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Am Hermannplatz in Neukölln steigt die Kriminalität weiter an.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kriminalität in Berlin: Polizei in Neukölln ist überlastet

Am kriminalitätsbelasteten Hermannplatz gibt es nun Brennpunktstreifen. Ein bewährtes Konzept, doch zusätzliches Personal gibt es dafür nicht.

Körperverletzung, Überfall, Drogenhandel: Der Hermannplatz mit Teilen der Hermannstraße ist einer der Kriminalitätsschwerpunkte Berlins. Und keiner der sich momentan gut entwickelt. Vor allem an den Wochenenden oder in den späten Abendstunden kommt es hier oft zu teils schweren Auseinandersetzungen.

Sie verkaufen Drogen, sie feiern und bleiben selten unter sich: Bei der Tätergruppe, die dort seit einiger Zeit vermehrt aggressiv auftritt, handelt es sich um junge Männer aus dem Ausland, oft ohne Aufenthaltserlaubnis – jedenfalls hat das die Polizei bei jenen festgestellt, die bei Drogendelikten erwischt werden.

"Am Hermannplatz wurde doch schon immer gedealt"

Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind allein bis Mai die Körperverletzungsdelikte am Hermannplatz um 56 Prozent auf 89 Vorfälle gestiegen. Im Jahr 2017 waren es insgesamt 194. Raubdelikte haben um 43 Prozent zugenommen, Drogendelikte um 65 Prozent.

Das geht aus den Statistiken der Polizei hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen. Deshalb zieht die Polizei nun die Konsequenzen – mehr Streifen, mehr Beamte, mehr Kontrollen. Zusätzlich zu den anderen Brennpunkten. Und trotz Personalmangel.

Passanten und Anwohner am Hermannplatz bekommen vom Anstieg der Kriminalität nur bedingt etwas mit. „Am Hermannplatz wurde doch schon immer gedealt, das ist nicht mehr oder weniger geworden“, meint eine Verkäuferin bei Karstadt.

Der junge Mann, der auf dem Hermannplatz Kaffee verkauft, fühlt sich hier mittlerweile sogar sicherer, als noch vor zwei, drei Jahren. „In der U-Bahn-Station, ja, da gibt’s oft Ärger. Aber hier oben ist alles gut“, sagt der Dönerverkäufer.

Nun ist das so eine Sache mit der gefühlten und tatsächlichen Sicherheit. Ein Klassiker für Innenpolitik und Polizei. Gefühlt kann die Unsicherheit groß sein. Andererseits wird diffuse Gefahr nicht immer realistisch eingeschätzt

Brennpunktstreifen am Hermannplatz

Der Polizei fällt das schon leichter: Sie stuft die Gegend um Hermannplatz und Hermannstraße als kriminalitätsbelastet ein. Als solches gelten Orte, wenn dort laut Polizei „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ begangen werden.

Die Warschauer Brücke ist so ein Ort, genauso wie der Alexanderplatz oder der Görlitzer Park. An Orten dieser Kategorie ist die Polizei häufiger unterwegs, und die Beamten dürfen mehr – verdachtsunabhängige Personenkontrollen zum Beispiel, ganz offensiv.

Zehn Orte sind in Berlin derzeit als solche Kriminalitätsschwerpunkte eingestuft. Die negative Entwicklung der Sicherheitslage am Hermannplatz und in der Hermannstraße war der Polizei jetzt Anlass genug, noch einen Schritt weiter zu gehen: zusätzlich zu der Kategorie „kriminalitätsbelasteter Ort“ ist hier seit Kurzem auch eine Brennpunktstreife – offiziell Einsatztrupp genannt – im Einsatz.

Brennpunktstreifen gibt es bereits seit 2017 im und am Görlitzer Park, an der Warschauer Brücke und am Kottbusser Tor – ein bewährtes Mittel an gefährlichen Orten: An allen drei Plätzen ist im vergangenen Jahr die Zahl an Straftaten gesunken. Vor allem wegen des massiven Aufgebots von Beamten, gerade an Wochenende, gerade nachts.

Nachts sind in der Regel nur die Funkwagen der Polizei besetzt, die dann rausfahren, wenn sie gerufen werden. Die Brennpunktstreifen sollen genau diesen Zeitraum kompensieren, an dem weniger Polizisten im Einsatz, aber mehr Kriminelle am Werk sind.

Acht Polizeibeamte, die pro Schicht aus den regulären Dienstgruppen kommen, fahren nun vorwiegend abends, nachts, am Wochenende Schicht am Hermannplatz. Dieselben Gesichter, Tag für Tag. Auch dass die Beamten bald persönlich vor Ort bekannt sind, soll Ruhe in die Lage bringen. Ein bisschen szenekundiger Kontaktbereichsbeamter, ein bisschen Anti-Pöbeltrupp.

Direktion 5 ist überlastet

Zusammen mit den Brennpunktstreifen am Görli, Kotti und an der Warschauer sind das 60 Beamte, die momentan diese Arbeit machen. 60 Beamte, die alle der Direktion 5 angehören, zuständig für Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln.

Jeder Polizeibeamte in einer Brennpunktstreife fehlt in einer regulären Dienstgruppe. Jede Dienstgruppe muss dennoch den vorgeschriebenen Basisdienst abdecken, Funkwagen besetzen. Eine personelle Belastung, die die Direktion kaum noch zu leisten vermag.

„Die aktuellen Maßnahmen sind personalintensiv und haben Auswirkungen auf den gesamten Abschnitt“, sagt Norbert Cioma, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

„Wir können die Einsatztrupps nur leisten, weil die Kolleginnen und Kollegen zig Überstunden ableisten. Auf Dauer geht das auch bei den belastbarsten an die Substanz“, sagt Cioma. Denn weiteres Personal, um die Sonderaufgaben zu bewältigen, wird der Direktion nicht zugeteilt.

Polizei geschrumpft, Aufgaben gewachsen

Derzeit sind 16.700 Beamte auf den Straßen Berlins, im Jahr 2000 waren es 18.000. Im aktuellen Haushalt gibt es 805 neue Sellen. Bis 2021 soll die Behörde zu alter Stärke wachsen, kündigte Innensenator Andreas Geisel (SPD) an. Aus Sicht der GdP reicht das nicht: 3.000 Polizisten seien zusätzlich nötig, um die wachsenden Aufgaben zu bewältigen.

Hinzu kommt, dass die Arbeit der neuesten Brennpunktstreife noch wenig Früchte tragen kann, die Einsatzzahlen im Bereich Hermannplatz und Hermannstraße sind nach wie vor hoch. Die Beamten aus den Dienstgruppen müssen jetzt also die konstant hohen Einsatzzahlen mit deutlich weniger Personal leisten. Doch nur mit diesem Aufwand könne die Sicherheit auch gewährleistet werden, meint Cioma.

Noch Anfang April hatte die Grüne Abgeordnete aus Friedrichshain-Kreuzberg, Marianne Burkert-Eulitz, die Erfolge der erhöhten Polizeipräsenz an neuralgischen Kriminalitätsschwerpunkten auch als Erfolg einer grünen Initiative gelobt:

„Wir Grüne haben an diesen kriminalitätsbelasteten Orten die Lösung stets in mehr Präsenz, insbesondere zu den Haupttatzeiten am Wochenende gesehen“, erklärte Burkert-Eulitz. Dass die Polizei mit ihrer Personalstärke und die Beamten selbst dabei an Grenzen stoßen, haben die Grünen offenbar nicht bedacht.

Hinzu kommt, wie damit befasste Polizeibeamte bestätigen, dass mit verstärkter Polizeipräsenz an einem Ort ein Verdrängungseffekt eintritt: Nicht zufällig gingen die Drogendelikte im Görlitzer Park drastisch zurück und stiegen am Hermannplatz, an der Warschauer Brücke und am Kottbusser Tor massiv an.

Die Polizeipräsenz könnte in den kommenden Monaten weiter verstärkt werden. Inzwischen wird über mobile Wachen wie am Alexanderplatz an den vier Schwerpunkten der Direktion 5 nachgedacht. Noch in diesem Jahr könnten sie kommen. Der Anhänger der Polizei für mobile Videoüberwachung steht inzwischen häufiger am Hermannplatz.

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