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Amtskollegen. Gustav Böß (r.) und der Wiener Bürgermeister Karl Seitz bei einem Treffen im Juni 1929.

© Bundesarchiv

Korruption in den Zwanziger Jahren: Berlins Oberbürgermeister stürzte über Pelz-Skandal

DDP-Politiker Gustav Böß ist beurlaubt. Eine Korruptionsaffäre um die Jacke seiner Frau bringt ihn zu Fall. Ein fiktiver Bericht vom Donnerstag, dem 8. November 1929.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Anlässlich des Serienstarts von "Babylon Berlin" am 13. Oktober haben wir ein Gedankenexperiment gewagt und Artikel aus der damaligen Sicht verfasst. Dabei fiel uns auf: Viele Themen - Wohnungsnot, Ärger um den Flughafen, wilde Partynächte - stehen damals wie heute für Berlin.

Die Ära Böß ist zu Ende, nachdem die Stadtverordnetenversammlung einen hässlichen Verlauf genommen hat. Die Sitzung fand nach einer Prügelei, die Kommunisten und Sozialdemokraten angezettelt haben, ein vorzeitiges Ende. So kam Oberbürgermeister Gustav Böß (DDP), der die Stadtverwaltung fast ein Jahrzehnt führte, am Vortag einem Misstrauensantrag der KPD zuvor. Er beantragte gegen sich selbst ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Dienstentlassung aus Gesundheitsgründen. Der preußische Oberpräsident reagierte sofort – und beurlaubte Böß. Das gilt zwar nur für vier Wochen, doch die Karriere dürfte wegen des Korruptionsskandals beendet sein. Außerdem wird in wenigen Tagen eine neue Stadtverordnetenversammlung gewählt.

Der ehemalige Schöneberger Verkehrsstadtrat, 1873 in Gießen geboren, wurde im Januar 1921 auf Vorschlag der Deutschen Demokratischen Partei zum neuen Stadtoberhaupt von Groß-Berlin gewählt. Der Finanz- und Staatswissenschaftler hat sich seither aus den Ränkespielen der Parteipolitik weitgehend herausgehalten und sich einen guten Ruf als Kommunalpolitiker erworben. Seine Verkehrs- und Wohnungspolitik gilt als weitblickend, die Förderung der Berliner Wirtschaft als erfolgreich. Böß hat auf die Wohlfahrtspflege gesetzt, um das Elend in den Mietskasernen zu bekämpfen.

Böß galt immer als Freund des Sports – aber vor allem liebte er die hauptstädtische Kultur. Das brachte dem Oberbürgermeister gelegentlich den Vorwurf ein, am Glitter und Glimmer der aufstrebenden Weltstadt allzu sehr Gefallen zu finden. Ausgerechnet die Affäre um eine Pelzjacke bringt ihn jetzt ins Stolpern.

Eine "wohltätige Spende" ging an die Schwestern seiner Frau

Böß’ Ehefrau ließ sich gerade erst im Sommer beim Textilgroßhandel der Gebrüder Sklarek das wertvolle Kleidungsstück anfertigen, doch die Rechnung in Höhe von 375 Mark wurde ihm erst nach mehrfacher Aufforderung zugeschickt. Der Oberbürgermeister schrieb den Sklareks einen scharfen Brief, er wolle sich nichts schenken lassen und werde den Differenzbetrag zum tatsächlichen Wert der Jacke spenden. Die „wohltätige Spende“ sah so aus, dass er dem Maler Max Pechstein ein Bild für 800 Mark abkaufte und es in seine Wohnung hängte. Weitere 200 Mark ließ Böß zwei Schwestern seiner Frau zukommen, die er ohnehin unterstützte.

Vor Kurzem flogen die Brüder Sklarek, nach einer Revision der Bezirkskasse Spandau, auf. Ein Stadtrat hatte dem Textilunternehmen ein zehnjähriges Belieferungsmonopol zugeschanzt, ein weiterer Stadtrat und zwei Bezirksbürgermeister wanderten hinter Gitter, weil den Sklareks ein überhöhter Kommunalkredit zugestanden wurde. Außerdem hatten städtische Stellen fingierte Leistungen bezahlt. Für Berlin entstand ein Schaden von über zehn Millionen Mark – und der Oberbürgermeister hatte das Pech, dass der Name seiner Frau auf einer Verkaufsliste der Sklareks gefunden wurde. Das war die Sache mit dem Pelz.

„Der Bursche ist erledigt!“, schreibt jetzt die „Rote Fahne“, die Zeitung der KPD. „Nur die Kommunisten bekämpfen die Korruption.“ Deutschnationale und Nationalsozialisten haben die Gelegenheit offenbar ebenfalls günstig gefunden, den Politiker aus dem Rathaus zu werfen. Dabei hätte Böß gewarnt sein können: Auf seiner kürzlichen Dienstreise in die USA gab es alarmierende Telegramme aus Berlin. Doch offensichtlich hat er sie nicht ernst genommen.

Zum Weiterlesen: Wohnungsnot in Groß-Berlin und die Gründung der BVG. Weitere Artikel zum Thema "Zwanziger Jahre in Berlin" finden Sie hier.

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