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Der Lieferdienst Gorillas ist seit seiner Gründung weltweit expandiert, doch nun muss gespart werden.

© imago images/Stefan Zeitz

Kosten sparen statt Expansion: Lieferdienst Gorillas entlässt 300 Beschäftigte in Berlin

Auch andere Bringdienste kündigen Beschäftigten, um Kosten zu sparen. Die Berliner Verwaltung kommt derweil mit Kontrollen des Arbeitsschutzes nicht hinterher.

Der Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas entlässt 300 Beschäftigte und trennt sich damit von der Hälfte seiner Verwaltungsangestellten. Der Personalabbau betreffe die weltweite Hauptverwaltung in der Berliner Zentrale, teilte das Start-up am Dienstag mit. Die Fahrerinnen und Fahrer, die sogenannten Rider, seien von diesem Stellenabbau nicht betroffen, sagte ein Sprecher. 

Hintergrund der Einsparungen ist laut Geschäftsführer Kagan Sümer ein Strategiewechsel. Anfang des Jahres plante er noch eine Finanzierungsrunde. Doch inzwischen ist Kapital aufgrund erwarteter Zinserhöhungen der Notenbanken schwerer zu bekommen. 

Sümer will nun an die Börse: „Mit Blick auf die Kapitalmärkte müssen wir weitere Schritte unternehmen, um den Weg zur Profitabilität zu beschreiten“, sagte er Reuters. „Das ist der nächste Meilenstein. Wenn wir an die Börse gehen, wollen wir das als profitables Unternehmen tun.“ 

Dem Unternehmenssprecher zufolge sind nur in fünf Märkten „klare Entwicklungen hin zu einem profitablen Geschäft“ erkennbar. Das seien Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und die Vereinigten Staaten. Deutlich schlechter läuft das Geschäft offenbar in Italien, Spanien, Dänemark und Belgien. Aus denen könnte sich Gorillas ganz zurückziehen.

Die Berliner Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) sieht darin Anzeichen für einen Abwärtstrend: „Die angekündigten Entlassungen bei Gorillas sind wohl nur der Anfang einer riesigen Konsolidierungswelle in der Branche. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Gorillas werden nun die kopflosen Expansionsfantasien der Unternehmensführung ausbaden müssen“, sagt sie. 

Verwaltung will kontrollieren, ist aber unterbesetzt

Bei Gorillas gab es seit der Gründung im Jahr 2020 immer wieder Konflikte mit Fahrerinnen und Fahrern. Die Beschäftigten kritisierten vor allem die Arbeitsbedingungen und verstärkten ihre Forderungen mit sogenannten wilden Streiks

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Die Senatsverwaltung verhängte wegen arbeitsrechtlicher Verstöße Anfang des Jahres ein Bußgeld von 15.800 Euro. Auch gegen andere Lieferdienste wurden in Berlin Verfahren eingeleitet. Die Arbeitssenatorin Katja Kipping (Linke) kündigte schwerpunktmäßige Arbeitsschutzkontrollen in der Branche an. 

Doch kann die Verwaltung das überhaupt leisten? Das erscheint zumindest fraglich, denn offenbar ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (Lagetsi) chronisch unterbesetzt. Das geht aus der Antwort der Senatsverwaltung für Arbeit auf eine schriftliche Anfrage der Abgeordneten Tuba Bozkurt (Grüne) hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. 

Demnach gab es beim Lagetsi im Jahr 2021 insgesamt 193 und eine halbe Planstelle. Davon waren jedoch nur 140 Stellen besetzt. Die Nicht-Besetzungsquote lag also bei 28 Prozent. Im Vorjahr hatte sie noch bei 21 Prozent gelegen und 2019 bei 22,8 Prozent. Bozkurt vermutet, dass aufgrund des eklatanten Personalmangels generell zu wenig kontrolliert wird. 


Der Antwort zufolge inspizierte das Lagetsi im Jahr 2021 in ganz Berlin 3060 Betriebe unterschiedlicher Branchen und stellte dabei 1677 Beanstandungen fest. In der Folge wurden 709 Verfahren eingeleitet. 

Der Handel bildete einen Schwerpunkt mit etwa 22 Prozent der Kontrollen. Eine gesonderte Statistik für Lieferdienste führt die Verwaltung jedoch nach eigenen Angaben nicht. Unklar bleibt, wie die gezielten Kontrollen, die die Senatorin angekündigt hat, ohne eine gesonderte Erfassung möglich sein sollen.

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Für Tuba Bozkurt ist das ein grundsätzliches Problem: Rein rechnerisch werde jeder Betrieb in Berlin nur alle 33 Jahre vom Berliner Arbeitsschutz kontrolliert, fasst sie zusammen. „Der Kontrolldruck auf diejenigen, die ihre Angestellten schlecht behandeln, ist viel zu gering“, sagt Bozkurt. 

„Das Landesamt für Arbeitsschutz weiß, dass es besonders bei Lieferdiensten immer wieder zu eklatanten Verstößen gegen die Arbeits- und Gesundheitsschutzvorschriften kommt und hier zum Teil der Arbeitsschutz der Angestellten mit Füßen getreten wird. Trotzdem finden hier scheinbar seit Jahren keine Schwerpunktkontrollen statt.“

Entlassungen auch bei anderen Lieferdiensten

Zu vermehrten Kündigungen kommt es offenbar auch bei anderen Lieferdiensten in Berlin. Insbesondere seien Fahrerinnen und Fahrer betroffen, berichten mehrere Beschäftigte dem Tagesspiegel. Kündigungen gibt es unter anderem beim Gorillas-Konkurrenten Getir

Ein Beschäftigter, der anonym bleiben möchte, hat mehr als 50 Entlassungen allein in Berliner Filialen gezählt. In der Regel handle es sich um Beschäftigte in der Probezeit, denen ohne Angabe von Gründen telefonisch gekündigt werde. Dem Tagesspiegel liegt die Aufzeichnung eines solchen Kündigungsgesprächs vor. 

Ein Getir-Sprecher gibt zu: „Getir führt derzeit vereinzelte Personalanpassungen durch. Wir starten Märkte schnell, wenn wir eine realistische Business-Chance sehen. Und wir korrigieren in Märkten auch konsequent, wenn wir unterdurchschnittliche Entwicklungen sehen.“ Das sei aber ein „ganz normaler Teil des Wachstums“. 

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