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Die Neuköllner Einkaufsmeile auf der Karl-Marx-Straße (Archivbild)

© Kai-Uwe Heinrich

Konkurrenz durch Amazon und Co.: Berlins Einzelhändler hinken bei Digitalisierung hinterher

Einen Webshop einzurichten, reiche nicht, um mit der Digitalisierung schrittzuhalten, sagen Experten. Auch viele Arbeitsprozesse müssten verändert werden.

Sieht so die Zukunft des Handels aus? Wer durch die neue Karstadt-Filiale in der Gropius-Passage in Berlin flaniert, ist umgeben von viel Holz, einer Menge Licht und großen Bildschirmen an den Wänden. Karstadt-Chef Stephan Fanderl jedenfalls gab sich optimistisch, als er vor wenigen Wochen die erste neue Filiale seit vielen Jahren eröffnete: „Hier fließt vieles ein von dem, was wir in den letzten zwei Jahren über Digitalisierung, aber auch über das Eingehen auf die lokalen Bedürfnisse unserer Kunden gelernt haben“, lobte Fanderl das neue Konzept.

Vielleicht war es auch bloß Zweckoptimismus: Nach den harten Sanierungsjahren ist Karstadt verzweifelt auf der Suche nach einem Erfolgskonzept, um seine Kaufhäuser zu retten. Bei dem einen neuen Haus soll es dabei nicht bleiben, Ende 2019 soll in Berlin-Tegel zusätzlich eine noch größere Filiale eröffnen. Ist das Vertrauen von Karstadt in den Handelsstandort Berlin gerechtfertigt? Wird sich die Investition des Konzerns auszahlen?

Dem Einzelhandel geht es gut

Gute Frage, schwierige Antwort. Fakt ist, dass die Geschäfte der Einzelhändler in der Stadt derzeit gut laufen. „Im Handel geht es aufwärts“, freut sich Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg (HDE), „Im ersten Halbjahr hatten wir einen Umsatzzuwachs von 2,3 Prozent – und auch im zweiten Halbjahr hat sich diese Entwicklung nach unserer Einschätzung fortgesetzt.“

Grund für diesen Handelshöhenflug sind die konjunkturellen Rahmenbedingungen. Wichtigster Grund: Die gute Entwicklung der Beschäftigungszahlen. „Wenn Zehntausende Menschen in Lohn und Brot kommen, können sie natürlich auch mehr konsumieren und haben mehr Vertrauen in die Zukunft“, sagt Busch-Petersen, „das ist eine gute Voraussetzung um einzukaufen.”

Eitel Sonnenschein also? Leider nein. Eine neue Studie der Commerzbank kommt zu dem Schluss, das gute Geschäft der hauptstädtischen Einzelhändler lenke von den großen Herausforderungen ab, vor denen die Branche steht. Den Händlern selbst sind die Probleme dabei durchaus bewusst, wie ein Blick auf die Untersuchung zeigt. Die Konkurrenz durch Onlinehändler und der steigende Preisdruck wird von fast der Hälfte der Einzelhändler als eine der größten Herausforderungen für das eigene Geschäft benannt.

Auf die Digitalisierung hingegen sind viele der Unternehmer nicht ausreichend vorbereitet, wie die Studie zeigt. Eine stattliche Mehrheit von 59 Prozent der befragten Händler gaben an, ihre Waren ausschließlich im Laden anzubieten, lediglich jeder vierte Händler verkauft demnach mittlerweile sowohl stationär als auch online. Gerade im Deutschlandvergleich ist das wenig.

„Berlins Einzelhändler hängen hinten dran, was den Onlinehandel angeht“, sagt Kai Werner, Leiter Unternehmerkundengeschäft der Commerzbank in Berlin und den neuen Bundesländern. „Die Komplexität der Digitalisierung wird von Berliner Einzelhändlern oftmals unterschätzt.“ Es reiche nicht, einen Webshop einzurichten und auf Kundschaft zu warten – auch viele Arbeitsprozesse müssten im Unternehmen grundlegend verändert werden. „Das erfordert Ausdauer und kostet auch Geld – weswegen viele Unternehmer diesen Schritt bislang noch nicht gewagt haben.“

Start-ups als Vorbilder

Auch HDE-Chef Busch Petersen warnt deshalb die eigene Branche vor den Konsequenzen: „Digitalisierung ist auch für die stationären Händler nicht mehr wegzudenken.“ Das beginne bei der Beschaffung der Güter und ziehe sich hin bis zur Kundeninformation und Kundenbindung. „Wer die Werkzeuge der Digitalisierung nicht beherrscht, hat keine Zukunft“, sagt er.

Um Inspiration zu finden, müssten die hauptstädtischen Unternehmen dabei nur vor die eigene Ladentür treten: „Es gibt in Berlin in der Start-up-Szene viele interessante Beispiele dafür, wie der Handel stärker auf das neue, digitale Einkaufsverhalten der Konsumenten eingehen kann“, Kai Werner von der Commerzbank. „Der stationäre Handel täte deshalb gut daran, sich enger mit der Digitalszene zu vernetzen und auszutauschen.“

Doch nicht nur mangelnde Offenheit für Neues, auch der finanzielle Aspekt wirkt sich in der Hauptstadt häufig innovationshemmend aus. „Noch zu viele unserer Berliner Kunden scheuen größere Investitionen in die Digitalisierung ihrer Unternehmen“, sagt Werner. Das lässt sich auch an der Studie ablesen: Fast die Hälfte der Berliner Einzelhändler finanziert demnach ihre Investitionen aus dem laufenden Geschäftsbetrieb. Das sind deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt (37 Prozent). „Aus unserer Erfahrung heraus sind das angesichts der geringen Summen dann selten Großinvestitionen etwa in die digitale Infrastruktur.“

Karstadt ist in dieser Hinsicht schon einen Schritt weiter. Im neuen Haus in den Gropius-Passagen versucht der Handelskonzern, Online- und Offline-Welt miteinander zu verbinden. Die Kunden können allein oder gemeinsam mit den Mitarbeitern über Bildschirme durch das komplette Angebot in der Filiale sowie im großen Online-Warenhaus von Karstadt surfen.

Außerdem können sie über die mobilen Endgeräte von Mitarbeitern ihr Hemd oder ihren Kochtopf bezahlen und so lange Schlangen an den Kassen umgehen. Auch heute im Einzelhandel übliche Dienste wie Click & Collect, also das Abholen im Internet bestellter Ware, oder Click & Reserve, das Reservieren von Produkten, um sie im Laden in Augenschein zu nehmen, bietet das neue Karstadt-Haus in den generalüberholten Gropius-Passagen.

Hohe Mieten sind eine zusätzliche Herausforderung

Doch nicht nur die Digitalisierung stellt den Handel auf die Probe, Berlins Einzelhändler haben mittlerweile mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, wie ihre Kundschaft: der Preisrallye auf dem Immobilienmarkt. Laut Commerzbank-Studie zählen 35 Prozent der befragten Unternehmer die hohen Mieten zu den großen Herausforderungen für ihr Geschäft – bundesweit sind es lediglich 27 Prozent. Auch der Senat sieht Handlungsbedarf und versucht, mit einer Bundesratsinitiative die Händler vor Wuchermieten zu schützen.

Bei den anderen Ländern fand das Berliner Anliegen Gehör: In der vergangenen Woche forderten der Bundesrat und die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder die Bundesregierung dazu auf, das Gewerbemietrecht zu modernisieren. Der Bund solle so der „Verdrängung von Gewerbemietern in Ballungsräumen“ entgegenwirken. Bei Gewerbeimmobilien gibt es zum Beispiel keine ortsübliche Vergleichsmiete, an der sich Vermieter orientieren müssen. Mietverträge sind jederzeit ohne Begründung kündbar, eine Befristung kann der Vermieter beliebig kurz ansetzen.

Beim Handelsverband warnt man allerdings vor Hysterie. „Punktuell gibt es einige Straßen in der Stadt, in denen Gewerbemieten stark gestiegen sind“, sagt HDE-Chef Busch Petersen, „Ein stadtweites, massives Problem ist das für den Handel aber nicht.“ Die Gewerbemiete sei zwar ein sehr wichtiger Faktor, nicht aber der einzige, der über Erfolg oder Misserfolg eines Ladenkonzeptes entscheide.

Auch am Erfolg des Vorhabens zweifelt er: „Ich finde die Initiative problematisch“, sagt er. „Es gibt nun mal den Grundsatz der Vertragsfreiheit, der über allem schwebt. Dass man das Kleingewerbe als etwas Schützenswertes anerkennt, kann ich ja nachvollziehen – aber mit Blick auf das Grundgesetz ist das nur schwer zu vermitteln.“

Angesichts seiner Zweifel an den Erfolgsaussichten ärgert es Busch Petersen daher, dass sich Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) bei seinem Vorhaben nicht enger mit der Wirtschaft abgestimmt hat. „Die Initiative ist ein klassisches Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte. Wir arbeiten mit allen Senatsverwaltungen sehr gut zusammen und tauschen uns aus. Von Behrendts Vorhaben aber habe ich lediglich über meine bayerischen Kollegen erfahren.”

Und nicht nur er, auch die anderen Berliner Spitzenverbände der Wirtschaft, der Gaststättenverband Dehoga und die Industrie und Handelskammer (IHK), seien vom Vorstoß des Senators überrascht worden, sagt Busch Petersen. „Sich vorher nicht kundig zu machen und mit uns abzustimmen – dit kann’s doch nicht sein.“

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