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Rücksicht nehmen, bitte: Skater, Radfahrer und Spaziergänger im Gleisdreieckpark.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Kritik an Berliner Radverkehrsplan: „Die Radplaner handeln wie die Autoplaner im vorigen Jahrhundert“

Mit dem Radverkehrsplan hat der Senat ein 3000 Kilometer langes Radnetz beschlossen. Doch im Detail gibt es Ärger – schwere Vorwürfe kommen vom Fußgängerverband.

Nach dem Beschluss des Radverkehrsplans und des neuen Berliner Radnetzes durch den Senat erhebt der Fußgänger:innenverband FUSS e.V. schwere Vorwürfe gegen die Senatsverkehrsverwaltung. Der Radnetzplan nehme auf Fußgänger:innen wenig Rücksicht, teilte der Verband am Mittwoch mit.

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Demnach hätten die Vertreter bei einer ersten Analyse 91 Wege und Orte gefunden, an denen die Umsetzung des Plans das Gehen „erschweren, gefährden, behindern oder ganz unmöglich machen würde“. Mehr als die Hälfte dieser kritischen Stellen befänden sich in Parks und Grünzügen. Betroffen seien jedoch auch Fußgängerzonen, Gehwege, Plätze und Spielstraßen.

„Die Radplaner handeln wie die Autoplaner im vorigen Jahrhundert“, sagte Fuss-Vorstand Roland Stimpel. „Sie planen ein ideales Netz für ihr Verkehrsmittel – und wer im Weg geht und steht, hat eben Pech.“ Es sei das Gegenteil von Verkehrswende, ausgerechnet den Raum und die Sicherheit der größten und umweltfreundlichsten Gruppe auf den Straßen zu beschneiden. 

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Besonders kritisch sieht der Verband unter anderem, dass durch das Brandenburger Tor eine Rad-Hauptroute führen soll. Erst im April hatte der Senat nach viel Kritik mitgeteilt, dass der zuvor geplante Radschnellweg auf Parallelstraßen den Pariser Platz umfahren würde. Wenn nun doch eine Radverbindung durch das Brandenburger Tor markiert werde, führe niemand außen herum, sagte Stimpel. „Der Radschnellweg kommt so durch die Hintertür.“

Radwege durch Parks: „Regelrechte Verkehrsknoten“

Für Unmut sorgt auch, dass Routen im neuen Netz durch Parks und Grünanlagen führen. In einigen Parks gebe es „regelrechte Verkehrsknoten“, kritisiert der Verband. So führten allein durch den Südosten des Tiergartens drei Routen – allerdings definiert der Netzplan sie nur als Ergänzungsstrecken. Sie sind zudem bereits heute für den Radverkehr freigegeben und werden entsprechend genutzt.

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Im Gleisdreieckpark gebe es künftig kaum noch Wege ohne starken Radverkehr, bemängelt der Verband. Wie bei allen Radrouten durch Grünanlagen sollen diese laut dem Radverkehrsplan jedoch nicht im Sinne der neuen Radwegstandards umgebaut werden.

Daneben kritisierte der Verband, dass manche Radrouten auch Bereiche für Fußgänger:innen durchfahren sollen, etwa in der Spandauer Altstadt, die Gorkistraße und Alt-Tegel sowie die Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg.

[Lesen sie mehr bei Tagesspiegel Plus: 3000 Kilometer neue Radwege bis 2030: Berlin will Fahrrad-Hauptstadt werden]

In Moabit und Charlottenburg sei es aus Sicht der Fußgänger:innen-Lobby zudem problematisch, dass Radstrecken durch verkehrsberuhigte Bereiche führen sollen. Solle dort mit normalem Fahrradtempo statt dem vorgeschriebenen Schritttempo gefahren werden dürfen, müsse die Verkehrsberuhigung aufgehoben werden.

Verkehrsverwaltung weist Vorwürfe am Radnetz zurück

Die Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) geführte Senatsverkehrsverwaltung wies die Kritik zurück. Das Radnetz sei die konzeptionelle Grundlage, aber noch keine verbindliche, konkrete Planung, sagte ein Sprecher. "Die Detailplanung erfolgt erst jeweils zu den einzelnen Maßnahmen und Streckenabschnitten, sie kann und wird häufig noch Veränderungen bringen."

Manchmal ein Moment der Unsicherheit: Eine Senioren spaziert durch den Tiergarten, eine Radfahrerin kommt ihr entgegen.
Manchmal ein Moment der Unsicherheit: Eine Senioren spaziert durch den Tiergarten, eine Radfahrerin kommt ihr entgegen.

© Thilo Rückeis

Das Netz sei insofern ein sich entwickelnder Organismus. So könnten im Netz auch noch Verbindungen enthalten sein, die sich bei einem tieferen Planungsstand als nicht umsetzbar erwiesen. "Dann werden andere Optionen gesucht, die den Zweck der Verbindung erfüllen können."

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So handele es sich etwa beim Radweg durch das Brandenburger Tor um "ein Missverständnis": Aus "verfahrenstechnischen Gründen" seien die Radschnellverbindungen im Netzplan noch nicht berücksichtigt. Sobald dies der Fall sei - wahrscheinlich im kommenden Jahr - würden parallel verlaufende Strecken angepasst, erklärte der Sprecher.

Auch die Routen durch verkehrsberuhigte Gebiete in Moabit und Charlottenburg seien noch nicht die konkrete Planung. "Es kann hier im Übrigen auch Lösungen ganz ohne Autoverkehr geben oder ohne Parkflächen, sodass auch der Fußverkehr profitiert. " Dies könne erst die tiefere Planung ergeben.

Verband: „Schmalspur-Plan“ für Fußgänger

Der Verband hatte die Kritikpunkte am Radnetz bereits im vergangenen Herbst bei der Beteiligung formuliert. Danach sei etwa ein Radweg über den Bebelplatz in Mitte aus den Plänen verschwunden. Ein Großteil der kritisierten Punkte stecke allerdings weiterhin in dem Werk.

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„Wo immer dieser Plan schwächere Verkehrsteilnehmer benachteiligt, darf er nicht umgesetzt werden“, forderte Stimpel. Der Verband sei bereit, an Konfliktpunkten über Kompromisse mit Radplanern zu reden. „Aber es kommt nicht in Frage, dass den Menschen zu Fuß ein solcher Schmalspur-Plan einfach übergeholfen wird. Gehwege, stille Parkwege, Fußgängerzonen und Spielstraßen müssen bleiben, was sie sind“, sagte er.

Changing Cities sieht Umsetzbarkeit gefährdet

Nicht nur von Seiten der zu Fuß Gehenden gibt es Kritik am mit einem Jahr Verspätung fertiggestellten Radverkehrsplan. Der Plan sei im Vergleich zur vorherigen Radverkehrsstrategie von 2013 „ein großer Fortschritt“, und insbesondere die priorisierten Ausbauvorgaben für das Vorrangnetz seien „ein Quantensprung“, erklärte die Initiative Changing Cities. Jedoch gebe es am Radnetz Mängel.

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So solle das Vorrangnetz in großen Teilen auf die Hauptstraßen verlegt werden, „wo ein konsequenter Vorrang für den Radverkehr praktisch nicht möglich ist, weil er mit dem ÖPNV-Vorrang dort kollidiert“, teilte die Initiative mit.

Unsicher sie auch die Realisierbarkeit der Projekte. Denn die nötigen Personal- und Finanzmittel werden im Plan nicht festgeschrieben. „Hier hat die SPD gebremst und dafür gesorgt, dass die notwendigen Ressourcen nicht benannt werden. Sie hat die Größe des Projektes Verkehrswende entweder nicht verstanden oder verweigert sich ihr bewusst“, sagte Ragnhild Sørensen. So sei eine zielorientierte Umsetzung des Radverkehrsplans nicht möglich.

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