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Kaum Abstand: Demonstranten an der Kreuzberger Mariannenstraße vor einem Spätkauf am 1. Mai.

© imago images/Marius Schwarz

Kreuzbergs Bürgermeisterin über den 1. Mai: „Das war eine wilde Coronaparty“

Monika Herrmann, Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, über die Ereignisse in ihrem Bezirk, nachlassenden Sicherheitsabstand und egoistische Feiernde.

Seit 2013 ist Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) Bezirksbürgermeisterin in Friedrichshain-Kreuzberg. Im Interview spricht die 1964 in Berlin geborene Diplom-Politologin über ihre Beobachtungen im Bezirk am 1. Mai, Sicherheitsabstand in der Corona-Pandemie und über die Frage, warum die Ereignisse am 1. Mai immer in Kreuzberg stattfinden.

Frau Herrmann, wo waren Sie am 1. Mai?
Ich war hauptsächlich im Görlitzer Park, bin aber auch mit dem Fahrrad ein bisschen durch das sogenannte Festgebiet gefahren.

Was haben Sie am 1. Mai beobachtet und von den Ereignissen mitbekommen?
Das ist fast vom 1. Mai unabhängig, weil ich das seit längerer Zeit beobachte: Sowohl auf dem Tempelhofer Feld als auch im Görlitzer Park, im Treptower Park und im Park am Gleisdreieck nehmen die Leute es seit einiger Zeit mit der Pandemie nicht mehr so ernst. Die Zugänge zu den Rasenflächen sind die neuralgischen Punkte. Zu den Rasenflächen sagt die Polizei immer, da sieht es ganz gut aus.

Es sah auch im Görlitzer Park sehr gut aus, aber die Zugänge waren viel zu eng, es waren viel zu viele Leute, viel zu viele Leute ohne Masken, viel zu viele Leute, die sehr eng aneinander vorbeigingen. Das Phänomen konzentriert sich nicht auf den 1. Mai, aber es war natürlich da auch vorhanden. Abstandsgebote sind auch am 1. Mai nicht mehr so ernst genommen worden und das, glaube ich, ist ein großes Problem.

Haben Sie Menschenansammlungen beobachtet, die sich zu Demos trafen?
Nur beim Losgehen und ich muss wirklich sagen, ich verstehe es nicht. Es gab andere Leute, die demonstriert haben, die es schlauer gemacht haben und die das ernst genommen haben. Wir hatten einmal den Autokorso – gut, man mag jetzt darüber diskutieren, ob ein Autokorso genau richtig ist – aber die waren auf Abstand und haben die Pandemie ernst genommen. Diejenigen, die im Urbanhafen auf den Booten demonstriert haben, haben das ernst genommen, der DGB hat das ernst genommen.

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Nur die Szene aus Friedrichshain-Kreuzberg hat das anscheinend abends vor allem überhaupt nicht mehr ernst genommen. Das finde ich persönlich sehr schwierig.

Allerdings muss ich auch sagen, dass die Polizei ebenfalls nicht maskiert war, also keinen Mundschutz hatte, sowie viele Demonstrantinnen und Demonstranten. Wenn man das, was im Laufe des Abends passiert ist betrachtet, dass viele Menschen aufeinandertrafen – ich glaube das war eine wilde Coronaparty.

Polizisten während einer Demo am 1. Mai in Kreuzberg.
Polizisten während einer Demo am 1. Mai in Kreuzberg.

© imago images/Marius Schwarz

Teilen Sie die Einschätzung der Polizei, dass der 1. Mai weitgehend friedlich verlaufen ist?
Das tue ich. Aber am 1. Mai ging es gar nicht darum, ob friedlich oder nicht friedlich. Es wäre darum gegangen, ob vorsichtig oder nicht vorsichtig, ob solidarisch mit Risikogruppen oder Nicht-Risikogruppen. Deswegen ist richtig: Es ist ruhiger gelaufen, es ist gewaltfreier gelaufen, aber was die Antisolidarität mit den Risikogruppen aufgrund der Pandemie angeht, ist es überhaupt nicht gut gelaufen.

Es gab laut Polizei auch an einzelnen Orten in Kreuzberg Flaschen- und Steinwürfe, Polizisten wurden verletzt. Haben Sie davon etwas beobachtet?
Ich stand nicht daneben. Aber das ist letztendlich das Szenario in jedem Jahr, auch wenn der Innensenator und die Polizeipräsidentin seit vielen Jahren sagen, es sei friedlicher. Das stimmt, es ist friedlicher, aber diese Ausbrüche von Gewalt gegen Menschen, also in dem Fall gegen die Polizei, das haben wir jedes Jahr und das ist auch inakzeptabel.

Unsere Reporter berichten von Feiernden, die am Abend in Kreuzberg unterwegs waren. Was waren das für Menschen?
Das war querbeet. Was uns sicherlich in diesem Jahr sehr fehlte, waren die Touristinnen und Touristen, die traditionell sehr stark vertreten sind auf dem Myfest. Die waren nicht da aufgrund der Reisebeschränkungen.

Es waren jüngere und ältere Menschen, auch ganz junge. Ob die alle aus unserem Bezirk kamen oder aus ganz Berlin, kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich gehe davon aus, dass viele auch aus anderen Bezirken kamen. Es wäre eigentlich eine sehr schöne Stimmung und ein sehr schöner Tag gewesen, wenn wir das Pandemieproblem nicht gehabt hätten.

Was ist denn schiefgelaufen?
Was eindeutig schiefgelaufen ist, ist, dass viele die gerade ab 18 Uhr unterwegs waren, eben nicht verantwortlich gehandelt haben. Ich halte es nicht angemessen für einen mündigen Bürger, dass er das alles ignoriert. Wir kriegen diese Pandemie nur in den Griff, wenn wir selbst verantwortlich handeln und das nicht nur von Staats wegen und mit Polizei durchsetzen. Davon bin ich auch gar keine Freundin.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Nach wie vor ist es wichtig, dass wir selber darauf achten und das ist gestern eindeutig bei einigen schiefgelaufen. Man kann nicht sagen bei allen, das wäre völlig überzogen. Ich habe auch Leute gesehen, die sehr genau darauf geachtet haben, weil ihnen die Wichtigkeit auch klar ist.

Aber bei denen gerade, die dann Rudelbildung gemacht haben zum Abend hin, da ist eindeutig etwas schiefgelaufen. Die haben das völlig ignoriert und sehr egomanisch ihr Ding durchgezogen. Da ist jeder selber auch mit verantwortlich, wenn wir wieder steigende Infektionszahlen haben.

Warum finden die Ereignisse und die Demos am 1. Mai immer wieder in Kreuzberg statt?
Das ist eine gute Frage (lacht). Aber man geht ja auch schon weiter. Es kommt immer auch auf den Inhalt der Proteste an. Bei der Demonstration in Charlottenburg ist ja auch klar gemacht worden, dass es um das Kapital, um Kapitalismuskritik und um die Wohnungsproblematik geht.

Ansonsten ist es finde ich auch eine gewisse negative Tradition, dass man immer zum Myfest hin auch unbedingt diese Auseinandersetzung haben muss. Ich halte das nicht unbedingt mehr für eine politische Aktion. Es ist am 1. Mai sehr deutlich geworden, wäre es eine politische Aktion gewesen, dann hätte man andere Formen gefunden.

Monika Herrmann ist Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg.
Monika Herrmann ist Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg.

© Christoph Soeder/dpa/pa

Es war sehr, sehr deutlich, dass es um eine gegenseitige Provokation geht. Das ist so deutlich geworden, weil alles ignoriert wurde. Das ist auch der Sache nicht dienlich.

Man hätte sicherlich andere Protestformen finden können. Soweit ich das verfolgt habe, hat die Szene zum Teil auch diskutiert, dass man sich in kleinen Gruppen aufstellt und demonstriert, aber ob das jemals ernst gemeint war, das kann ich Ihnen nicht sagen. Die waren eher schneller wieder in Großgruppe als die Polizei sich umgucken konnte.

Da ist sehr deutlich geworden, dass es eben nicht darum ging, einfach zu protestieren und sein Grundrecht auf Versammlung wahrzunehmen, sondern es ging tatsächlich um die Auseinandersetzung, die jedes Jahr seit 18, 19 Jahren provoziert wird.

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