür, das Kindergeld auf 1000 Euro zu erhöhen, so lange die Kitas geschlossen seien. So könnten Eltern finanzielle Einbußen ausgleichen, wenn sie ihre Arbeit reduzierten. Die neue Regelung zu den Kinderkrankentagen helfe nur Angestellten.

Katharina Mahrt von der Initiative „Kitakrise Berlin“ wünscht sich, dass von Seiten der Behörden besser erklärt wird, welche finanziellen Hilfen für Eltern es gibt und wie man diese beantragt, wie etwa das Kinderkrankengeld und den Entschädigungsanspruch für Verdienstausfall nach dem Infektionsschutzgesetz. Außerdem bräuchten Eltern eine Perspektive, wie es im Februar weitergehe. „Viele befürchten, dass sich das bis Ostern so hinzieht“, sagte sie.

Was Betroffene über die neuen Kita-Regeln sagen, lesen Sie bei Tagesspiegel Plus: "Sie bringt ihr Kind, obwohl sie nicht arbeitet."

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