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Kostenloses Streugut: Heiß auf den Splitt

Seit gestern gibt es bei der BSR kostenlos Streugut. An den Ausgabestellen drängelten sich die Berliner.

Von Sandra Dassler

„Nun geben Sie mir endlich die Schaufel, Sie haben doch schon genug.“ – „Kann ich noch einen Eimer für meine kranke Nachbarin mitnehmen?“ – „Das sind nie und nimmer schon zehn Liter...“

So muss es im Winter ’46 auch gewesen sein. Nur dass es damals um Essen und Feuerholz, ergo ums blanke Überleben ging. 64 Jahre später besteht der Stoff der Begierde aus wenige Millimeter großen, unscheinbaren, schmutzigen, gelbgrauen Steinchen. Es ist simpler Splitt, auf den die Leute im kalten Winter 2010 so heiß sind. Seit gestern gibt es ihn auf fünf Recyclinghöfen der Berliner Stadtreinigung (BSR). Kostenlos für Berliner.

„Find’ ich toll“, sagt Wolfgang Rossius, der sich in Lichterfelde mit Splitt versorgt: „In Baumärkten gibt es nichts mehr, wir haben schon den Sandkasten unseres Sohnes leerräumen müssen, um den Weg vor unserem Grundstück zu streuen.“

Eigentlich war angekündigt, dass der Splitt am Freitag ab 13 Uhr bereitliegt. Doch das ficht die Berliner nicht an. „Um sechs stand der erste Pkw mit Anhänger bei uns in der Einfahrt“, erzählt ein Mitarbeiter im BSR-Betriebshof am Ostpreußendamm. Er hat am Morgen mehrere Schilder gemalt, die darauf hinweisen, dass die Einfahrt zum Recyclinghof, wo es den Splitt gibt, nicht hier, sondern 250 Meter weiter im Wiesenweg ist. Trotzdem fahren die Autos weiter im Minutentakt vor. Blockieren die Zufahrt für die Streufahrzeuge, die seit drei Uhr die Straßen und Autobahnen räumen.

Mittags wird der Stau im Wiesenweg länger. In der Halle angekommen, springen alle aus den Autos und schaufeln Eimer, Töpfe, Wannen und Stoffbeutel voll. Letztere werden von den scharfkantigen Steinchen schnell zerschnitten. In die Halle rollen Mercedes und BMW, mancher kommt auch mit kleinerem Wagen. Alexander Scharf füllt zwei Eimer. „Als Landesbeamter bin ich auf Gratis-Splitt angewiesen“, flapst er: „Hab’ schließlich seit ’94 keine Tariferhöhung mehr erlebt.“

Manchen ist es peinlich, andere feilschen ungeniert mit den BSR-Mitarbeitern. Eine Frau hält drei riesige Eimer in die Luft: „So ein kleines Eimerchen mehr ist okay, oder?“ Ein Mann fragt: „Noch ein Töpfchen für die Oma?“ Oliver Jung, der Regionalleiter Recyclinghöfe, lächelt zustimmend – auch wenn es die Oma wahrscheinlich nicht gibt. Als aber ein Mann mehrere Schubkarren füllen will, schreitet Jung ein: „Haushaltsübliche Mengen heißt zwei Zehn-Liter-Eimer“, sagt er freundlich: „Es soll doch für alle reichen.“

Auch seine Kollegen bleiben entspannt, obwohl bereits bis 15 Uhr stadtweit rund 7500 Eimer gefüllt sind. „Am Sonnabend werden noch viel mehr kommen“, vermutet Jung. Manche zum zweiten Mal: „Ich bin morgen wieder da“, verkündete gestern ein braungebrannter Herr: „Ich mache Urlaub in Thailand. Meine Frau bleibt daheim. Da will ich ihr wenigstens genug Splitt ranschaffen.“ Sandra Dassler

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