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Die deutsche Sozialdemokratie steckt in der Krise – auch weil sie sich von ihrer Basis entfernt hat.

© Wolfgang Kumm/dpa

Krise der Sozialdemokratie: Die SPD verliert ihre Basis

Die SPD will wieder mehr unter die Leute gehen. Doch personell hat sich die frühere Partei der Angestellten und Arbeiter von den Wurzeln entfernt. Eine Analyse.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Es gibt sie noch, auch in Berlin: Politisch aktive Sozialdemokraten, die mit beiden Beinen im normalen Berufsleben stehen. Robert Willemelis beispielsweise, der den SPD-Ortsverein Adlershof leitet und IT-Spezialist bei der Strato AG ist. Oder den Lehrer Kevin Hönicke, der in Friedrichsfelde die Fahne der Sozialdemokratie hochhält und im Landesvorstand der Berliner SPD sitzt. Einer Partei, die einst von Arbeitern und Handwerkern gegründet wurde. Oder die Ärztin Franziska Prütz, Vorsitzende der SPD rund um das Rathaus Charlottenburg.

Aber diese und andere Genossen, die als Arbeiter und Angestellte in privaten Unternehmen tätig sind oder sich in bescheidenem Rahmen selbstständig machen, sind die Ausnahme im Berliner SPD-Landesverband. Jedenfalls soweit es sich um jene Funktionärsschicht handelt, die den Laden in der Partei am Laufen hält, die zu 80 Prozent aus nicht aktiven Mitgliedern besteht.

Eine eigene Statistik über die Sozial- und Berufsstruktur der Mitgliedschaft führt die Berliner SPD nicht. Doch eine Analyse des Tagesspiegels zur beruflichen Tätigkeit der Kreis- und Abteilungsvorsitzenden, des Landesvorstands und der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus ergab: Die meisten Funktionäre sind Berufspolitiker, im Parteiapparat, in Gewerkschaften und Verbänden oder in staatlichen Behörden beschäftigt.

Dann gibt es noch ein paar Juristen, Lehrer, Erzieher und Künstler, Hochschulangestellte und Studierende. Eine Partei der Facharbeiter, kleinen Angestellten und Mittelständler ist die SPD auch in Berlin schon lange nicht mehr. Das gilt jedenfalls für die Funktionärsschicht. Ob die breite Mitgliedschaft der Berliner SPD anders aussieht, ist nicht belegt.

Im SPD-Landesvorstand wurde zwar schon einmal die Idee erwogen, ein Berufsprofil der Parteibasis anhand der Mitgliederkarteien anzulegen, um Defizite der gesellschaftlichen Verankerung zu erkennen. Aber dies wäre nur auf freiwilliger Ebene möglich gewesen, datenschutzrechtliche Bedenken behielten die Oberhand.

Weit weg von der Bevölkerungsstruktur

Trotzdem streitet auch bei den hauptstädtischen Sozialdemokraten niemand ab, dass die eigene Mitgliedschaft die Bevölkerungsstruktur schon lange nicht mehr widerspiegelt. Und erst recht nicht den traditionellen Vorstellungen einer Arbeiterpartei entspricht. „Natürlich diskutieren wir darüber, wer heutzutage noch unsere Klientel ist“, sagt der SPD-Abgeordnete aus Marzahn-Hellersdorf und Rechtsanwalt Sven Kohlmeier.

Das eigentliche Problem der SPD [...] ist die erstickende Dominanz der Vertreter des öffentlichen Dienstes. [...] Sehr salopp formuliert, es sind viel zu wenige Vertreter des realen Lebens in der SPD, der Bereiche, die das Geld erwirtschaften, das der öffentliche Dienst dann ausgeben kann.

schreibt NutzerIn tpublic13

Er beklagt schon lange, dass die wirklichen Probleme der Menschen – gerade in den Außenbezirken Berlins – von den eigenen Genossen nicht ausreichend wahrgenommen werden. Von einer Lösung der kommunalen Probleme durch zupackendes Regierungshandeln ganz zu schweigen. „Wir liefern nicht ab.“ Dazu passt die eigentlich selbstverständliche Mahnung der amtierenden Ko-Vorsitzenden der Bundes-SPD, Manuela Schwesig: „Wir müssen viel vor Ort sein“, sagte sie nach den Landtagswahlen am Sonntag.

Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter formulierte in der regionalen SPD-Zeitung „Berliner Stimme“ sehr drastisch, was der Partei fehlt. „Kaum noch jemand aus den Parteieliten entstammt unmittelbar der Arbeiterschaft.“ Er beklagte die anhaltende Tendenz zur „Akademisierung und öffentlichen Bedienstung“ des Mittelbaus und der Führungspersonen der SPD.

Den meisten sei die normale Arbeitswelt nicht bekannt und daraus resultiere auch „der Marketing-Sprech und die Papageiensprache der etablierten Schichten“. Dies sei aber doch kein Spezialproblem der SPD, hört man im Landesvorstand der Regierungspartei. Dies sei inzwischen das Problem aller „verkopften“ politischen Organisationen.

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Dass die Berliner SPD, so wie sie personell aufgestellt ist, wichtige Wählerschichten nicht mehr erreicht, zeigen auch neue Umfrageergebnisse des Instituts Civey für den Tagesspiegel. Bei denen, die noch sozialdemokratisch wählen, sind die über 65-Jährigen und die Beamten deutlich überrepräsentiert.

Bei Arbeitern und Arbeitslosen liegt die Landes-SPD nur noch zwischen 8 und 12 Prozent. Und im gesamten Osten Berlins sind die Sozialdemokraten mit knapp 11 Prozent extrem schwach. Diese Ergebnisse bestätigen die Erkenntnisse der Meinungsforscher nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen.

Noch immer wertet eine Kommission des SPD-Landesverbands zu den künftigen „politischen Handlungsfeldern“ der Partei die niederschmetternden Ergebnisse der Abgeordnetenhaus-, Bundestags- und Europawahlen seit Herbst 2016 aus. Der Kommissionsbericht wird voraussichtlich dem SPD-Landesparteitag Ende Oktober zur Beschlussfassung vorgelegt. Aber die Mitglieder- und Funktionärsstruktur als wichtige Voraussetzung für eine gute personelle Verankerung in der Stadtgesellschaft spielten in der Kommissionsarbeit dem Vernehmen nach kaum eine Rolle.

Auch ein Beschluss der Berliner SPD für organisatorische Reformen des Landesverbands beschäftigte sich mit diesem Thema nur am Rand. Dort ist von „Umgang und Sprache auf Augenhöhe mit den Menschen“ die Rede, und von „Kooperationen mit der Zivilgesellschaft“.

Die Pflege von Bündnissen, Vorfeldorganisationen und Netzwerken dürfe nicht als Aufgabe verstanden werden, „die man erledigt, wenn der eigene interne SPD-Kram abgearbeitet ist“. Die vorhandenen Kommunikationswege müssten analysiert und „auf Verbesserung bei der Nutzung hingewirkt“ werden. Es gab auch mal eine interne Aktion zur Anwerbung von Azubis und eine Arbeitsgruppe wurde gegründet, die Arbeitnehmer ansprechen soll. Größere Erfolge solcher Bemühungen sind nicht bekannt.

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