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Kontaktbereichsbeamte. Polizisten im Dienst in Friedrichshain.

© dpa

Kriminalität in Berlin: Atmosphäre in Kreuzberg ist ähnlich wie Silvester in Köln

Nach den Einsätzen in der Rigaer 94 ärgert sich unser Gastautor über Einbrüche, Explosionen, Überfälle, Knochenbrüche in Kreuzberg. Und welche Erfahrungen haben Sie in ihrem Bezirk gemacht? Ein Kommentar.

Fünf ganze Hundertschaften rückten in der letzten Woche aus, als ein Polizist leicht verletzt wurde von Leuten, die kurz darauf in das autonome Hausprojekt in der Rigaer Straße flohen. Nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht wirkt diese „Demonstration von Entschlossenheit“, wie es der Polizeisprecher ausdrückte, regelrecht grotesk.

Denn während der Innensenator die Sicherheitskräfte massiv gegen die versprengten Reste ihrer traditionellen linken Lieblingsfeinde vorgehen lässt, herrscht in meinem Kiez seit einiger Zeit andauernd eine ähnliche Atmosphäre wie Silvester am Kölner Hauptbahnhof. Am Schlesischen Tor, wo ich wohne, kann ich kaum die gleiche Entschlossenheit in der Bekämpfung von Kriminalität feststellen.

Kürzlich bin ich selbst „angetanzt“ worden und musste mein Portemonnaie einem erfreulicherweise kleineren Mann wieder aus der Hand nehmen. Kurz darauf wurde ein Geldautomat, der auf der Skalitzer Straße einige Häuser weiter aufgestellt worden war, kurzerhand nachts in die Luft gesprengt. Bei uns wurde eingebrochen, im dritten Stock.

Andere Probleme wirken harmlos

Einbrüche sind an der Tagesordnung – die Besitzerin eines Cafés fand vor ein paar Tagen nach einem Urlaub ihre Wohnung komplett leer vor. Einigen Freunden wurden auf der Straße mit Hilfe von Ablenkungsmanövern ihre Computer gestohlen. Ich kenne mehrere Personen, die im Görlitzer Park das Opfer von nächtlichen Raubattacken wurden; gestandene Männer, die dann nicht nur beraubt, sondern auch noch geschlagen wurden – einer trug einen Kieferbruch davon.

Die heute existierende Kriminalität in jeder Form dient politischen Erbauungsreden, aber wahrnehmbar ist wenig Aktion dagegen. Es ist nicht hinnehmbar, dass Polizeiaktionen zelebriert werden für Einzelfälle, dem Phänomen urbaner Verwahrlosung aber nichts entgegengesetzt wird.

schreibt NutzerIn BRCI

In einer nahegelegenen Kneipe, die lange geöffnet ist, wurde kürzlich das Personal von Personen, die sie rauswerfen oder denen sie keine Getränke mehr ausschenken wollten, ins Gesicht geschlagen und sogar mit einer Pistole bedroht.

Andere Probleme wirken dagegen geradezu harmlos. Der penetrante Drogenhandel im Görlitzer Park etwa, der sich nach dem hilflosen Polizeieinsatz nun auch noch in die Nebenstraßen verlagert hat. Die besoffenen und herumschreienden Horden von Touristen, die den Drogenhandel durch ihre Nachfrage erst ermöglichen, und die sich ständig irgendwo auf der Straße erleichtern.

Ich will nicht, dass es leise und ordentlich zugeht

Als ich kürzlich wieder einmal jemanden vertreiben wollte, der mit offenem Hosenschlitz vor meiner Haustür stand, begann diese Person tatsächlich mit mir darüber zu diskutieren – so sehr stinke es doch gar nicht! Zweimal haben wir jüngst menschliche Exkremente vor dem Haus gefunden.

Wenn das jetzt Ihr Klischee von Kreuzberg bestätigt, dann liegen Sie falsch. Als ich vor zehn Jahren hierhin gezogen bin, war das keine schöne Gegend, aber das alles gab es nicht. Mittlerweile hat sich zudem die Zusammensetzung der Bevölkerung stark verändert; wir sprechen von einem Stadtviertel, in dem jede Bruchbude zu einem Quadratmeterpreis von dreizehn Euro kalt angeboten wird.

Mark Terkessidis.
Mark Terkessidis.

© privat

Wenn Sie morgens um halb acht über die Wrangelstraße laufen, also die Zeit der Familien schlägt, dann erleben Sie in Kreuzberg einen angenehmen, immer noch sehr gemischten Kiez. Zudem will ich ja gar nicht, dass es in Städten stets leise und ordentlich zugeht, und mein Sicherheitsempfinden als vergleichsweise großer und sportlicher Mann, der sich auch mal als Reporter in Kriegsgebieten aufgehalten hat, würde ich als eher rustikal bezeichnen. Wenn ich also anfange, mir Sorgen zu machen, dann scheint mir die Situation einigermaßen außer Kontrolle zu sein.

Schon vor den Ereignissen von Köln hatte die Gewerkschaft der Polizei eine Kampagne gestartet, um auf ihren eklatanten Personalmangel hinzuweisen. Nach Köln wurde noch mal nachgelegt: Die Schuldenbremse beginne langsam, die Gewährleistung der Sicherheit in Gefahr zu bringen. Das ist völlig richtig. Andererseits bin ich mir nicht darüber im Klaren, ob die Polizei stets die richtigen Prioritäten setzt – siehe oben.

Nach dem Kölner Silvester ist eine Debatte darüber ausgebrochen, ob die Herkunft der Täter eine Rolle spielt. Und ja, die meisten der in diesem Artikel aufgezählten Taten wurden offensichtlich von Leuten begangen, die süd- oder nordafrikanischer Herkunft sind.

Das ist allerdings weder etwas Neues, noch ist es ein Tabu, darüber zu sprechen. Das Milieu solcher Täter ist aus vielen Untersuchungen bekannt: junge Männer, kein Schulabschluss, keine Arbeit, keine klare Struktur, was das Leben und den Alltag betrifft. Keine Perspektive, aber ziemlich hohe Ansprüche an Konsum und oft auch an patriarchale Formen von Männlichkeit.

Abwesenheit eines stabilen Umfeldes

Zugleich erscheint die Erfüllung der Ansprüche aber unmöglich. Diese Anomie sorgt häufig dafür, dass der Konsum durch Kleinkriminalität befriedigt wird und die Ideen von Männlichkeit durch eine ständige, potenziell gewalttätige Suche nach „Respekt“ oder „Ehre“ und den Hass auf Schwule und Frauen.

Mit Tradition oder Religion hat das nur wenig zu tun, eher mit der Abwesenheit eines stabilen Umfeldes. Wenn sich nun zu dieser Gemengelage auch noch ein unsicherer Aufenthaltsstatus gesellt, dann gibt es kaum noch Grenzen für das eigene Handeln. Viele der Personen aus Marokko oder Algerien haben sich zuvor in anderen europäischen Ländern aufgehalten. Sie wissen, dass sie nicht die geringste Chance auf Bleiberecht in Deutschland haben: Ihnen ist alles egal.

Nun hat die Polizei wiederholt betont, es dürfe keinen Generalverdacht gegen Personen wegen ihrer Herkunft geben.

Aus Köln hört man jedoch anderes. Obwohl die aggressiven jungen Männer erstmals in den kleinen marokkanischen Communities in Köln und Düsseldorf auffällig wurden, wo sie zum Beispiel Schuhe in der Moschee stahlen, arbeitet die Polizei nicht mit den gesetzestreuen Leuten zusammen, sondern kontrolliert wahllos „nordafrikanisch“ aussehende Personen in den jeweiligen Vierteln. Dieser Mangel an Differenzierungsvermögen erschwert die Polizeiarbeit. Wenn man in der Praxis nicht generalisiert, dann darf man auch über Herkunft sprechen.

Ist mir nicht egal

Und die Berliner Politik? Die grüne Bezirksbürgermeisterin träumt weiter ihre Hippieträume vom Coffeeshop, der Innensenator schwadroniert zahnlos von „null Toleranz“ und die SPD schweigt und hat offenbar vergessen, dass sie irgendwann auch mal so was betrieben hat wie Sozialpolitik, um Leuten eine Perspektive zu geben.

„Politische Führung“ hat die Gewerkschaft der Polizei nach Köln zu Recht gefordert. Davon keine Spur. „Is mir egal“, heißt ein sicher lustiges Video der BVG, das die angebliche Toleranz in Berlin feiert. Aber das Motto ist komplett falsch: Berlin, es ist mir nicht egal.

Mark Terkessidis ist Autor, u.a. mit dem Schwerpunkt Migration. Sein jüngstes Buch handelt von Defiziten der Demokratie und heißt "Kollaboration" (Suhrkamp).

Mark Terkessidis

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