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Am Freitag versammelten sich etwa 30 Menschen vor dem Rathaus Tiergarten. Sie protestierten gegen die Mietforderung des Bezirks.

© Agnieszka Budek

Konsulatsunterricht in Berlin: Türkische Gemeinde mobilisiert nur 30 Demonstranten

Der Protest gegen die Mietforderung des Bezirksamt von Mitte blieb am Freitag schwach. Aber es gibt eine Befürchtung.

Auch der strömende Regen kann Bekir Yilmaz’ Zorn nicht abkühlen. „Gnadenlos“, „absolut inakzeptabel“ und „auf jeden Fall politisch motiviert“ sei es, was der Bezirk Mitte zur Zeit „auf dem Rücken der Kinder“ austrage, sagt der Präsident der Türkischen Gemeinde Berlin, bevor er zur Tat schreitet und die Protestkundgebung vor dem Rathaus Tiergarten an der Turmstraße eröffnet.

Viele sind seinem Aufruf nicht gefolgt, am Freitagnachmittag vor dem Rathaus gegen die Politik des Bezirks Mitte zu protestieren. Der hatte beschlossen, in Zukunft von der türkischen Botschaft für die Bereitstellung von Räumen in den Schulen des Bezirks für den so genannten Konsulatsunterricht Mieteinnahmen zu fordern. Etwa 30 Menschen, darunter einige Kinder, stehen vor dem Rathaus und nehmen an dem Protest teil. Einige von ihnen recken Schilder in die Höhe, auf denen „Wir wollen Türkischunterricht zurück“ oder „Muttersprache ist ein Grundrecht“ zu lesen ist.

"Angebliche" Verfehlungen Erdogans

Ein Helfer verliest eine Erklärung, in der der Berliner Politik Untätigkeit, die Wiederholung von Fehlern der Integrationspolitik vergangener Tage und die Nutzung von „angeblichen“ Verfehlungen des türkischen Präsidenten Erdogan als „armseligen Vorwand“ vorgeworfen wird. Danach greift Yilmaz selbst zum Megaphon und gerät sofort in ein Wortgefecht mit der bildungspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion, Maja Lasic.

Sichtlich erregt werfen er und seine Mitstreiter der Bezirks- und Landespolitik vor, für die Aussetzung des türkischsprachigen Konsulatsunterrichts für Kinder in Mitte verantwortlich zu sein. Lasic weist darauf hin, dass sie zur Bezirkspolitik keine Stellung nehmen könne und das Land langfristig eigene Lehrangebote anstelle des Konsulatsunterrichts anstrebe. Passanten und Kundgebungsteilnehmer mischen sich ein, es kommt zu lautstarken Wortgefechten.

Und wenn das Konsulat in Ditip-Moscheen ausweicht?

Einig wird man sich nicht. Lasic verweist darauf, dass auf Landesebene bereits Beschlüsse gefasst wurden, denen zufolge mittelfristig öffentliche Angebote den Konsulatsunterricht ersetzen könnten. "Die fließenden Übergänge müssen aber in den nächsten Monaten von Land und Bezirken gemeinsam geleistet werden. Bei längerer Unterbrechung besteht die Möglichkeit, dass das Konsulat in nichtöffentliche Räume – etwa in Moscheen – ausweichen könnte, um den Konsulatsunterricht fortzusetzen, etwa über den umstrittenen Islamverband Ditib", erklärt Maja Lasic. In diesem Fall gäbe es für staatliche Stellen gar keine Kontrollmöglichkeit mehr.

Carsten Spallek (CDU), Bildungsstadtrat in Mitte, sieht dieses Problem, verweist aber auch auf den knappen Bezirkshaushalt: „Wenn der Senat meint, dass wir keine Miete nehmen sollen, könnte er den Bezirken die entsprechenden Beträge über die Basiskorrektur geben“, schlägt Spallek vor.

Miete wurde gefordert, aber nicht eingetrieben

Die anderen Bezirke sind allerdings bisher vorsichtig mit Mietforderungen an die türkische Seite, weil sie den Kindern bislang kein alternatives Sprachangebot unterbreiten können. Neukölln will Volkshochschulkräfte rekrutieren, auch Friedrichshain-Kreuzberg sucht nach einem Ausweg, der die Interessen der türkischen Familien berücksichtigt. Denn längst zeichnet sich ab, dass die Türkei nicht bereit ist, Miete zu zahlen: Der Bezirk Mitte hatte nämlich schon im November 2015 Mietforderungen gestellt – ohne Erfolg. Das belegen Unterlagen, die dem Tagesspiegel vorliegen. Allerdings hakte sein Schulamt – damals noch geführt von Sabine Smentek (SPD) – nicht nach: Die Mietforderung verlief im Sande - wegen des Personalmangels, vermutet Spallek. Für Bekir Yilmaz spielt es keine Rolle, dass die Mietforderung gar nicht der neuen politischen Lage geschuldet sein kann, weil sie länger zurückliegt: Er bleibt bei der unterstellten politischen Motivation.

Andere Bundesländer sind autark

Wie berichtet, gibt es Bundesländer wie Rheinland-Pfalz, die den muttersprachlichen Unterricht komplett selbst organisieren und finanzieren. Berlin hingegen gehört zu den Ländern, die sich seit rund 50 Jahren auf die Angebote der früheren „Gastarbeiter“-Entsendestaaten verlassen. Kontrollmöglichkeiten gibt es kaum, allerdings gibt es regelmäßige deutsch-türkische Konsultationen, an denen auch die Spitze der Bildungsverwaltung teilnimmt. Offenbar hatten diese Gespräche aber nicht dazu geführt, dass die Verwaltung auf einer Änderung des Lehrplanes beharrte – ein Aspekt, der zunehmend Fragen aufwirft.

Korrekturen wurden gefordert, Kontrolle blieb aus

Denn Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD) hatte im Bildungsausschuss berichtet, dass der Lehrplan „eindeutig nationalistische und eindeutig religiöse“ Inhalte habe, obwohl er laut Abkommen nur Landeskunde und türkische Sprache vermitteln soll. Allerdings ist dieser Lehrplan schon seit vielen Jahren in Kraft, ohne dass der Senat auf einer Überarbeitung beharrte. Laut Rackles wurden zwar Änderungen gefordert, aber es wurde nicht kontrolliert, ob sie vorgenommen wurden. Erst Jahre später – unter dem Eindruck der repressiven türkischen Innenpolitik und vor dem Hintergrund türkischer Spitzelaktivitäten unter Deutschtürken – erneuerte die Bildungsverwaltung kürzlich ihre alten Änderungswünsche, denen aber bisher nicht genügend entsprochen worden sei, wie Rackles den Abgeordneten berichtete.

Berlin ist kein Vorreiter

Andere Bundesländer sind viel weiter – auch bei der Anerkennung von Muttersprachen. Lasic nennt als Beispiel Nordrhein-Westfalen, wo es schon vor 20 Jahren möglich gewesen gemacht wurde, ihre Muttersprache Kroatisch als Fremdsprache für die Zulassung zum Abitur anerkannt zu bekommen.

Berlin kam erst jetzt auf den Gedanken - vor dem Hintergrund der Flüchtlingszuwanderung: Damit begabte Flüchtlinge, die das Abitur machen wollen, nicht an der fehlenden zweiten Fremdsprache scheitern, weil sie erst später in das deutsche Schulsystem hineinkamen, sollen sie ihre Muttersprache als Fremdsprache anerkannt bekommen.

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