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Andreas Geisel (SPD), Innensenator von Berlin, am Donnerstag im Abgeordnetenhaus.

© Jörg Carstensen/dpa

Krawalle bei Brandschutzbegehung: Innensenator Geisel bringt erneut Räumung der Rigaer 94 ins Spiel

Innensenator Geisel würde die Rigaer gern räumen. Doch er pocht auch auf Rechtsstaatlichkeit – und sieht deshalb den Hauseigentümer in der Verantwortung.

Nach dem Polizeieinsatz im teilbesetzten Haus in der Rigaer Straße 94 und den Randalen von Linksextremisten hat Innensenator Andreas Geisel (SPD) erneut eine Räumung ins Spiel gebracht. Er unterstütze das Anliegen des Eigentümers, das Haus zu räumen, sagte Geisel. Zugleich mahnte er ein umsichtiges Vorgehen an. Das Motto des Innensenators drei Monate vor der Abgeordnetenhauswahl könnte also lauten: Harte Hand gegen linke Gewalttäter, aber mit Bedacht.

Die Rigaer 94 gilt als Hotspot und Rückzugsort militanter Linksextremisten weit über Berlin hinaus, aus dem Haus heraus werden schwere Straftaten verübt. Das Problem sei „nur rechtsstaatlich zu lösen“, sagte Geisel. „Mit der Ramme rein ins Haus und alle rausholen – das klingt in manchen Ohren vielleicht verlockend, würde aber vor keinem Gericht dieses Landes Bestand haben.“ Der Innensenator verwies darauf, dass eine Räumung nur über den Eigentümer möglich sei. „Wenn er das Haus räumen lassen will, was ich unterstütze, muss er dies vor Gericht durchbringen. Hat er einen entsprechenden Räumungstitel, wird die Polizei in Amtshilfe tätig.“

Bereits am Donnerstag hatte Geisel im Abgeordnetenhaus darauf hingewiesen, dass der Eigentümer mehreren Mietern des Hauses gekündigt habe. Nach Tagesspiegel-Informationen sind den Anwälten mehrerer Mieter, die gar nicht mehr in dem Haus leben und teils in anderen Bundesländern gemeldet sind, Kündigungen zugestellt worden. Zur Szenekneipe „Kadterschmiede“ in dem Haus liegt bereits eine Räumungsklage vor. Vorbehaltlich von Gerichtsurteilen könnte es zu Räumungen kommen. „Der Rechtsstaat wird sich durchsetzen“, sagte Geisel.

Allerdings mahnte er am Freitag auch zur Vorsicht. „Ich empfehle jedem, der mit markigen Sprüchen um Aufmerksamkeit heischt, zuerst einen Blick in die Gesetzbücher“, sagte Geisel. „Wir haben uns als Gesellschaft diese Regeln nicht umsonst gegeben. Ich werde diese rechtsstaatlichen Prinzipien nicht verlassen. Tun wir dies, stellen wir uns auf eine Stufe mit Straftätern wie denen in der Rigaer 94“, erklärte er, und weiter: „Im Vordergrund steht immer die Eigensicherung der Polizistinnen und Polizisten.“

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Obwohl Polizisten direkt angegriffen wurden, als sie die Türen zum Haus öffneten, also Straftaten vorlagen, stellten die Beamten nicht die Identitäten der Bewohner fest. Dies sei nur möglich, wenn ein konkreter Verdacht gegen Personen vorliege, sagte eine Sprecherin. An dieser Aussage gibt es aber Zweifel. „Die Polizei hätte nach dem Legalitätsprinzip sämtliche Personalien der Personen feststellen müssen“, sagte SPD-Innenexperte Tom Schreiber. „Das geschah nicht und schadet dem Rechtsstaat.“

Geisel will eine Eskalation kurz vor der Wahl vermeiden

Das Legalitätsprinzip schreibt vor, dass Behörden wie Staatsanwaltschaft und Polizei zu Ermittlungen verpflichtet sind, wenn sie von einer möglichen Straftat erfahren. Auch in Polizei und Justiz herrscht Verwunderung: Wenn es gewollt gewesen wäre, gerade nach den massiven Attacken der vergangenen Tage, wäre auch eine andere Gangart möglich gewesen. So hätte etwa ein Staatsanwalt bei der Begehung dabei sein können, hieß es. Es blieb dabei, dass die Beamten dem Brandschutzprüfer den Weg bahnten – aber nicht mehr.

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Geisel will vermeiden, wie sein Amtsvorgänger Frank Henkel (CDU) kurz vor der Wahl mit harter Linie gegen die Rigaer 94 vorzugehen. Henkel hatte 2016 die Polizei ins Haus geschickt, um die Bauarbeiter des Eigentümers zu schützen. Der hatte damals aber keinen Gerichtstitel, die Gerichte hatten auch noch nicht die Vertretungsnachweise der britischen Eigentümerfirma akzeptiert. Hinter dem Firmenkonstrukt verbirgt sich ein Berliner, der aus Angst vor den Autonomen anonym bleiben will.

Am Mittwoch war die Polizei in der Rigaer von rund 200 Autonomen überrascht worden, die aus Müll Barrikaden errichtet und in Brand gesetzt hatten. Auf anrückende Polizisten ging ein Steinhagel nieder, 63 Beamte wurden verletzt, die meisten leicht, zwei allerdings schwer. Bei der Brandschutzbegehung am Donnerstag sind 21 Polizisten verletzt worden. Weil Pulverfeuerlöscher auf sie entleert wurden und Böller flogen, erlitten sie Atemwegsreizungen und Knalltraumata.

Ermittlungen unter anderem wegen versuchten Totschlags

Später zogen dann 2000 Demonstranten aus der linken Szene durch Friedrichshain, es flogen Flaschen und Steine. Laut Geisel sind 16 Personen in den vergangenen Tagen festgenommen und 34 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, etwa wegen versuchten Totschlags, tätlichen Angriffs und gefährlicher Körperverletzung. „In der Rigaer Straße wurden nicht nur Sachen angezündet, sondern das Leben von Menschen aufs Spiel gesetzt“, sagte Geisel.

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Der Brandschutzsachverständige hat am Donnerstag keine gravierenden Mängel festgestellt, die eine Sperrung des Hauses notwendig machten. Die Prüfung hätte bereits im März stattfinden sollen, platze aber, weil der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), das Vorhaben hintertrieb und Gerichtsverfahren unterlief. Drei Mal schickte er seine Vize-Leiterin der Bauaufsicht ins Haus – das Ergebnis: wenige Mängel, die von den Bewohnern behoben werden können.

Die Gerichte hielten das alles nicht für ausreichend, zumal Schmidt seit Jahren von Mängeln wusste, seine Bauaufsicht aber nicht einschreiten ließ. „Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat jahrelang die Brandschutzsituation in der Rigaer 94 ignoriert, weil man sich nicht mit Linksextremisten anlegen wollte“, sagte Geisel nun. „Es darf für Extremisten keine Ausnahmen vom geltenden Recht geben.“

Tatsächlich hatte sich das Bezirksamt erst auf Druck der Bezirksaufsicht der Senatsinnenverwaltung und durch Gerichtsvorgaben gerührt. „Hätten die Verantwortlichen im Bezirk hier früher und konsequenter gehandelt, wäre Berlin ein Einsatz wie gestern sicher erspart geblieben“, sagte Geisel. Die Innenverwaltung werde die weiteren Schritte des Bezirksamts sehr genau begleiten, das nun über das Gutachten des Sachverständigen entscheiden muss.

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