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Die West-Alliierten brauchten 1948 in Berlin einen Transportfachmann – und das war Tunner.

© U.S. Airforce

Kommandant der Luftbrücke: Wie Mr. Airlift West-Berlin rettete

Die Versorgung West-Berlins drohte 1948 im Chaos zu enden. Dann funkte ein Mann an den Tower: William H. Tunner – der Luftbrücken-Chef.

Schnurgerade wie eine Startbahn zieht sich die William-H.-Tunner-Straße von der Lichterfelder Goerzallee Richtung Nordnordwest, bevor sie nach 500 Metern gen Nordost abknickt in den Osteweg. Leider um die Hälfte zu kurz für einen zweimotorigen Rosinenbomber des Typs C-47, und um die schmale Straße auf dem Gelände der ehemaligen McNair Barracks zur Rollbahn umzuwandeln, müsste man ohnehin all die Wohnhäuser abreißen, die rechter- und linkerhand in den vergangenen Jahren entstanden sind. Das will natürlich niemand. Noch ein Flugplatz für Berlin? Bloß nicht!

Dennoch, es wäre eine angemessene Ehrung für den Mann, dem West-Berlin das Überleben während der Blockade kaum weniger verdankt als Lucius D. Clay, dem damaligen Militärgouverneur der US-Besatzungszone, der die Luftbrücke nur anordnete, nicht aber organisierte. Ihm hatte man schon während des „Big Lift“, am 1. Juni 1949, die von der Zehlendorfer Eiche bis zum Hohenzollerndamm über 4,5 Kilometer durch den Südwesten der Stadt führende Magistrale gewidmet, während es bei Tunner ein halbes Jahrhundert länger dauerte, bis zum 1. Juni 2000 – da war er schon lange tot. Und in dem 2005 in Berlin gedrehten TV-Drama „Die Luftbrücke - Nur der Himmel war frei“ durften zwar Clay, Reuter, Truman und Stalin ihre Namen behalten, nicht aber Tunner: Heino Ferch spielte vielmehr einen General Philipp Turner.

Chaos auf dem Flughafen Tempelhof

Eine Vorstellung vom Wesen William H. Tunners, des „Mr. Airlift“, wie ihn der einflussreiche demokratische Kongressabgeordnete L. Mendel Rivers einst nannte, gewinnt man am besten durch eine Szene, die sich am 13. August 1948 über Berlin zugetragen hat. Es war ein Freitag, und ein rabenschwarzer. Alles andere als ideales Flugwetter, die Wolkenuntergrenze fast bis an die Dächer herangerückt, dazu ein Wolkenbruch, als sich die Maschine mit dem Generalmajor dem Flughafen Tempelhof näherte.

Das waren die Luftkorridore für die Luftbrücke 1948-1949 - bitte anklicken zum Vergrößern.
Das waren die Luftkorridore für die Luftbrücke 1948-1949 - bitte anklicken zum Vergrößern.

© dpa, Tsp/Klöpfel

Dort herrschte blankes Chaos: der Pilot einer C-54 hatte bei schlechter Sicht die noch im Bau befindliche zweite Piste mit der Hauptlandebahn verwechselt und so seine Maschine beim Aufsetzen schwer beschädigt. Eine zweite war über die Landebahn hinausgeschossen und in Flammen aufgegangen, bei einer dritten platzen bei einer Vollbremsung zwei Reifen. Und über der Stadt kreiste die Kette der auf Landeerlaubnis wartenden Transportflugzeuge, immer in Gefahr, in von den Sowjets kontrollierte Zonen zu geraten und beschossen zu werden, während am Boden sich niemand mehr traute, weitere abflugbereite Maschinen auf die Reise zu schicken.

Eine Katastrophe drohte, da griff Tunner, ein Mann der Tat, zum Mikrophon des Sprechfunks und rief den Tower: „This is 5549, Tunner talking, and you listen. Send every plane back to the home base.“ Der Fluglotse glaubte nicht recht zu hören, ließ sich den Befehl wiederholen, dann ging es für die Armada der vollbeladenen Rosinenbomber zurück zu den Heimatflugplätzen.

Die Berliner Luftbrücke war anfangs keineswegs das gut geölte Uhrwerk, als dass sie angesichts ihres Erfolges nachträglich erscheinen mag. Am 24. Juni 1948, einem Donnerstag, hatte die Blockade West-Berlins begonnen. Bereits am Wochenende darauf flog die US Air Force erste Güter in die Stadt, zunächst zur Versorgung der eigenen Truppen. Und schon am 28. Juni transportierten Amerikaner und Briten – die Franzosen, ohnehin knapp an Ressourcen, hatten im Indochina-Krieg genug zu tun – die ersten 268 Tonnen für die Bevölkerung in die Stadt. Das war nur ein Bruchteil der für notwendig gehaltenen täglichen Mindestmenge.

Es fehlte anfangs an allem: Flugzeugen, Ersatzteilen, Besatzungen, Mechanikern. Und die schnell verfügbaren Maschinen waren überwiegend die im zivilen Verkehr DC-3 genannten C-47 mit der sehr begrenzten Ladekapazität von 2,5 Tonnen. Auch verlief der Flugbetrieb in den ersten Monaten alles andere als effektiv, eher wie eine „cowboy operation“ – ein Urteil, das mal Gail Halvorsen, mal Tunner selbst zugeschrieben wird. Nun ging es aber nicht darum, eine Rinderherde von Texas nach Missouri zu treiben, sondern eine Stadt von 2,2 Millionen Einwohnern wie auch die Truppen der West-Alliierten zu versorgen.

Da war als Organisator ein Transportfachmann gefragt, kein kriegserprobter Bomberkommandeur wie Tunners Vorgänger, Brigadegeneral Joseph Smith. Und Tunner war solch ein Fachmann, der beste, der sich finden ließ, dessen Oberkommando sich Mitte Oktober auch die Briten unterstellten. Im Krieg hatte er bereits „The Hump“ geleitet, die Luftbrücke, mit der die Amerikaner von Indien aus und über den Himalaya hinweg die nationalchinesischen Truppen Chiang Kai-sheks gegen die Japaner unterstützten. Später sollte er sich in gleicher Funktion im Koreakrieg bewähren.

Ende des Havel-Einsatzes

Nach einem Monat hatte sich die Kapazität der zur Verfügung stehenden Transportflotte schon erheblich verbessert. Mehr und mehr waren die größeren C-54 dazugekommen mit einer Ladekapazität von zehn Tonnen. Noch landeten aber die britischen Short Sutherland Flugboote auf der Havel, mit denen unter anderem Salz transportiert wurde. Schließlich hatte man sie für den Einsatz in Salzwasser konstruiert, zudem waren die korrosionsgefährdeten Leitungen bei ihnen nicht im Rumpfboden, sondern an der Decke verlegt worden.

Erst als die Havel im Winter zufror, musste ihr Einsatz beendet werden. Tunner versuchte zuerst erfolgreich, die Zahl der Flüge durch organisatorische Verbesserungen zu erhöhen und die drei Flugkorridore effektiver zu nutzen. So durften Piloten ihre Maschinen während der Wartezeiten Richtung Flughafengebäude nicht mehr verlassen, was nur Zeit gekostet hatte, erhielten unmittelbar nach der Landung per Jeep die Anweisungen für den Rückflug und die aktuellen Wetterdaten, und mobile Snackbars rollten heran, in denen junge „Fräuleins“ die Bestellungen der Besatzungen entgegennahmen – das hob deren Stimmung. Aber optimal war das alles noch nicht, wie der „Schwarze Freitag“ zeigte, auch wenn es dabei keine Toten oder Verletzten gab. Tunner wies sein Team an, eine Lösung zu finden, die solch ein Chaos künftig ausschloss. Nach wenigen Tagen lag sie vor.

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Den Piloten wurde jetzt nur noch ein Landeversuch gestattet. Klappte der nicht und musste das Flugzeug durchstarten, ging es zurück. Zeitraubende Warteschleifen, Staus in der Luft entfielen nun. Die gestaffelten Flughöhen wurden wirkungsvoller verteilt, und vor allem wurde nun selbst bei strahlend blauem Himmel nach Instrumenten und nicht nach Sicht geflogen, ermöglicht durch ein hypermodernes Radarsystem, das bei jedem Wetter eine genaue Taktung der Landungen und Starts ermöglichte.

Dazu kam, dass mit dem in nur drei Monaten entstandenen Flugplatz Tegel neben Tempelhof und Gatow nun ein dritter Ort zur Verfügung stand, über den die Berliner versorgt werden konnten. Auch deutsche Mechaniker, darunter viele, die ihr Fachwissen in der Luftwaffe erworben hatten, halfen, dass der Flugbetrieb lief. Und wenn mal ein Ersatzteil fehlte, wusste das Bodenpersonal eben zu improvisieren. Keine Gummidichtungen für die Hydraulik der Scheibenwischer mehr im Lager? Nun, man nehme ein Kondom, schneide die Spitze ab, rolle es zum Gummiring und fertig ist die Dichtung. Wegen des aggressiven Hydrauliköls hielt sie allerdings nur zwei Tage.

Bis zum Ende der Blockade

Ihren Höhepunkt erreichte die Luftbrücke zu Ostern 1949, als in 24 Stunden 1398 Maschinen – fast alle 60 Sekunden eine – landeten und 13.000 Tonnen Fracht brachten. Das muss die Sowjets überzeugt haben, dass ihre Methode, West-Berlin auszuhungern, nicht funktionierte: Knapp einen Monat später endete die Blockade. Die Luftbrücke ging noch bis in den Herbst weiter, die Vorräte mussten aufgefüllt werden. Der letzte Flug der US Air Force erreichte am 30. September die Stadt, die Royal Air Force folgte am 6. Oktober. Insgesamt hatte es 555.370 Hin- und Rückflüge gegeben. Insgesamt 39 Todesopfer waren bei den Briten, 31 bei den Amerikanern und mindestens acht auf deutscher Seite zu beklagen gewesen.

Als die letzten Flüge stattfanden, hatte das Hauptquartier der amerikanischen und der britischen Transporteinheiten im Luftbrückendienst in Wiesbaden seine Arbeit beendet und Tunner war in die USA zurückgekehrt. Am 10. Juli 1951, zur Enthüllung des Luftbrückendenkmals, war er wieder in der Stadt, hielt bei der Feier auch eine Rede auf Englisch, schloss aber auf Deutsch: „Es ist wunderbar, wieder bei euch in Berlin zu sein. Auf Wiedersehen.“

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