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Freie Fahrt: Fast alle Schülerinnen und Schüler in Berlin haben das kostenlose Ticket.

© Ottmar Winter PNN

Kostenloses Ticket vergessen: So kassiert die S-Bahn bei Berliner Schülerinnen und Schülern ab  

Wenn Kinder und Jugendliche keine „FahrCard“ vorzeigen, brummen ihnen Kontrolleure konsequent 60 Euro auf. Erlaubt ist das, doch die BVG nimmt mehr Rücksicht.

Möglich, dass bald wieder mehr Schülerinnen und Schüler mit Bus und Bahn unterwegs sind. Doch wenn sie die S-Bahn in Berlin nutzen, sollten sie sich lieber einmal mehr vergewissern, ob sie ihr kostenloses Schülerticket dabei haben.

Denn im Unterschied zur BVG verpassen die S-Bahn-Kontrolleure offenbar ausnahmslos allen Kindern und Jugendlichen, die ihnen das Ticket nicht sofort vorzeigen können, ein so genanntes Erhöhtes Beförderungsentgelt (EBE). Dann werden 60 Euro fällig – es sei denn, Schüler oder Eltern können die gültige „FahrCard“ im Nachhinein noch vorlegen. In diesem Fall sinkt die Gebühr auf sieben Euro.

Im Jahr 2020 bekamen auf diese Weise rund 5600 Fahrgäste unter 16 Jahren mit Berliner Wohnsitz von der S-Bahn einen EBE-Bescheid über 60 Euro aufgedrückt. Rund 2700 von ihnen mussten nur den reduzierten Satz bezahlen.

Das Vorgehen ist recht rigoros, da nahezu alle schulpflichtigen Kinder und Jugendliche im Besitz der „FahrCard“ sind. Der Senatsverkehrsverwaltung zufolge gibt es nach Einführung des kostenlosen Tickets im August 2019 mittlerweile eine „Marktabdeckung“ von rund 99 Prozent.

Die Wahrscheinlichkeit ist damit groß, dass die Schülerinnen und Schüler, insbesondere zu ihren üblichen Verkehrszeiten, eigentlich über einen gültigen Fahrausweis verfügen. Nur dürfte er vielfach zu Hause vergessen worden sein.

Der Schülerausweis hilft hier nichts

Trotzdem scheint die S-Bahn hier auf Prinzipien zu beharren. Nach der Identitätsprüfung werde „analog der Vorgehensweise bei anderen Fahrgästen ohne gültigen Fahrausweis“ entsprechend den Beförderungsbedingungen ein EBE ausgestellt. Demnach müsse jeder Fahrgast ab sechs Jahren bei Fahrtantritt einen gültigen Fahrausweis haben, was auch für die Nutzung kostenloser Fahrausweise gelte.

Der Schülerausweis hilft hier nichts. Den Angaben zufolge belegte die S-Bahn im vergangenen Jahr durchschnittlich etwa 170 Schülerinnen und Schüler pro Monat mit einem EBE, die bei Kontrollen nur ihren Schülerausweis vorzeigen konnten.

Von den Vorschriften ist die Praxis gedeckt. Das bestätigt die Senatsverkehrsverwaltung, und so sieht es auch die BVG, die 90 Prozent aller Schülertickets ausstellt und mit der Schüler zumeist unterwegs sein dürften.

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Dennoch ist man bei der BVG offenbar milder. Zwar seien EBE-Regeln „grundsätzlich“ auf Schüler anwendbar, heißt es. Es werde aber „bereits in der Kontrollsituation mit äußerstem Fingerspitzengefühl agiert“. Wenn es zu einem EBE-Verfahren komme, gebe es bei Schülern „mehr Kulanz“.

Die 60-Euro-Forderung geht direkt an die Inkassofirma 

Von Kulanz ist bei der S-Bahn dagegen eher selten die Rede. Bereits mit dem EBE-Feststellungsbescheid bei der Kontrolle geht die 60-Euro-Forderung auf den privaten Inkasso-Dienstleister „Paigo“ über. Der richtet entsprechende Mahnschreiben an die Betroffenen, wenn diese nicht fristgemäß zahlen. Fließt weiterhin kein Geld, kann zuzüglich der Gebühren mehr als der doppelte Betrag fällig werden.

Entsprechend den von der S-Bahn genannten Zahlen dürften im vergangenen Jahr rund 2900 Jugendliche unter 16 Jahren mit „Paigo“ gekämpft haben, in vielen Fällen vermutlich die Eltern. Wer in solchen EBE-Verfahren am Ende was bezahlt hat, lässt sich schwer aufklären. Die S-Bahn behauptet, sie sei nicht Inhaberin der Forderungen, genauere Auswertungen seien aufgrund der „Datenstrukturen“ unmöglich.

 Auch defekte Chipkarten können teuer werden

Wie strikt die S-Bahn bei EBE-Fällen vorgeht, zeigt sich indes auch im Umgang mit Fahrgästen, deren Chipkarte bei Kontrollen nicht ausgelesen werden kann. Wie berichtet, verlangt die Bahn auch hier bereits unmittelbar mit der Kontrolle ein 60-Euro-EBE. Betroffene müssen sich sputen, um ihre defekte Karte binnen sieben Tagen persönlich vorzulegen und nötigenfalls in eine neue umzutauschen, wie es die S-Bahn verlangt. Dann fällt das EBE weg.

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Wohl mehr als 2000 ihrer zahlenden Kunden hat die S-Bahn auf diese Weise im Corona-Jahr 2020 durch die Stadt geschickt, um die 60 Euro EBE abzuwenden. In 400 Fällen waren Unter-16-Jährige betroffen. Weshalb defekte Karten stattdessen nicht einfach zugeschickt werden können, kann die S-Bahn bisher nicht erklären. Der Fahrgastverband „Pro Bahn“ ruft Betroffene auf, sich bei ihm zu melden (www.pro-bahn-berlin.de).

Warum die S-Bahn-Prüfer EBE-Forderungen auch gegenüber mutmaßlich zahlenden Kunden so schnell geltend machen, ist unklar. Die S-Bahn, die den Prüfjob an zwei private Dienstleister übertragen hat, betont, eine „Fangprämie“ für einzelne Mitarbeiter sei vertraglich verboten.

Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass die Zahlungen für die beauftragten privaten Unternehmen mit der Zahl registrierter EBE-Fälle in einem Zusammenhang steht – oder dass es sonst Gratifikationen gibt. Die S-Bahn macht dazu bisher keine Angaben.

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